Das Ende des Dunkelmeisters

Irak: Ahmed Tschalabi, einstiger Liebling des Pentagon, wird demontiert

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Er war der "Oberpuppenführer". Sobald das Wort vom puppet regime im Irak fiel, wusste jeder, wer damit im Besonderen gemeint war: Ahmed Tschalabi, Regierungsratmitglied und Vorsitzender des INC (Iraqi National Congress). Unbeliebt bei der irakischen Bevölkerung galt Tschalabi als Protegé des Pentagon. Bis man ihn am Donnerstag fallen ließ.

Mit dem iranischen Präsidenten Mohammed Khatami im Dezember 2003

Das spektakuläre Ende einer wunderbaren Freundschaft: Am Donnerstag gegen halb zehn Uhr Ortszeit wurde Tschalabi nach eigenen Angaben von bewaffneten Männern aus dem Bett geholt. Irakische Militärpolizisten durchsuchten seine mondäne Residenz und Räume der INC-Partei nach Beweismaterial. Die offizielle Begründung für die Hausdurchsuchung, welche die Wohnräume des einstmaligen Jokers von Cheney in ein Chaos verwandelten, wurde vorgestern noch damit begründet, dass man nach Männern im Umfeld des INC gesucht habe, gegen die ein Haftbefehl wegen Autodiebstahls vorlag.

Der Spartakus vom Irak

Doch Gerüchte, die schon seit längerem im Irak kursieren, erzählten von ganz anderen Vergehen, die für das Aufgebot an amerikanischen Panzern, irakischer Militärpolizei und Geheimdienst-Personal vor dem Haus Tschalabis gesorgt haben: Der Spartakus vom Irak, wie Tschalabi zu Anfang des Irak-Konflikts noch genannt wurde, soll an Betrugsmanövern im Zusammenhang mit Wiederaufbauverträgen beteiligt gewesen sein und versucht haben, Regierungsgeld vor der Machtübergabe auf Konten des INC zu schleusen. Dazu kamen Mutmaßungen über eine Beteiligung von Tschalabi-Milizen (die letztes Jahr noch vom Pentagon in den Irak eingeflogen wurden) an "verbrecherischen Aktivitäten".

Gestern Mittag (Ortszeit Bagdad) gab der zuständige Untersuchungsrichter die Anklagepunkte bekannt: Betrug, Entführung und "damit verbundene Delikte". Namentlich aufgeführte Personen aus dem Umfeld Tschalabis sollen an "Verbrechen beteiligt gewesen sein, die gegen Iraker begangen wurden. Eine kleine Gruppe wurde von diesen Kriminellen festgehalten und gefoltert. Darüber hinaus gab es eine Anzahl von Entführungen und auch Morden - aus persönlichen Gründen. Dazu kommt, dass sie Regierungseinrichtungen übernommen haben."

Der letzte Anklagepunkt deckt sich mit Vorwürfen, die schon seit geraumer Zeit in Richtung Tschalabi und INC geäußert wurden: dass ganze Ministerien in die Hand von Tschalabis Leuten gelangt seien und er über eine Menge geheimer Dokumente und Akten verfüge. So habe Tschalabi wichtiges Material über Öl-Geschäfte während des "Oil for Food"-Programms. Dass die Suche nach Autodieben vielleicht nur ein opportuner Vorwand für ganz andere Verdachtsmomente waren, dafür spricht nicht zuletzt auch die Beute der Hausdurchsucher: Computer und Akten.

Am gestrigen Nachmittag sorgten dann zwei weitere Enthüllungen für Furore. Tschalabi soll Geheimmaterial an Iran weitergegeben haben und die Polizei soll einer Newsweek-Meldung zufolge nach Dokumenten gesucht haben, die den Verdacht bestätigen, dass der INC in großem Maßstab von der Einführung der neuen irakischen Währung profitierte, indem alte Geldscheine, die von einer INC nahen Firma auftragsgemäß verbrannt werden sollten, über Nachbarländer wieder in den Wirtschaftskreislauf eingeschleust wurden. Einige der Geldscheine, die wieder auftauchten, hatten noch Brandspuren.

Auch wenn Besatzungschef Bremer offiziell betont, dass die Razzia in Tschalabis Haus und in den Räumen des INC eine irakische Angelegenheit seien, die bislang nur nicht durchgeführt worden war, weil den irakischen Ermittlungsbehörden die Durchsetzungsmöglichkeiten fehlten und eine zehn Monate alte Anklageschrift des irakischen Central Criminal Court als Beleg für eine rein wirtschaftskriminalistische Begründung vorschiebt, deutet vieles darauf hin, dass Tschalabi auch politisch "fällig" war.

Heroes in errors

Am letzten Wochenende hatte der amerikanische Außenminister Collin Powell zum ersten Mal offiziell bekannt gegeben, dass die USA von Tschalabi im Vorfeld des Irak-Krieges absichtlich irregeführt wurden, was die Informationen über Massenvernichtungswaffen im Land anbelangte. (Tschalabi selbst tat seine Irrtümer locker mit dem Hinweis ab, man sei eben Heroes in errors gewesen und Hauptsache sei schließlich, dass der Diktator verjagt wurde). Letzte Woche wurden auch die monatlichen Zahlungen an den INC - 340.000 Dollar - eingestellt.

Seit UN-Vermittler Brahimi mit seinen Vorschlägen eines Caretaker-Governments (vgl. "Sie sind nicht glücklich, dass sie besetzt sind"), das den Regierungsrat ablösen soll, auf den Plan trat, setzte sich Tschalabi, der seine Position im Irak gefährdet sah, von den Amerikanern zunehmend ab und spielte lauthals den Mann des "irakischen Volkes", der die Besatzung der Amerikaner immer heftiger kritisierte. Sobald Bremer irgendwo auftauchte, zog sich Tschalabi zurück. Die beiden wurden sich spinnefeind.

Der Streit entzündete sich vor allem an Bremers Versuchen, ehemalige Mitglieder der Baath-Partei in die amerikanische Besatzungspolitik wieder einzubinden - wie etwa in Falludscha -, nachdem man in der amerikanischen Führung zu dem Schluss gekommen war, dass die frühzeitige Auflösung der irakischen Armee aus Gründen der "Debaathisierung" ein politischer Fehler war, für den man vor allem Tschalabis eigene machtpolitische Interessen verantwortlich machte.

Die Demontage Tschalabis deutet darauf hin, dass das State Department in der Rivalität zur derzeit stark kritisierten Pentagon-Führung augenblicklich Oberwasser hat. Der Einfluss der neokonservativen Strategen scheint geringer geworden zu sein. Es gibt jedoch Kritiker, die anmerken, dass den USA mit diesem Schritt gegen den INC nur mehr wenig Verbündete im Land blieben, nachdem man schon die Sunniten verprellt habe und die Schiiten im Augenblick durch massives militärisches Vorgehen in der allernächsten Nähe heiligster Kultstätten immer mehr verärgere.