Schufa - und andere Vereinsmitglieder

Was Auskunfteien so treiben, kann wirtschaftliche Existenzen gefährden. Ihre Auskünfte sind nicht selten ungenau oder sogar falsch

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Im Mai 2015 befassten sich der Bundestag, die Verbraucherminister und ein Hearing im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz mit dem Thema Scoring. Die Grundlage für diese Debatten lieferte ein Gutachten, erstellt vom Unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein (ULD) und der GP Forschungsgruppe "Scoring", eine geheimnisvolle Sammlung und angeblich wissenschaftlich fundierte Auswertung von Rahmendaten, zu denen die abgeschlossenen Mietverträge, Mobilfunkverträge und Ratenkäufe sowie ganz wichtig - das Wohnumfeld gehören.

Beim Hearing im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz referierte Thomas Riemann, Geschäftsführer des Vereins Die Wirtschaftsauskunfteien e.V..

Seinen Angaben zufolge sind in diesem Lande folgende verbraucherfreundliche Geschäfte nur mit Hilfe von Scoring möglich: Online-Kreditaufnahme, schneller Vergleich von Kreditkonditionen, Kauf auf Rechnung oder Raten im Online-Handel, Ratenfinanzierung am Point-of-Sale und Leasing, Abschluss von Telekommunikationsverträgen, der Wechsel des Energieversorgers und vieles mehr.

Ein Verein, der es in sich hat

So kommt die Branche auf jährlich rund 250-300 Millionen Bonitäts- und Bilanzauskünfte im Auftrag von 250.000 Unternehmen in Deutschland. 90 Prozent der Branche sei Mitglied im Verein. Außer der allgemein bekannten Schufa gehören arvato-Bertelsmann, Bisnode, Boniversum, der IHD Kreditschutzverein, Bürgel und Creditreform dazu.

Vom Nutzen für die Verbraucher ist die Rede, Verbraucher würden vor Überschuldung geschützt. Also alles in bester Ordnung? Und richtig, nach "wohl überwiegender Auffassung der Aufsichtsbehörden besteht kein Bedarf an zusätzlicher Reglementierung oder Beschränkung des Scorings".

Eine Studie Scoring im Fokus von ZEW/Universität Oldenburg kommt zu dem Ergebnis, dass kein (gesetzgeberischer) Handlungsbedarf besteht. Auch die Betroffenenrechte seien "jetzt schon ausreichend gewahrt." Die gesetzlichen Regelungen zum Scoring (§ 28b BDSG) hätten sich in der Praxis bewährt.

Soweit die Darstellung des Vereins "Die Wirtschaftsauskunfteien e.V.", der die Wissenschaftler bei der Erstellung ihrer Studie unterstützt hat. So also geht heute Wissenschaft. Ein Auftraggeber zahlt und die Wissenschaftler kommen zu einem Ergebnis, welches zufällig dem entspricht, was die Vereinsmitglieder gerne lesen würden. Und das an einer Hochschule, die den Namen Carl von Ossietzky trägt.

Einer, der sich wehrt

Als Zuhörer im Hearing im Justiz und Verbraucherministerium war einer, der mit seinen 27 Jahren schon einiges erlebt hat mit den Vereinsbrüdern von Schufa und Co. "Er ist Beamter im gehobenen Dienst, hat ein geregeltes Einkommen, zahlt pünktlich seine Miete und bekommt auch sonst keine Mahnungen", beschreibt ihn der Berliner Tagesspiegel. Dennoch hält die Schufa ihn nicht für sonderlich kreditwürdig.

Sein Basisscor sank innerhalb einiger Monate rapide von 96% auf 93 und später auf 85,80%. Für den Bereich "Sparkassen" etwa vermerkte die Schufa sogar 62,17 % bzw. 57,91 %. Das wohl gemerkt, für einen Bundesbeamten im gehobenen Dienst, ledig, kinderlos mit gutem und regelmäßigen Beamtensalär, der schuldenfrei lebt, aber berufsbedingt häufig seinen Wohnsitz gewechselt hat. Seine Daten hat die Schufa noch einmal geprüft und für korrekt befunden. Liegt die Herabstufung daran, dass er häufiger umgezogen ist?

Philipp Hommelsheim studiert neben seinem Beruf noch in Bonn und das Bonner Mietkonto für seine dortige Wohngemeinschaft lautet ebenfalls auf seinen Namen. Außerdem hat er nicht nur für sich, sondern auch für seine minderjährige Schwester einen Mobilfunkvertrag abgeschlossen. Zumindest sein derzeitiger Hauptwohnsitz Kreuzberg dürfte nicht der Grund für die schlechte Bonitätsnote sein.

Denn glaubt man der Schufa, verwendet sie in 99,7 Prozent der Fälle kein Geoscoring. Zweifel sind angebracht. So wohnt der Telepolis-Autor zum Beispiel in einem gut bürgerlichen Stadtteil von Bonn, verfügt zwar über deutlich weniger Einnahmen als der junge Beamte in Berlin, zieht selten um, hat nur ein Bankkonto und nur einen Handyvertrag. Sein Basisscore beträgt 98,69 und liegt für die meisten Wirtschaftsbereiche bei über 99%.

