Schule: Achterbahnfahrt mit Corona

Bild: Maximilian Scheffler/Unsplash

Viele hoffen auf die Wiederaufnahme des Regelbetriebs nach den Ferien. Doch die Corona-Situation macht neue Schließungen nicht unwahrscheinlich

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Haben sie denn genug gelernt? Reicht das? Kann man die Lücken aufholen? Der Schulunterricht, ohnehin Schauplatz von Ängsten innerhalb des Schulgemäuers sowie Ängsten und Grundsatzdiskussionen draußen ("Wir brauchen eine Bildungsrevolution!", Richard David Precht), gerät mit der Corona-Krise in eine Achterbahnfahrt.

Einmal geht es hoch - wir schaffen die Zukunft mit dem "Digital-Turbo", versprach Söder kürzlich aus der Bayern-Cloud - dann wieder richtig runter: "Der Leistungsabfall ist eklatant", mahnte etwa ein Bericht der Welt am Ende des vergangenen Schuljahres.

Mint-Fächer: "Schon vor Corona an Boden verloren"?

Solche Alarm-Befunde - die im Fall des Berichts der Welt auf Messungen einer US-NGO zum Leistungsabfall nach langen Sommerferien beruhen und kurzgeschlossen auf deutsche Lockdown-Verhältnisse übertragen wurden - haken sich fest. Wer Lehrerinnen und Lehrer kennt, kennt ihre Klagen über Anrufe von Eltern, die beunruhigt und nervös über den Leistungsstand ihrer Kinder wachen und das Thema in einer Dauerschleife umkreisen.

Dazu kommt die Angstmache bei den Mint-Fächern, wo sich bei den PISA-Tests jedes Mal Abstände zu den "aufstrebenden asiatischen Ländern wie China oder Südkorea" zeigen: "Tatsächlich zeigen die Schulleistungsvergleiche, dass Deutschland im Rechnen schon vor Corona an Boden verloren hatte", wird dazu Gunnar Heinsohn von der Welt zitiert.

Dann gibt es auch noch die berufstätigen Eltern, deren Nerven von den Anforderungen, die das Homeschooling an sie stellte, nach mehreren Wochen ziemlich mitgenommen waren - und schließlich die Äußerungen von Schülerinnen und Schüler selbst, die damit nicht zurechtkommen und frustriert sind. Zwischenzeitlich meldeten sich dann auch noch Ausbilder und Kritiker zu Wort, die andeuteten, dass es vielleicht ein "Corona-Stigma" gäbe, dass Abschlüsse zu Corona-Zeiten nicht den Wert hätten wie andere zuvor, weil diese Jahrgänge besonders milde bewertet würden.

So richten sich große Hoffnungen auf den Anfang des neuen Schuljahres. In ein paar Tagen schon, am 3. August, macht Mecklenburg-Vorpommern den Auftakt, während die Sommerferien in Bayern gerade erst begonnen haben und Baden-Württemberg erst am kommenden Donnerstag in die Ferien startet. Die beiden genannten Länder haben also noch einige Wochen mehr Zeit, sich auf die Lage einzustellen.

RKI: Diffuse Lage, Trendwende befürchtet

Wie sie aussehen wird, ist unklar. Im Unterschied zur letzten Zeit mit einzelnen großen Ausbrüchen sei die "Lage derzeit diffus", so RKI-Expertin Ute Rexroth. Sie und RKI-Chef Lothar Heinz Wieler zeigten sich heute auf ihrer Pressekonferenz besorgt darüber, dass sich eine Trendumkehr andeuten könne. Wiehler berichtete von mehr als 3600 Neuinfektionen in den letzten sieben Tagen. Rexroth zufolge handelt es sich um ein "deutschlandweites Geschehen" mit Ansteckungen, die "überall stattfinden": Bei Familienfeiern, bei Hochzeiten, bei Treffen mit Freunden und in Pflege- und Gesundheitseinrichtungen.

Vor einer Woche hatte die Kultusminister der Länder vereinbart, den Regelbetrieb an den Schulen wiederaufzunehmen - und dabei auch auf die Abstandsregel zu verzichten - mit der Einschränkung: "sofern es das Infektionsgeschehen zulässt".

Nach den Äußerungen der beiden RKI-Vertreter rückt die Einschränkung mehr in den Vordergrund. Die Frage ist, wie realistisch ein Regelbetrieb ist? Am liebsten würden es wahrscheinlich nicht wenige wie Trump halten und zur Aufholjagd blasen, Lernstoff aufholen, V-mäßig zurückkommen, das Virus verschwindet schon von allein. Tut es aber anscheinend nicht, wie also weitermachen?

