Schwedendemokraten könnten dank Flüchtlingskrise zur Volkspartei werden
Der (mögliche) Wandel zu einer "Volkspartei" ist auch der Wirtschaft nicht entgangen
Schweden ist nach Deutschland das beliebteste Ziel der Flüchtlinge auf der Balkanroute. Die vielen Asylsuchenden überfordern derzeit die Regierung, gleichzeitig wächst die Zustimmung für die rechtspopulistische Partei Schwedendemokraten (SD). Auch die Wirtschaft nimmt die Partei mittlerweile ernst und sucht das Gespräch.
Pro Tag kommen in Schweden 1000 Flüchtlinge an. "Die Lage ist sehr beschwerlich", so der Kommentar des "Migrationsverket", der Ausländerbehörde des skandinavischen Landes mit 9,7 Millionen Einwohnern. Ein kürzlich entworfener Krisenplan wird gerade neu ausgearbeitet. Sollten die Flüchtlingszahlen weiter steigen, müssten "unorthodoxe Methoden" angewendet werden, die nicht näher erläutert wurden.
Die Schwedendemokraten, die in den meisten Medien des Landes populistisch genannt werden, sich selbst als "sozialkonservativ" definieren, erzielen derzeit bei Umfragen mit 27 Prozent vor den regierenden Sozialdemokraten die höchsten Werte. Andere Erhebungen zeigen jedoch weit niedrigere Zahlen. Doch der Trend zu der Partei, die als nationalistische und fremdenfeindliche Bürgerinitiative in den späten 1970er Jahren begonnen hatte, ist unbestreitbar.
SD-Parteichef Jimmie Akesson will die Aufnahme von Flüchtlingen stark begrenzen und verlangt, in Krisengebieten vor Ort zu helfen. Das großzügige Wohlfahrtssystem locke immer Menschen an, meint der 36-Jährige, der in seiner Jugend den konservativen "Moderaten" zugeneigt war und ein wenig wie der Leiter einer Bankfiliale ausschaut.
Wie viele Flüchtlinge noch aufgenommen werden sollen, verrät Akesson jedoch nicht. Doch Vorstöße, eine Volksumfrage zur Flüchtlingspolitik umzusetzen, tragen zur Popularität der Partei ebenso bei wie die Tatsache, dass die sozialdemokratisch-grüne Koalition derzeit versucht, das Thema nicht zu oft anzusprechen.
Der sozialdemokratische Premierminister Stefan Löfven nennt die Partei "neofaschistisch". Doch die Ächtung der Schwedendemokraten, das Ausschließen als politischer Partner, zu der sich die anderen Parteien im schwedischen Reichstag im Dezember verpflichtet hatten, bröckelt. Zwar wurde SD-Chef Jimmie Akesson von einer Besprechung der Reichstagsparteien Anfang September ausgeschlossen. Doch vor allem in Schonen, einer Region mit hohem Migrantenanteil, wollen die Moderaten, die ehemalige Regierungspartei, mit den Schwedendemokraten zusammen arbeiten.
Löfven steht einer Minderheitsregierung aus Sozialdemokraten und Grünen vor, die sich bei Linken und Konservativen um Mehrheitsverhältnisse mühen mussten. Das Abstimmungsverhalten der Schwedendemokraten, die sich als die "einzige Opposition" bezeichnet, brachte die Koalition im Dezember an den Rand von Neuwahlen (Schwedische Minderheitsregierung beschließt Neuwahlen).
Auch die Wirtschaft wendet sich den Schwedendemokraten zu
Der (mögliche) Wandel zu einer "Volkspartei" ist auch der Wirtschaft nicht entgangen. Die schwedische Wirtschaftslobby hat sich darum "heimlich" mit Vertretern der Schwedendemokraten getroffen. "Das ist eine große Reichstagspartei und wir behandeln sie wie alle anderen Parteien auch, auf die wir einwirken wollen", sagte der Pressesprecher von "Svenskt Näringsliv", dem größten Arbeitgeberverband des Landes.
In dem Gespräch ging es um "Gewinne in der Wohlfahrt". Seit Jahren ein Reizthema, bei dem die Rolle von privaten Firmen im schwedischen Sozialwesen diskutiert wird. Die konservativen Parteien und der Arbeitgeberverband fordern mehr Einfluss, die regierenden Sozialdemokraten sind hier gespalten. Die SD war als Partei der kleinen Leute und der "wahren Sozialdemokraten" bis vor kurzem dagegen und hat nun anscheinend auf Einfluss des Arbeitgeberverbands die Meinung gewechselt.
Auch wurde der in Wirtschaftsfragen eher unsicheren Partei, so die Selbstauskunft, nahegelegt, gegen eine Steuerabgabe zu stimmen, die der schwedische Staat von jedem Unternehmer pro Arbeitnehmer erhebt (Löneavgift). Die Interessenvertreter der Wirtschaft sind mit Löfven schon lange unzufrieden. Die Steuerbelastung und die Arbeitskosten seien zu hoch, so dass es weniger Jobs für die Arbeitssuchenden gebe.
Mittlerweile haben die schwedischen Unternehmer nach einer Umfrage dreimal so viel Vertrauen in Jimmie Akesson (18 Prozent) als in den 58-jährigen Stefan Löfven. An dem Treffen soll die PR-Agentur Kreab mitgewirkt haben, deren Chef Peje Eriksson Mitglied der Moderaten ist, die im letzten Herbst von den Sozialdemokraten abgelöst wurden. Somit kämen die Schwedendemokraten bald als Koalitionspartner der konservativen Parteien in Frage - auch wenn das auf Landesebene noch nicht diskutiert wird. Neuwahlen werden ja immer mal wieder angeregt.
Allerdings haben die Rechten nun ein Glaubwürdigkeitsproblem, schließlich verstehen sie sich als soziale Partei, die den Traum der schwedischen Gemeinschaft, das "Volksheim" beschwören. Auch wird sich die ersehnte harsche Einwanderungspolitik der Schwedendemokraten kaum mit der liberalen Linie der Moderaten in Einklang bringen. Die sozialdemokratische Zeitung Aftonbladet sieht dennoch schon die Wandlung in eine neoliberale Law-and-Order-Partei heraufziehen.
Das Treffen, das Löfven selbstverständlich kritisierte, ist für die Sozialdemokraten in vieler Hinsicht schmerzhaft, auch historisch: Denn der Arbeitgeberverband Svenskt Näringsliv ist seit 2001 der Nachfolger des "Svenska Arbetsgivaföreningen" (SAF). Der sozialdemokratische Premierminister Per Albin Hansson konnte 1935 den SAF und den Gewerkschaftsdachverband LO zu Gesprächen zusammenbringen, um die jahrelangen bürgerkriegsähnlichen Arbeitskämpfe zu beenden. Das Saltsjöbaden-Abkommen von 1938 beider Gruppen führte zu einem besseren Konsens zwischen ihnen und gilt als Grundlage des "Schwedischen Modells". Doch nach Konsens sieht es derzeit in Schweden nicht aus.