Schweden: Steilvorlage für die Rechten

Die Abstimmknöpfe auf den Tischen im schwedischen Reichstag. Pressefoto: Melker Dahlstrand

Streit um den Ausschluss oder die Integration der rechten Schwedendemokraten zwischen rotgrüner Regierung und Opposition

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Schwedens Innenminister Mikael Damberg braucht den Konsens gegen die Gewalt. Der Sozialdemokrat hat Vertreter der Oppositionsparteien aufgerufen, sich mit ihm zusammen zu setzen, "um zu diskutieren, wie Schweden sich entschieden gegen Bandenkriminalität und Schießereien mobilisieren kann". Doch die rechten Schwedendemokraten (SD) dürfen nicht an der Konsultierung teilnehmen, eine Entscheidung, mit der auch die bürgerlichen Parteien nicht einverstanden sind.

Auslöser für den Gesprächsbedarf ist unter anderem die jüngste Polizeistatistik: Zwischen Januar und Juli kam es zu 182 Schießereien mit 25 Todesopfern, zudem wurden in dieser Zeit 120 Sprengstoffanschläge verübt, ein Anstieg um 45 Prozent zum vergangenen Jahr.

Besonders berührte die Ermordung einer junger Ärztin in Malmö vergangene Woche, die ihr Baby in den Armen trug, als sie erschossen wurde. Nach Ansicht eines Ex-Gang-Mitglieds, so die Zeitung Aftenbladet, sei dies ein Anzeichen, dass die Gewaltbereitschaft der Banden größer geworden sei. In dem Land mit zehn Millionen Einwohnern tragen rivalisierende Gangs, Motorradclubs, teils bestehend aus Menschen mit Migrationshintergrund, ihre Revierkämpfe immer offener aus. Seit 2013 gibt es bei der Polizei den "Nationalen Bombenschutz", der mittlerweile auf rund 80 Mitarbeiter angewachsen ist und nach eigenen Angaben dringend wachsen müsste.

Selbst der sonst zurückhaltende König Carl XVI Gustaf teilte nach einem Treffen mit der Polizei mit: "Die Besorgnis über diese Tat, die die Öffentlichkeit beschäftigt, ergreift auch mich und meine Familie."

Umfragehoch bei den Schwedendemokraten

Diese Sorgen verhalfen den rechten Schwedendemokraten, die vergangenen September mit 17 Prozent in das Parlament gewählt wurden, zu einem Umfragehoch von über 21 Prozent. Unter Parteichef Jimmie Akesson fordern sie mehr Law & Order.

Doch mit ihnen will Mikael Damberg, wie bereits erwähnt, nicht verhandeln. Der Sozialdemokrat argumentierte mit einem anderen "Wertehintergrund" der Rechten und verwies auf die Notwendigkeit "seriöser Maßnahmen".

Der Sprecher der Schwedendemokraten, Adam Marttinen, konterte, indem er der rotgrünen Regierung vorwarf, sie habe die Kriminalpolitik der Schwedendemokraten kopiert und würde diese nun ausschließen. Das sei ein "Kindergartenspiel".

Fest steht, dass die Regierung Stefan Löfven nach der Aufnahme von über 160.000 Asylsuchenden im Flüchtlingsjahr 2015 ihre großzügige Ausländerpolitik zurück genommen hat und nun versucht, Abschiebungen schneller umzusetzen. Selbst über den Einsatz von Militär in sozialen Brennpunkten dachte Löfven Anfang 2018 laut nach. Doch gleichzeitig glaubt der ehemalige Gewerkschaftschef weiter an sozialdemokratische Lösungswege wie Maßnahmen gegen das Schulschwänzern, mehr Jobs, mehr Integrationsbemühungen. Im schwedischen öffentlich-rechtlichen Fernsehen musste er sich die Frage gefallen lassen, ob seine Integrationspolitik gescheitert wäre.

Integrieren oder ausschließen?

