Schweden: Ministerpräsident von Gnaden der Rechten
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Formell tragen die ultrarechten "Schwedendemokraten" in der neuen Regierung keine Verantwortung, haben aber entscheidenden Einfluss. Das könnte auf Regierungschef Kristerssons "Moderate" zurückfallen. Einige wählen vielleicht bald das Original.
Wenn Ulf Kristersson nun den Amtseid als neuer Ministerpräsident ablegt, mag es so aussehen, als bekäme Schweden nur einfach mal wieder eine bürgerliche Regierung. Es wird keine Minister aus den Reihen der Schwedendemokraten geben.
Doch der Schein trügt. Kristersson und seine gesamte Regierungstruppe verdanken ihr Amt den Zugewinnen der SD, und diese haben sich ihre Zustimmung mit größtmöglichen inhaltlichen Zugeständnissen erkaufen lassen. Damit folgt Schweden dem aktuellen Trend zu nationalistischer Politik, wenn auch mit einigen landesspezifischen Besonderheiten.
Minderheitsregierungen haben eine starke Tradition in Skandinavien. Die Regierung, die nun in Schweden antritt, ist allerdings ein äußerst seltsames Konstrukt. Denn die drei Fraktionen, die nun die offiziellen Ämter bekleiden – Moderate, Christdemokraten und Liberale – haben zusammen weniger Sitze (103) als die größte Oppositionspartei, die Sozialdemokraten (107). Sie haben außerdem alle bei der Wahl Stimmen verloren. Der vielbeschworene "Wechsel" wurde nur dank der Zugewinne möglich, die die Schwedendemokraten einfuhren.
SD wurde mit 73 Sitzen zweitstärkste Kraft im Parlament und hat mehr Sitze als Ulf Kristerssons Moderate (68). Warum die Schwedendemokraten als die eigentlichen Zugpferde dieses Blocks nicht auch in die offizielle Regierung eingehen, ist nicht offiziell begründet worden. Der SD-Vorsitzende Jimmie Åkesson machte deutlich, dass er gerne Teil einer Mehrheitsregierung geworden wäre – aber noch wichtiger sei es gewesen, sich in der Sachpolitik durchzusetzen.
"Åkessons Regierung und Politik, ausgeführt von Ulf Kristersson"
Damit hatte er definitiv Erfolg. "Wir stimmen heute ab über Jimmie Åkessons Regierung und Politik, ausgeführt von Ulf Kristersson", sagte Annie Lööf von der Zentrumspartei vor Kristerssons Wahl zum Ministerpräsidenten am Montag.
Die Inhalte dieser neuen Regierungspolitik wurden im "Tidöavtalet" festgelegt, benannt nach dem Schloss, in dem die Verhandlungen stattfanden. Darin wird unter anderem zugesichert, dass die Kooperationspartner gleichen Einfluss haben, ob sie nun offiziell der Regierung angehören oder diese nur unterstützen.
Es wird sogar ein eigenes Gremium geschaffen, um die Kooperation in den verabredeten Bereichen zu koordinieren. Wenig überraschend gehören Kriminalität und Migration zu diesen Bereichen. SD konnte sich hier auf voller Linie durchsetzen: Der neue Fokus liegt auf schärferen Strafen und einer Beschränkung von Einwanderung und Asylrecht, soweit das nur irgendwie möglich ist.
Die geplanten Visitationszonen werden erfahrungsgemäß vor allem diejenigen treffen, die nicht blond und blauäugig sind, und das neue Kriterium "Lebenswandel" für Aufenthaltsgenehmigung und Einbürgerung öffnet die Tür sperrangelweit für Willkür. Darüber hinaus soll die Reaktivierung von alten Atomkraftwerken und der Bau von neuen als Allzweckwaffe dienen: massenhaft Energie für die Verbraucher, die sowohl billig als auch fossilfrei sein soll.
Ulf Kristersson wird seine Gründe haben, warum er die Regierungsverantwortung (noch) nicht mit SD teilen will. Vor vier Jahren war seine Partei schließlich noch mit dem Versprechen in die Wahl gegangen, niemals mit SD zu kooperieren. Dieses Versprechen hatte er auch der Holocaust-Überlebenden Hédi Fried gegeben.