Andere Vereinsmitglieder wie etwa Boniversum gaben zu, sich bei ihrer Bewertung auch nach dem Wohnumfeld zu richten. Hommelsheim war vor einigen Monaten aus dem vom noblen Berliner Stadtteil Wilmersdorf ins immer noch bunte Kreuzberg umgezogen. Seine neue Adresse in Kreuzberg schätzt das Vereinsmitglied Boniversum als "unterdurchschnittlich" ein.

Als Hommelsheim nachfragte, was das heiße, schrieb ihm der Kundenservice zurück: "Eine unterdurchschnittliche Bewertung indiziert, dass in diesem Wohnumfeld überdurchschnittlich hohe Rückzahlungsausfälle festgehalten werden". Eine Sprecherin von Boniversum bestätigte auf Anfrage des Tagesspiegel, dass die Auskunftei die Adresse natürlich erfasst - bei der Bonitätsprüfung würde sie aber "keine übergeordnete Rolle" spielen.

Hommelsheim erfuhr ganz praktische Auswirkungen seines verschlechterten Ratings. Er nutzt Leihwagen, mietete seine Autos seit Jahren bei der gleichen Firma, zahlte seine Rechnungen pünktlich. Doch die Carsharing Firmen richten sich nicht nach ihrer eigenen Wahrnehmung, ihr Rechnungs- und Mahnwesen - sondern nach dem Scoring der Schufa und den anderen Vereinsmitgliedern.

Eine der Carsharing Firmen, bei der Hommelsheim ein Auto leihen wollte, empfahl ihm, mit der Schufa Kontakt aufzunehmen, um eine "Berichtigung" der Einträge zu erwirken. Der Nachweis seiner Bonität als Bundesbeamter im gehobenen Dienst ließ die Firma unbeeindruckt. Sie glaubte lieber an die Schufa-Angaben, auch wenn diese mit der Realität nichts zu tun haben.

Ein Fall von vielen. Aber einer, der sich zu wehren weiß. Für die Schufa und die übrigen Vereinsmitglieder bereitet er eine neue Pflichtlektüre vor. Philipp Hommelsheim schreibt eine Masterarbeit mit dem etwas sperrigen Titel: Umgang mit Score-Werten bei Kreditgeschäften im Zuge von Bonitätsprüfungen in der unternehmerischen Praxis - Handlungsempfehlungen für eine datenschutzrechtlich konforme Nutzung im Lichte des § 6 a BDSG im Rahmen des Complicance Management.

Übrigens mochte ihm die Schufa für seine Masterarbeit keine Fragen beantworten.

Falsche Angaben nicht strafbar

Viele Daten- und Verbraucherschützer wie auch viele Fachpolitiker sehen "dringenden Handlungsbedarf." In ihrem, in Berlin diskutierten Bericht, zeigen die Autoren auch auf, warum der Verein so zufrieden sein kann mit den heutigen Gesetzen - Schufa, Creditreform und Vereinskameraden, können einfach machen was sie wollen, denn Verstöße werden nicht bestraft.

Unter der Überschrift: "Ahndung von Verstößen" heißt es wörtlich:

In § 43 BDSG hat der Gesetzgeber verschiedene Bußgeldtatbestände geregelt. Der in dieser Vorschrift normierte Katalog enthält keinen Tatbestand, welcher speziell Verletzungen der §§ 28a, 28b BDSG erfasst. In § 28 a Bundesdatenschutzgesetz ist die Weitergabe von Daten an Auskunfteien geregelt und in 28b das Scoring.

Die Datenschutzaufsichtsbehörden haben damit keine Möglichkeit, entsprechende Verstöße auf diesem Wege zu sanktionieren. Vor allem ein ausschließlich auf Anschriftendaten beruhendes Scoring ist derzeit nicht ordnungswidrig, was auch bedeutet, dass eine Gewinnabschöpfung (§ 43 Abs. 3 S.2 BDSG) staatlicherseits nicht erfolgen kann. Betroffene müssen daher oft auf den Zivilrechtsweg verwiesen werden.

Zivilprozesse sind in diesem Lande etwas für Wohlhabende und Menschen mit viel Zeit, die sie bei Gericht oder mit der Formulierung bzw. Absprache von Schriftsätzen verbringen können.

Bereits im Vorfeld des Hearings im Bundesjustiz und Verbraucherschutz-Ministerium sahen sich die 16 Verbraucherminister veranlasst, auf den, "aus ihrer Sicht dringenden Handlungsbedarf zur Verbesserung des Verbraucherschutzes im Bereich des Scorings hinzuweisen...".

Durch das Gutachten werde die Forderung der 9. Verbraucherschutzministerkonferenz (VDMK) bestätigt, wonach die Verwendung von Daten, die an die Anschrift des Betroffenen oder dessen Wohnumfeld anknüpfen, generell untersagt werden sollte. Die VSMK unterstützt den im Gutachten enthaltenen Vorschlag, ein zentrales Auskunftsportal der Auskunfteien zu errichten, bei welchem Verbraucherinnen und Verbraucher von allen Auskunfteien Auskünfte auf elektronischem Weg erhalten können.

