Schuldenhaushalt 2021: Wer muss sparen, wer darf feiern?
Eine halbe Billion Euro hat sich die scheidende GroKo für das Wahljahr 2021 genehmigt. Die sozialen Folgen sind unabsehbar, weil sie sich einem gerechten Lastenausgleich zugleich verweigert
Die Zahlenschlacht zu Beginn des nun verabschiedeten Haushaltsgesetzes 2021 lässt Böses erahnen. Es würden "Einnahmen und Ausgaben auf 413 400 000 000 Euro festgestellt", heißt es dort, gefolgt von Aufstellungen der Sondervermögen und Kreditermächtigungen, auf die vor allem der Finanzminister, Vizekanzler und kommende SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz gedrängt hatte. Die geplanten Ausgaben summieren sich auf fast eine halbe Billion Euro, davon knapp 180 Milliarden als Nettokreditaufnahme. In Zeiten der Pandemie sind auch bei den bislang so strengen Haushältern des Regierungslagers alle Regeln ausgesetzt: Die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse wurde zum zweiten Mal in Folge ausgesetzt.
Ausgesetzt aber heißt nicht ausgebaut. Vielleicht 2022, vielleicht später: In absehbarer Zeit auf jeden Fall wird die Schuldenbremse wieder in Betrieb genommen werden, und dann steht der Bevölkerungsmehrheit – um bei dieser Metapher zu bleiben – ein holpriges Ende dieser Corona-Fahrt bevor. Denn sinnfreie Kommentare beteiligter Politiker und von Provinzblättern, die nun von einem "richtigen Signal" sprechen, weil es nur darauf ankomme, "wie dieses Land weiterhin durch die Pandemie-Krise kommt", umschiffen die zentrale Frage. Wie der Musikproduzent Kurt Feltz 1949 textete: "Wer soll das bezahlen, wer hat das bestellt?"
Die Bestellung kam sicherlich nicht von den Krankenschwestern und Pflegekräften, ebenso nicht von den übrigen sogenannten Corona-Helden, die, ist der falsche Applaus erst einmal verhallt, halt doch nur unterbezahlte Lohnabhängige sind. Doch eben sie werden die Zeche wohl zahlen müssen.
Indem sich Regierung und Oppositionsmehrheit nun mit Forderungen nach neuen staatlichen Leistungen überbieten, dabei aber zwingende Bedingungen für den Schuldenabbau durchzusetzen nicht willens oder fähig sind, schaffen sie eine verheerende Hypothek für die ohnehin Benachteiligten dieser Gesellschaft. Zu den Absurditäten dieser Tage zählt, dass ausgerechnet die konservative Frankfurter Allgemeine Zeitung im Wirtschaftsteil auf die Folgen hinweisen muss: "Lahmte das Wachstum oder stiegen die Zinsen, änderte sich die Schuldentragfähigkeit. Baldige Tilgung der Corona-Schulden schreibt die Schuldenbremse ohnehin vor."
Milliardäre verdienen weitere Milliarden
Das gilt nicht nur für Deutschland, sondern auch auf internationaler Ebene. Die Armen sterben oder blechen. Die Reichen werden reicher und müssen - bislang zumindest - kaum damit rechnen, für die Übernahme der Kosten dieser geoökonomischen Katastrophe herangezogen zu werden.
In den USA etwa hat das Einkommen der Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft von Mitte März bis Mitte Oktober um 2,3 Prozent abgenommen. Gut 98.0000 Unternehmen sind in den Konkurs gegangen. Mehr als zwölf Millionen Arbeiter und Angestellte haben ihre arbeitgeberfinanzierte Gesundheitsversicherung verloren. Ähnlich Trends hat das Statistische Bundesamt für Deutschland erfasst und dokumentiert. Die sozialen Folgen sind hierzulande noch nicht abzuschätzen, zumal das Sterben der Betriebe verzögert einsetzen wird, vom Einzelhandel, über Kulturbetriebe, die Gastronomie und andere besonders betroffene Branchen.
