"Sie sind nicht glücklich, dass sie besetzt sind"

Irak: Ein "Caretaker-Government" soll den Weg aus der Krise weisen

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Für den US-Army-Blogger war es eine "typische Woche" im Irak. Die irakischen Arbeiter, die sich tagelang nicht auf die Militärbasis nördlich von Bagdad gewagt hatten, aus Angst, dass sie als Kollaborateure identifiziert und getötet würden, reihten sich wieder in die Schlange derer ein, die sich den Lohn für ihre Arbeit abholen. "So hatten wir einige interessante Tage, aber heute ging wieder alles seinen normalen Gang."

Unterdessen werden die Kämpfe in Falludscha trotz des ausgerufenen Waffenstillstands fortgesetzt. Die Zahl der Toten auf irakischer Seite beträgt laut Schätzungen zwischen 500 und 700, unter den Opfern viele Frauen und Kinder. 93 US-Soldaten sind bislang bei Kampfhandlungen im April gefallen. Noch immer werden 40 Geiseln von "militanten Kräften" festgehalten. Gestern wurde bekannt, dass eine italienische Geisel getötet wurde.

Dies ist meine persönliche Meinung, ich denke aber, dass es hier wirklich schlimm steht. Nach meiner Erfahrung haben wir es mit der größten Unsicherheit seit dem Ende von Saddams Regime zu tun. Ist es eine Krise? Es fühlt sich so an. Ob sich die US-Regierung erholen wird? Wahrscheinlich. Aber man hört definitiv, dass die Iraker einen entscheidenden Wechsel des Zugangs zu ihnen verlangen - vielleicht weniger eine militärische Antwort, lieber eine politische und ein größeres Vertrauen auf irakische Stimmen, andere als die, welche im Regierungsrat sitzen.

Anthony Shadid, Pulitzerpreisträger 2004 für die Irak-Berichterstattung in der Washington Post

"Wir hörten von vielen Klagen, die unbedingt angesprochen werden müssen", sagte gestern Lakhdar Brahmini, der Irak-Berater des UN-Generalsekretärs, zum Abschluss seines 10tägigen Besuchs im Irak und servierte in "ungewöhnlich scharfer Form", wie es hieß, eine kritische Breitseite gegen Bremers Politik. Er richtete sich vor allen Dingen gegen das amerikanische Vorgehen in Falludscha, gegen die Gefangennahme vieler Iraker ohne Gerichtsverhandlungen (vgl. Den Strahl im Fenster bet' ich an) und gegen die Entlassung "tausender qualifizierter Personen" wegen ihrer Verbindungen zur Baath-Partei - "ein schwerwiegender Fehler". Gleichwohl gab er den neuesten US-Plänen Rückendeckung, wonach von der Machtübergabe bis zu den Wahlen im nächsten Jahr ein Premierminister, ein Präsident, zwei Vizepräsidenten und ein "caretaker government" (geschäftsführende Regierung) bestimmt werden sollen und der Regierungsrat aufgelöst wird.

Ob dies eine probate Lösung ist - so sollen nach Brahminis Vorschlag "irakische Männer und Frauen, die für ihre Ehrlichkeit, Integrität und Kompetenz bekannt sind" bestimmt werden - oder eher die Gelegenheit zu einem weiteren schwerwiegenden Fehler, wird sich einmal mehr darin zeigen, ob sich der neokonservative Nukleus in der US-Regierung mit seinen Vorstellungen durchsetzen kann. Ahmed Tschalabi gilt in diesen Kreisen seit langer Zeit als der Mann für den Irak.

Tschalabi ist aus vielen Gründen umstritten. Er hat lange Zeit im Exil gelebt, viele Jahre in den USA. Er war in dubiose Geschäfte in Jordanien verwickelt, wo man ihn wegen Bankbetrug verurteilt hat, und er ist in dubiose Geschäfte im Irak verwickelt. Es gibt plausibel begründete Mutmaßungen darüber, dass er die treibende Kraft hinter der Konfrontation der USA mit Muqtada as-Sadr ist. Tschalabi unterhält eine eigene Miliz im Irak, die, wie von Bloggern behauptet wird, in Falludscha gegen die Aufständischen kämpft.

Auf jeden Fall wäre eine politisch prominente Positionierung Tschalabis im Irak nach der Machtübergabe ein deutlich provokantes Signal. Es würde darauf verweisen, dass die Amerikaner keineswegs gewillt sind, den Irakern größere Souveränität über ihr Land einzuräumen.

Wie der amerikanische Soziologe und Fachmann für die "Dynamik von Aufständen", Michael Schwartz, in einer lesenswerten Analyse darlegt, gab Bremers Ankündigung Ende März, wonach bedeutende amerikanische Truppenbestände im Irak bleiben würden (auf 14 Militärbasen verteilt) - "egal, ob die neue Regierung ihren Abzug fordern würde" - im Zusammenhang mit Äußerungen, die auf einen "signifikanten Einfluss" der Amerikaner auf Energieversorgung, Kommunikationswesen und andere Infrastruktur nach der "Machtübergabe" deuten, die Initialzündung für den Aufstand der Schiiten.

Schwartz zitiert eine erste Reaktion auf die Bremersche Ankündigung von Anfang April:

Die Wiedererlangung der nationalen Souveränität zu einem Zeitpunkt nicht später als Juni ist das Schlüsselversprechen, welche die Besatzungsmacht der schiitischen Führung gab. Natürlich sollte dem das Ende der Besatzung vorangehen. Dieser Plan fixiert allerdings die Besatzung und legitimiert ihre Präsenz. Nach diesem Entwurf werden sich die USA über die Formierung einer nationalen Regierung hinwegsetzen und die Anwesenheit von Besatzungstruppen für eine unbestimmte Dauer legitimieren.

Supreme Council, Voice of the Mujahidin

Zu welchen Folgen die angestaute Wut der Schiiten geführt hat, ist mittlerweile bekannt. Ob die amerikanisch geführte Besatzung daraus gelernt hat, noch nicht. Wie James Fallows in seinem mehrseitigen Essay über die Vorbereitungen zum Irakkrieg feststellt, hat sich vor allem die Führung im Pentagon, Rumsfeld, Wolfowitz und Feith, keinen Deut um die detaillierten und fundierten Expertisen, die es in Hülle und Fülle gab, gekümmert, welche genau die Schwierigkeiten prophezeiten, mit denen die Besatzer seit Monaten zu kämpfen haben.

Und sie waren glücklich - sie sind nicht glücklich, dass sie besetzt sind. Ich wäre auch nicht glücklich, wenn ich besetzt werden würde. Sie wollen uns dort haben, damit wir ihnen helfen, dass sie sicher sind, und genau deswegen ist die Übergabe der Souveränität ein wichtiges Signal, das wir senden müssen, und darum ist es auch wichtig für sie, dass sie es hören, dass wir mit ihnen zusammenhalten, bis sie ein freies Land werden.

George W.Bush