Schweden: Die "Großmacht der Humanität" dankt ab
"Ich muss leider sagen, dass Schweden naiv war", sagte Ministerpräsident Löfven und verabschiedete sich von der liberalen Migrationspolitik
Es war eine Zäsur - am vergangenen Dienstag kündigte die schwedische Regierung umfassende Verschärfungen beim Asylrecht an und verabschiedete so seine liberale Migrationspolitik, für die das Land bewundert und angefeindet wurde.
So wird ein unmittelbarer Aufnahmestopp aller Asylsuchenden umgesetzt, abgesehen von den im Juli innerhalb der EU festgelegten Quoten-Flüchtlingen, die Griechenland und Italien entlasten sollen. Auch wird die Familienzusammenführung eingeschränkt, sie soll nur noch für Kinder gelten. Zudem soll die Versorgung der Migranten reduziert werden. An allen Grenzen wird wieder die Ausweispflicht eingeführt, diese hatte Schweden kürzlich bei Fähren aus Deutschland schon umgesetzt, mit denen viele Flüchtlinge anreisten.
Die neuen Bestimmungen sollen spätestens im April in Kraft treten und auf drei Jahre begrenzt sein. Doch die Umstände, in denen derzeit die Flüchtlinge leben müssen, ein Teil der Ankommenden in Malmö schlief am vorletzten Wochenende bei Schneetreiben im Freien, weisen eher auf eine baldige Umsetzung der Gesetze hin. Die schwedische Ausländerbehörde "Migrationsverket" geht für dieses Jahr von 190.000 Asylsuchenden in dem skandinavischen Land aus. Im Juli lag die Prognose noch bei 66.000 bis 80.000 Personen.
Der sozialdemokratische Ministerpräsident Stefan Löfven war persönlich nie ein so großer Freund der offenen Einwanderungspolitik, doch musste er Rücksicht auf den grünen Koalitionspartner nehmen, der die Flüchtlingshilfe zum Kern seines Politikverständnisses machte. Doch Schweden sah sich mehr und mehr isoliert. Vergeblich appellierte Löfven an die EU-Regierungschefs, mehr Solidarität zu zeigen und einen Teil der Flüchtlinge in Deutschland und Schweden bei sich aufzunehmen. Nach dem Terroranschlag in Paris kamen Sicherheitsbedenken hinzu, auch bezüglich der Asylsuchenden.
"Ich muss leider sagen, dass Schweden naiv war", gestand Löfven auf der ersten Pressekonferenz nach den Anschlägen.
Die harte Entscheidung vom Dienstag wird von Teilen der Sozialdemokraten und der Grünen kritisiert. Jonas Sjöstedt, der Chef der Linkspartei, die letztes Jahr aus der Regierungspartei ausgestiegen ist, wurde sogar in seinem Vorwurf "weihnachtlich": Schweden sei "ein Licht im Dunkel in diesem Herbst" gewesen. Doch nun habe Schweden dieses Licht ausgelöscht.
Die rot-grüne Regierung steht nun vor einer Zerreißprobe
Die rechtspopulistischen Schwedendemokraten (SD) sehen sich in ihrer migrationsfeindlichen Linie bestätigt. Sie glauben jedoch, was zu erwarten war, dass die Einschränkungen nicht weit genug gehen und zu spät sind. Die Regierungspolitik sei eine Kopie der Linie der Schwedendemokraten, sagte Parteichef Jimmie Akesson. Doch der harte Kurs der Regierung könnte der Partei den Wind aus dem Segel nehmen. Nach Umfragen liegen sie bei zwanzig Prozent, knapp hinter den Sozialdemokraten und der wichtigsten konservativen Partei, den Moderaten. Es gibt jedoch Umfragen, die ihnen noch höheren Stimmenanteil zuschreiben.
Die rot-grüne Regierung steht nun vor einer Zerreißprobe. Asa Romson, die grüne Vizeregierungschefin, vergoss Tränen, als sie die Verschärfungen vor der Presse mittragen musste. Dafür wurde sie in dem Land, wo Frauen nicht mehr weinen dürfen, hart kritisiert. Nun will sie sich von einer harten Seite zeigen, zumal die Partei gespalten ist. Einen weiteren Schritt will sie jedoch nicht mitgehen. Sollte Löfven auf den Vorschlag der oppositionellen liberal-konservativen "Moderaten" eingehen, Migranten direkt an der Grenze abzuweisen, ohne ihre Asylberechtigung zu überprüfen, wollen die Grünen die Koalition aufkündigen, was Neuwahlen gleichkäme.