Steht man wirtschaftlich am oberen Ende der Gesellschaft, muss man sich diesseits und jenseits des Atlantiks weitaus weniger Gedanken machen. Die 651 Milliardäre in den USA haben ihren Wohlstand seit Beginn der Pandemie um eine Billion US-Dollar vermehrt. Mit diesem Geld könnte man den gut 330 Millionen US-Amerikanern – jeder und jedem einzelnen von ihnen! – etwas mehr als 3.000 US-Dollar Soforthilfe auszahlen.
Einen erheblichen Beitrag zur Bewältigung der wirtschaftlichen Corona-Folgekrise könnten alleine Jeff Benzos (71 Milliarden US-Dollar Vermögenszuwachs), Elon Musk (119 Milliarden US-Dollar Vermögenszuwachs) oder Mark Zuckerberg (gut 50 Milliarden US-Dollar Vermögenszuwachs) leisten.
Auch in Deutschland haben "unsere" 119 Milliardäre ihr Gesamtvermögen von 500,9 Milliarden Euro im März 2019 auf zuletzt 595 Milliarden Euro gesteigert. Gewinner sind vor allem die Technologie- und Gesundheitsbranche, aber eben auch Supermarkt-Eigner wie Lidl-Gründer Dieter Schwarz. Über eine Beteiligung an den Kosten der Pandemie redet dennoch kaum jemand.
Wettbewerb im Wahljahr zwischen Hardlinern und Spendierern
Immerhin streifte der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Reiner Hoffmann, das Thema. Er mahnte zunächst an, die Schuldenbremse auch über 2021 hinaus auszusetzen und verwies auf die hohe Leistung der deutschen Wirtschaft. Wer in der aktuellen Lage auf Haushaltskonsolidierung bestehe, riskiere Unternehmenspleiten und steigende Arbeitslosigkeit. "Die wirtschaftlichen und sozialen Kosten wären deutlich höher", zeigte sich Hoffmann überzeugt, denn: "Die deutsche Staatsverschuldung liegt, gemessen an der Wirtschaftsleistung, trotz Corona unter dem Niveau von vor zehn Jahren."
Und dann schloss Hoffmann mit einem wichtige und derzeit zu wenig beachteten Hinweis: Klar sei auch, dass Millionäre und Milliardäre mehr zum Gemeinwesen beitragen müssten: "Daher brauchen wir ein gerechteres Steuersystem, dass kleine und mittlere Einkommen entlastet und Gutverdiener sowie Vermögende stärker in die Pflicht nimmt."
Eines der Hauptrisiken der aktuellen Corona-Krisenpolitik, der politischen Debatte und der öffentlichen Debattenkultur ist, dass die Fragen nach dem Danach nicht hinreichend gestellt werden. Das liegt vor allem auch daran, dass der politische Zeithorizont von Regierung wie Opposition offenbar nur bis zum 26. September kommendes Jahres reicht, dem Tag der nächsten Bundestagswahl.
Angesichts der anstehenden Wahl wird die Debatte von zwei in ihrem Wirken verheerenden Fraktionen bestimmt. Auf der einen Seite stehen die Hardliner, die eine Einschränkung und einen potentiellen Abbau von Bürger- und Freiheitsrechten in Kauf nehmen, weil eine harte Linie in einer von Angst getriebenen Gesellschaft Pluspunkte bringt (80 Prozent Zustimmung zur Coronapolitik sind zu viel). Auf der anderen Seite stehen die Spendierer, die Staatsgelder mit vollen Händen, unüberlegt und zu oft sinnfrei derart verteilen, dass Großkonzerne profitieren, die wahren Verlierer aber alleine gelassen werden.
Das zu kritisieren ist alleine schon wichtig, weil die politische Quittung für die etablierten Parteien nicht ausbleiben wird. Wegen der aktuellen Performance und aufgrund der absehbaren Folgen.