Schwarze Stunde für eine "irakische Patriotenfamilie"
Auf Onkel und Neffe Tschalabi warten im Irak Haftbefehle
Seinen Witz hat Achmed Tschalabi, der obskure Finanzjongleur und ehemalige Anwärter für höhere Aufgaben im Irak (vgl. dazu Das Ende des Dunkelmeisters), scheinbar nicht verloren: Auf seine Anklage angesprochen, die ihn der Fälschung alter irakischer Banknoten bezichtigt, gab er dem Interviewer des amerikanischen Fernsehsenders Fox zur Antwort: "Die Summe war belanglos." In der Untersuchung, die der Anklage Tschalabis seit Monaten vorausging, wurde immerhin ein Fehlbetrag von 22 Millionen US Dollar genannt, der nach der Einführung der neuen irakischen Währung verschwunden war.
Nun hat man anscheinend genug Material gegen Tschalabi gesammelt, um einen Haftbefehl gegen ihn auszustellen. Ahmed Tschalabi weilt momentan in Iran - seine "Verbindungen" zu diesem Land und seine Neigung, wichtige Geheimnisse an geneigte Ohren weiterzugeben, haben ihn letztlich die Unterstützung seiner Freunde ihm Pentagon gekostet -, will aber unverzüglich in den Irak reisen, um "kämpferisch" gegen die "politisch motivierten" Anklagen vorzugehen.
Ganz von der Hand zu weisen sind politische Motive der Allawi-Regierung nicht, da in einer wundersamen Koinzidenz auch der Neffe Tschalabis, Salem, der bis dato eine führende Rolle in der Anklage gegen Saddam innehatte, einen Haftbefehl ausgestellt bekam - im Zusammenhang mit dem Mord an ein hochrangiges Mitglied des irakischen Finanzministeriums, Haitham Fadhil, der mit der Überprüfung der Besitztümer der Familie Tschalabi betraut war. Salem Tschalabi wird vorgeworfen, dass er dem Mann mit einem Mordanschlag bedroht habe. Anders als sein Onkel fürchtet Salem seine Rückkehr in den Irak. Er sei sich dort seines Lebens nicht mehr sicher, sagte Salem Tschalabi der Presse und betonte ebenfalls, dass er Opfer einer politischen Kampagne sei.
Tatsächlich könnte Salem, sollte er schuldig gesprochen werden, Schlimmes drohen, denn die Regierung Allawi hat seit Sonntag die Todesstrafe im Irak wieder eingeführt. Doch in England, wo sich Salem momentan aufhält, ist er sicher: Es besteht kein Auslieferungsabkommen zwischen England und dem Irak.
Zwar sind die Anschuldigungen nicht unplausibel, die Rolle Achmed Tschalabis und einiger Leute seiner INC-Partei bei der Beseitigung alter Banknoten ist sehr undurchsichtig und Tschalabi ist vor Jahren in Jordanien wegen einer Bankbetrugsaffäre verurteilt worden, dennoch liegen politische Motive seitens des Gegenspielers Allawi allzu offen. Während Achmed Tschalabi für eine radikale Debaathisierung des Irak eintrat, steht Allawi für eine Rehabilitierung von Ex-Baathisten.
Allawis Partei, der Iraqi National Accord (INA), verfügt im Grunde nur über einige Gruppen von Ex-Baathisten, die unter Saddam Hussein in Ungnade gefallen waren. Der Iraqi National Congress (INC), die Partei der Ahmed Tschalabi vorsteht, verfügt dagegen über weit stärkere Mitgliederzahlen und ein stärkeres politisches Gewicht. Dazu kommt, dass sich Tschalabi in letzter Zeit sehr geschickt als "irakischer Patriot" bei den Kurden, bei Sistani, bei Muqtada und SCIRI-Chef Asis al-Hakim, also bei den unterschiedlichsten schiitischen Gruppierungen im Irak (und darüber hinaus auch in Iran) präsentiert hat, einer Bevölkerungsgruppe, mit der Premierminister größte Schwierigkeiten hat. Die Chancen, dass der politische Fuchs Tschalabi bei den künftigen Wahlen ins Parlament gewählt würde und dort eine einflussreiche Stellung einnehmen könnte, wären gegeben gewesen. Jetzt wohl nicht mehr.