Darüber hinaus fordern die Ministerinnen, Minister, Senatorin und Senatoren der Verbraucherschutzministerien der Länder die Bundesregierung dazu auf, sich auf EU-Ebene bei den laufenden Beratungen über die EU-Datenschutz-Grundverordnung dafür einzusetzen, dass die nach deutschem Recht bereits bestehenden Anforderungen an Scoring-Verfahren nicht abgesenkt werden.

Im Bundestag brachten die Grünen zwei Tage nach dem Hearing einen Gesetzentwurf ein. Darin heißt es, die bestehende Gesetzeslange schütze die Betroffenen nicht ausreichend vor weitreichenden Eingriffen in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.

Die Auskunfteien unterlägen keiner ausreichenden Prüfung durch die Aufsichtsbehörden. Die Qualität der Score-Werte werde "weitgehend einer Sachprüfung entzogen" die Auskunfteien und Unternehmen könnten "weitgehend uneingeschränkt und unkontrolliert Daten der Betroffenen sammeln und auswerten".

Im Bundestag begrüßte die verbraucherpolitische Sprecherin der Linken Caren Lay den Beschluss der Länderminister. Lay:

Die Forderung der Verbraucherschutzminister sind ein richtiger, aber nur ein erster Schritt. Es kann nicht sein, dass private Unternehmen in einem intransparenten Verfahren über das Wohl und Wehe von Millionen Bürgerinnen und Bürger entscheiden.

Lay verweist auf eine stichprobenartigen Überprüfung im Sommer 2014, bei der das Handelsblatt festgestellt hatte, "dass jeder zweite Eintrag fehlerhaft ist".Bei näherer Befassung kann man den Eindruck bekommen, dass der Verfassungsschutz schärfer kontrolliert wird als die Schufa und ihre Vereinskameraden.

Geschichten aus dem Bundestag

In der Debatte des Grünen Antrags wurden von den Abgeordneten weitere Fälle von fehlerhaften und falschen Daten genannt. Interessant waren aber auch die Ausführungen von Marian Wendt aus Torgau, Diplom-Verwaltungswirt, Mitglied des Bundestages und der Torgauer Geharnischten e.V..

Wendt brachte interessante Vergleiche, zum Beispiel diesen: "Die Forderung, Gewichtung und Verfahren zur Bestimmung von Scoring-Werten offenzulegen, ist hanebüchen. Demnächst verlangen die Grünen wahrscheinlich auch die Herausgabe der Rezepte von Cola und Pepsi."

Auch die Forderung der Grünen, dass es sich bei Scoring-Werten nicht um willkürliche Werte handeln darf, sei " jedenfalls längst erfüllt". Und noch mal Wendt:

Eine weitere regulatorische Einengung des Scorings macht also die Beurteilung eher schlechter und nicht besser. Das ist für die Menschen eine negative Entwicklung; denn von einer fairen Beurteilung der Kreditwürdigkeit hängt eine Menge ab.

Genau.

Der Hamburger SPD-Bundestagsabgeordnete Metin Hakverdi sieht die Praxis des Geoscoring als problematisch:

Eine Richterin oder ein Krankenpfleger, die bzw. der in meinem Wahlkreis in Wilhelmsburg, Neuwiedenthal oder Bergedorf-West lebt, ist nach diesem Verfahren weniger kreditwürdig als eine Richterin oder ein Krankenpfleger, die bzw. der in Hamburg-Blankenese wohnt. Das klingt absurd ist aber gelebte Praxis beim Scoring...

Absurd ist es auch, das so zu erkennen und im Bundestag dann lieber mit der Union zu stimmen und statt die in diesem Fall von den Grünen vorgeschlagenen gesetzgeberischen Konsequenzen daraus zu ziehen. Auch SPD-Abgeordnete wie Gerold Reichenbach mochte eine Geschichte aus dem Leben erzählen:

Meiner eigenen Mitarbeiterin aus Neukölln ist das einmal passiert: Ihr teilte ein Versandhandel mit, sie könne nicht auf Rechnung, sondern nur gegen Vorkasse oder per Nachnahme bestellen, weil ihre Anschrift eine bestimmte Postleitzahl beinhaltete. Da muss man, glaube ich, etwas tun...

Aber nicht jetzt, denn Reichenbach und seine Fraktion haben dann dagegen gestimmt, etwas zu tun. So läuft das im Bundestag. Es wird nicht nach Vernunft, sondern nach Fraktionsdisziplin abgestimmt. Die Linken haben den Antrag der Grünen unterstützt.

Reichenbach und die SPD warten lieber ab, bis etwas Neues aus Europa kommt. Von da kommt bezüglich des in Deutschland recht strengen Datenschutzes erfahrungsgemäß nichts Gutes. Wie sagte doch Caren Lay so schön:

Die Macht der privaten Auskunfteien über das Leben der Bürgerinnen und Bürger ist immens und muss gebrochen werden.