Dann würden die Karten neu gemischt. SD-Chef Jimmie Akesson umwirbt schon die "Moderaten" und die Kleinpartei "Christdemokraten" für eine mögliche Zusammenarbeit. Zwar gilt offiziell noch das Dezemberabkommen, eine Übereinkunft von 2014, Minderheitsregierungen nicht zu blockieren und mit den Schwedendemokraten keine Koalition einzugehen. Doch dieses Konstrukt bröckelt (Schwedendemokraten könnten dank Flüchtlingskrise zur Volkspartei werden). Auch die Grünen könnten sich den Konservativen annähern, in Sachen Steuern soll es schon Übereinstimmungen geben.
Die Veränderungen in Schweden erschüttern auch Dänemark
Im sonst so migrationsskeptischen Land, deren Regierung wie Presse lange Schwedens offene Politik kritisiert hatten, fürchtet man derzeit einen sich abschottenden Nachbarn. "Ich hoffe, dass sich dies schrittweise in Schweden entwickelt", meinte der Integrationsminister Inger Stöjberg.
In Dänemark stauen sich nun die Flüchtlinge auf dem Weg nach Schweden. Und nicht alle wollen weiter. In der letzten Zeit stellten über tausend Menschen pro Woche einen Asylantrag in Dänemark.
Ministerpräsident Lars Lökke Ramussen erklärte jetzt, man wolle die einstige Zustimmung gegenüber der EU, 1000 Flüchtlinge aus Griechenland und Italien aufzunehmen, wieder zurückziehen.
Die schwedische Tradition der Überwachung wird beibehalten
Der Andrang der Flüchtlinge in Schweden ist weiterhin hoch, sie ist zwar seit dem 12. November, seit den temporär angesetzten Grenzkontrollen, leicht gesunken, doch waren es beispielsweise am 26. November 1.075 Migranten.
Als "Großmacht der Humanität", wie die Bewohner ihr Land teils stolz, teils leid voll bezeichnen, hat Schweden wohl erstmal abgedankt. Ihre Gründung liegt übrigens fast genau fünfzig Jahre zurück: am 25. Dezember 1965 schwor Olof Palme, damals noch Verkehrsminister, die Schweden in seiner berühmten Weihnachtsansprache im Radio angesichts der internationalen Konflikte auf die Aufnahme von mehr Asylsuchenden ein und forderte mehr Empathie mit den Ausländern in und außerhalb Schwedens. Die Asylsuchenden sollten die klassischen Gastarbeiter abzulösen, welche man dann mittels kostenlosem und intensivem Sprachunterricht versuchte, rasch in den schwedischen Staat und in das schwedische Arbeitsleben einzugliedern.
Eine Tradition bleibt jedoch bestehen und wird weiter ausgebaut - die der Überwachung. Schon lange ist Schweden für seinen "gläsernen Bürger" und den weit weniger transparenten Staat bekannt. So darf seit sieben Jahren eine Geheimdienstbehörde den Internetverkehr der Schweden mit dem Ausland abschöpfen.
Auf der ersten Konferenz nach dem Terroranschlag gab die schwedische Regierung bekannt, der Polizei eine größeren Spielraum bei der Datenablese und Speicherung zu geben, so sollen Trojaner bei Verdächtigen eingesetzt werden. Auch die Regelung für Kameraüberwachung soll "aufgelockert" werden, so der Premier. Zudem drängt Schweden die EU, biometrische Informationen an den Schengengrenzen im Pass zu vermerken.
In der Pressekonferenz am 24. November wurde zudem angekündigt, dass für Asylsuchende eine medizinische Altersbestimmung verpflichtend werde, um herauszufinden, ob die Person als Kind einzustufen ist. Dies ist für die Familienzusammenführung entscheidend.
Die Sorge geht nun um, dass der schwedische Staat zu Kompetenzüberschreitungen neigt, was die Überwachung der Bürger angeht. "Hat sich der Staat mal ein Zwangsmittel zu eigen gemacht, so lässt er es nicht so schnell wieder los", so die Einschätzung des "Expressen".