Es gibt auch immer wieder SD-Politiker, die mit Sprüchen auffallen, die einem seriösen Bürgerlichen normalerweise ein Graus sind. Zuletzt Rebecka Fallenkvist, die erst nach dem Wahlerfolg ein "Sieg Heil" in "Erfolgreiches Wochenende" umbiegen musste (Hell Seger/Helg Seger) und dann Anne Frank verunglimpfte, weshalb sie nun von ihrem Parteijob suspendiert ist.
Das Ergebnis dieses aktuellen Konstrukts ist jedoch, dass nun eine Partei entscheidenden Einfluss auf die Regierung hat, die keine formelle Verantwortung trägt. Man muss die SD nicht mögen, um das aus demokratietheoretischen Gründen bedenklich zu finden.
Nationalistische Parteien im Norden
Das Wahlergebnis vom 11. September 2022 hat international Aufmerksamkeit erregt. Was den Einfluss nationalistischer Parteien betrifft, ist Schweden jedoch eher "late to the party". Das gilt zum einen im nordischen Kontext. In den übrigen nordischen Ländern sind diese schon viel weiter gekommen. In Dänemark war die Dansk Folkeparti um Pia Kjærsgaard bereits zwei Mal Stützpartei für eine rechte Minderheitsregierung. Einwanderungskritische und rassistische Ideen waren aber zuletzt sogar Teil der offiziellen Politik von Sozialdemokratin Mette Frederiksen.
In Norwegen machte die Konservative Erna Solberg die nationalistische Fremskrittspartiet, die Fortschrittspartei, zuerst zur Stützpartei und dann sogar zur offiziellen Regierungspartnerin. In Finnland regierte Juha Sipilä zunächst mit den Perussuomalaiset, den "Wahren Finnen", bis diese den bekannte Nationalisten Jussi Halla-aho zum Vorsitzenden wählten.
Es spaltete sich der Teil um den früheren Parteivorsitzenden Timo Soini ab, der Sipilä weiterhin unterstützte. Die Wahren Finnen gingen in die Opposition und wurden 2019 mit 17,5 Prozent zweitstärkste Partei. Timo Soinis Gruppierung kam nicht mehr ins Parlament.
Diese nordischen nationalistischen Parteien überschneiden sich zwar teilweise ideologisch, aber nicht ganz, und haben auch alle unterschiedliche Traditionen. So entstammt die norwegische Fremskrittspartiet eher dem Wirtschaftsliberalismus, während die Schwedendemokraten ihre Wurzeln zweifelsfrei in Neonazi-Organisationen haben – aber gleichzeitig damit locken, den schwedischen Wohlfahrtsstaat wieder aufzubauen, nur für Schweden eben.
Im Europaparlament arbeiten die nordischen nationalistischen Parteien auch nicht zusammen: Dansk Folkeparti und die Wahren Finnen haben sich "Identität und Demokratie" angeschlossen, zu der auch Vlaams Belang, die italienische Lega und ein Großteil der AfD gehören. Die Schwedendemokraten sind Teil der Europäischen Konservativen und Reformisten, wie Giorgia Melonis Fratelli d'Italia und die polnische PiS.
Die nationalistische Welle
Die Nachricht vom Wahlerfolg der Schwedendemokraten wurde recht schnell überholt von der Nachricht vom Wahlsieg Melonis in Italien. Der schwedische Historiker Mikael Nilsson fordert dazu auf, das Ding beim Namen zu nennen: Sowohl SD als auch Melonis Fratelli d' Italia seien neofaschistisch – und sie würden das nicht weniger, nur weil viele Leute dafür stimmten. Die Konservativen sollten aufhören, diese Ideologie schönzureden, um ihre Kooperation zu rechtfertigen.
Gerne wird auch vom "Rechtspopulismus" gesprochen, was allerdings ein sehr unspezifischer und verharmlosender Begriff ist. Der deutsche Soziologe Wilhelm Heitmeyer empfahl stattdessen schon 2018 lieber den Begriff "autoritärer Nationalradikalismus" für die ideologische Einordnung von Gruppierungen wie der AfD. Dieser Begriff passt auch für Viktor Orbán in Ungarn oder die PiS in Polen.