Abgrenzungen

Laut RKI-Chef Lothar Heinz Wieler sollten die Klassen nicht gemischt werden. Sinnvoll sei es, mit einem begrenzten Kreis zu arbeiten und Treffen auch außerhalb der Schule zu reduzieren. Man kann sich vorstellen, dass das Vermeiden von Treffen außerhalb der Schule nicht lange gut auszuhalten ist, weil sie für die Kinder und Jugendlichen sehr wichtig sind, und weil die Wahrnehmung der Virus-Gefahr durch die Bevölkerung auch recht unterschiedlich ausfällt. Und auch innerhalb der Schulen sind die Abgrenzungen schwierig.

Zwar verfolgt man in Mecklenburg-Vorpommern für den Start ins neue Schuljahr eine Einteilung der Schüler in Gruppen:

Laut Bildungsministerium werden alle Klassen der Stufen eins bis vier an den Grundschulen zu einer Gruppe zusammengefasst. In den älteren Jahrgängen an den weiterführenden Schulen bilden demnach jeweils zwei Klassenstufen eine Gruppe - also alle Klassen der Stufe fünf und sechs; die siebten und achten Klassen, die Klassen der neunten und zehnten Stufe sowie die elften und zwölften Klassen. Berufliche Schulen sollen maximal 400 anwesende Schülerinnen pro Schultag als Gruppe definieren.

NDR

Aber die Einteilung wird selbstverständlich schon in ihrer Konzeption als zu pauschal und nicht situationsbezogen genug kritisiert ("Für viele Schulen wäre es leichter gewesen die Gruppen je nach Raumsituation selbst zu bilden") und der Praxistest steht noch aus. Geht es nach Beobachtungen von Eltern bayerischer Schüler, so gab es zig Situationen auf dem Schulhof und vor der Schule, etwa beim Warten auf den Schulbus, die einen grotesken Widerspruch zu den verhängten Hygieneauflagen zeigten.

"Großes Durcheinander"

Der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger, erklärte, dass lokale Schulschließungen im neuen Schuljahr nicht unwahrscheinlich sind: "Wir werden viele Schulen haben, die aufgrund von Infektionsfällen vor Ort im Einzelfall wieder geschlossen werden müssen" und dass "weder die Schulen, noch die Politik, noch die Länder ausreichend vorbereitet" seien. Man habe zunächst lange gezögert, so Meidunger, von ntv-ziert, mit welchem Konzept man die Schulen öffne. Nun falle das Abstandsgebot weg, das eigentlich das "Rückgrat der Hygieneregelungen war". Er befürchte ein "großes Durcheinander".

Geht es nach Meidinger, so lasse sich die Idee fester Lerngruppen nur bedingt umsetzen, "vielleicht an Grundschulen umsetzbar, aber kaum an einer gymnasialen Oberstufe mit Kurssystem". Dazu komme das Problem, dass für einen Vollbetrieb ohne Abstandsregeln Lehrkräfte fehlen. Bis zu 20 Prozent der Lehrer würden zur Risikogruppe gehören und könnten für den Präsenzunterricht ausfallen.

Auch bei der Digitalisierung des Unterrichts sieht Meidinger eine Kluft zwischen der Ankündigung von milliardenschweren Förder-Programmen und der Wirklichkeit, in der Fördergelder nur "tröpfeln".

In Bayern hatte die Ministerpräsident Söder ein solches Programm angekündigt. Der "Digitalplan Schule" sieht Investitionen von rund 2 Milliarden Euro in Software, Hardware und Fortbildungen bis 2024 vor. Söder hatte wie immer griffige Worte dafür:

"Bayern-Cloud" ist sein Schlagwort, eine Weiterentwicklung der bisher verwendeten Bildungsplattform Mebis. Hier kann interaktiv gearbeitet, können Videokonferenzen abgehalten und Podcasts angeboten werden. Söder: "Das ist eine Art Schul-Youtube, innerhalb der Schule als auch nach außen, abrufbar für den Unterricht und jederzeit, um Wissensvermittlung voranzubringen."

BR

Manche sehen das als Aufbruch in die Zukunft, der längst hätte passieren müssen. Die Frage wird sein, was davon ankommt - Söder macht gerne Versprechungen - und wo es ankommt. Die Kluft zwischen Schülern mit privilegierter Herkunft und solchen aus schwierigeren Verhältnissen hat sich während der Corona-Krise weiter geöffnet.