"Integrieren" wollen hingegen die vier bürgerlichen Parteien die Schwedendemokraten bei der Lösungssuche. Ulf Kristersson, der Chef der liberal-konservativen Partei "Die Moderaten", wies am Montag darauf hin, man könne nicht 17 Prozent der Wähler einfach ausschließen. Die Initiative der Regierung käme zudem zu spät, kritisierte der Politiker der größten bürgerlichen Partei in Schweden. Selbst die Zeitung "Aftonbladet", das auflagenstarke Stammblatt des sozialdemokratischen Schwedens, hält die harte Haltung der Sozialdemokraten für falsch.

Doch schließlich war es deren Wahlkampfversprechen, sich nicht mit den Schwedendemokraten einzulassen, was lange Zeit auch die anderen Parteien praktizierten. Denn die Schwedendemokraten haben einen Hintergrund als rechtsradikale Bewegung. Ende der 70er Jahre gegründet mit dem Namen "Schweden soll schwedisch bleiben" standen sie lange für Ausländerhass und enge Verbindungen mit Rechtsradikalen. Mit Parteichef Jimmie Akesson änderte sich ab 2005 das Image, um mehr die Mitte anzusprechen. Durch deren Fokus auf Probleme um die Migration wichen die etablierten Parteien lange diesem Thema aus, um die Rechten nicht mehr zu stützen und erreichten so jedoch das Gegenteil.

Gleichzeitig gibt es die schwedische Tradition der "Übereinkunft", weswegen in diesem Land Minderheitsregierungen wie RotGrün bestehen können.

Nun will Kristersson Akesson auf einer privaten Ebene treffen, um mit ihm Ansätze zu besprechen, wie die Kriminalität zu bekämpfen sei, eventuell auch eine weitere Zusammenarbeit.

Die Rezepte der Rechten bei der Bandenkriminalität sind nicht so radikal. Als ich mit dem SD-Chef von Göteborg 2018, Jörgen Fogelclou, sprach, bestand dieser auf zwei Punkten: Erstens keine Toleranz, längere Gefängnisstrafen, zweitens Investition in die Ausbildung. Das sei besser als das sozialdemokratische Konzept, Jobs zu schaffen, da sich somalische Gemüsehändler schlechter integrierten, jugendliche Migranten müssten besser Schwedisch lernen.

Die Frage ist jedoch, ob Migranten bei den teils aggressiv auftretenden Rechten wirklich einen Ansprechpartner haben. Und offen ist auch, inwieweit das völkische Denken mancher Mitglieder, wie etwa des Fraktionschefs Mattias Karlsson, nur Jugendsünde ist oder weiter im Verborgenen gärt.

Die Sozialdemokraten haben sich jedenfalls entschieden: Sie wollen die Rechten nicht einbinden und mit Verantwortung belasten, sondern weiterhin konsequent ausschließen, obwohl in diesem Streit erstmals die vier bürgerlichen Parteien mit der SD übereinstimmen. "Alla ska med" (Alle sollen mit) - so der Slogan der Traditionspartei Sozialdemokraten in den Nuller Jahren, der den wohlmeinenden wie ein wenig autoritären Wohlfahrtsstaat gut in einem Satz zusammenfasst - gilt nicht für die Rechten. Und es werden bald auch mehr sonst staatsgläubige sozialdemokratische Wähler aussteigen, sollten nicht bald Erfolge vorzeigbar sein, was eher unwahrscheinlich ist.

Somit werden die Schwedendemokraten kurz- bis mittelfristig als Kritiker, Experten und verhinderte Problemlöser profitieren können. Würde die Regierung die Rechten einbinden, könnten diese auch gewinnen - sie hätten dann eine weitere Stufe der Normalisierung erreicht und könnten öffentlichkeitswirksame Maßnahmen vorstellen. Aber auch das Verlieren wäre möglich - erstmals in der Verantwortung einer schwedenweiten Politik könnten sie durch Überforderung für die Öffentlichkeit und ihren eigenen Wählern rasch entzaubert werden. Auch unter den eigenen radikalen Kräften kann es dann zu Kontroversen kommen.

Es lohnt sich, auch angesichts der AfD-Erfolge im Osten Deutschlands, die Situation in Schweden weiter zu verfolgen.

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