Schwedens Corona-Kommission: Schlechtes Krisenmanagement, richtiger Kurs
Kritischer Schlussbericht mit positiver Gesamtbewertung
Eine Regierung, die in der Krise keine Führungsqualitäten zeigt. Eine Fachbehörde, die dem Virus zu lange freie Bahn lässt. Die schwedische Corona-Kommission kommt in ihrem Schlussbericht zu einem vernichtenden Urteil über das Krisenmanagement im Frühjahr 2020. Doch die Gesamtbewertung fällt überraschend positiv aus: Es sei richtig gewesen, auf Freiwilligkeit zu setzen. Insgesamt sei Schweden vergleichsweise gut durch die Pandemie gekommen – sowohl mit Blick auf die Übersterblichkeit als auch mit Blick auf die wirtschaftliche Situation.
Die schwedische Corona-Kommission wurde am 30. Juni 2020 nicht zuletzt auf Wunsch der Opposition eingesetzt – und damals dachte man auch noch, dass man Ende Februar 2022 tatsächlich so etwas wie eine Bilanz des Krisenmanagements ziehen könnte. So ist es bekanntlich nicht gekommen. Der Kommissionsvorsitzende Mats Melin nannte den vorgelegten Bericht deshalb auch "Zwischenbilanz".
Die vierte Welle wird nicht mehr berücksichtigt, und auch das Impfprogramm war nicht im Auftrag enthalten und blieb außen vor. Der Zeitpunkt ist allerdings nicht der schlechteste, denn bekanntlich sind die Beschränkungen in Schweden seit dem 9. Februar aufgehoben, die Zahl der Schwerkranken sinkt langsam und es gibt die Hoffnung, dass sich das Leben wieder normalisiert – zumindest bis zur nächsten Mutation.
Frühjahr 2020: Maßnahmen zu spät und zu schwach
Die Kommission war schon in zwei Teilberichten vorab auf die Probleme in der ersten Phase eingegangen, als Schweden zeitweise die meisten Coronatoten in Europa hatte. Verantwortlich dafür seien zum einen die ungünstigen Strukturen und Missstände in der Altenpflege gewesen, zum anderen die starke Verbreitung des Virus aufgrund zu später und zu schwacher Maßnahmen.
Diese Punkte werden auch in der Gesamtbewertung wieder aufgegriffen. Der Vorsitzende Melin bemängelte, das zögerliche Vorgehen der Behörde für öffentliche Gesundheit (Folkhälsomyndigheten) angesichts der vielen unbekannten Faktoren sei der Krise nicht angemessen gewesen. In dieser Situation, wo bereits die Berichte aus Bergamo bekannt waren, hätte das Prinzip der Vorsicht gelten müssen. Er schilderte als Vergleich die Feuerwehr: Dort würde auch zunächst der gesamte Zug ausrücken. Nicht benötigte Kräfte könnten dann wieder nach Hause fahren. Man schicke nicht erst ein Fahrzeug, um zu sehen, wie stark es brenne.
Die Regierung und vor allem Ministerpräsident Stefan Löfvén werden dafür kritisiert, dass sie all zu lange der Gesundheitsbehörde das Feld überlassen und das Krisenmanagement nicht selbst in die Hand genommen haben. Das sei in einer so umfassenden Krise nicht ausreichend gewesen. Die Regierung hätte sich auch breiter informieren und externe Experten hinzuziehen müssen, um zum bestmöglichen Kenntnisstand zu kommen.
Die Hauptverantwortung für die späten und unzureichenden Maßnahmen sieht die Kommission deshalb bei Löfvén und beim früheren Generaldirektor von Folkhälsomyndigheten, Johan Carlson. Beide sind praktischerweise nicht mehr im Amt.
Im März 2020, als man noch wenig Kenntnisse hatte, wären über begrenzte Zeit sogar Maßnahmen wie Einreiseverbote und -quarantäne sowie Teilschließungen zur Kontaktvermeidung angemessen gewesen, so der Schluss der Kommission. Damit hätte man eine weitere Ausbreitung des Virus verhindert und Zeit gewonnen, um Kenntnisse zu sammeln und die Krankenhäuser vorzubereiten. Kritik bekommt auch die deutliche Ablehnung der Maskennutzung. Erst im Januar 2021 wurde die Empfehlung zur Maske eingeführt. Da hatte sich diese Ablehnung in der Bevölkerung schon so festgesetzt, dass nur wenige dieser Empfehlung noch folgten.
Die Maßnahmen, die es gab, seien vor allem für die gut ausgebildete Mittelschicht gut umzusetzen gewesen, die von zu Hause aus arbeiten konnte. Die Pandemie habe besonders die Gruppen betroffen, die ohnehin schon benachteiligt waren.
Richtig: Empfehlungen statt Zwang
Die Kommission sieht aber auch Positives in dem schwedischen Kurs, der anfangs so viel Erstaunen ausgelöst hatte: Es sei richtig gewesen, auf Freiwilligkeit und Empfehlungen zu setzen. "Der Staat soll die persönliche Freiheit seiner Bürger nicht stärker einschränken als nötig." Es sei auch richtig gewesen, die Schulen und Kitas im März 2020 nicht zu schließen. Damit hätten die Kinder und Jugendlichen den Unterricht bekommen, den sie für ihre Zukunft benötigten.
Die Kommission hält "nach heutigem Kenntnisstand" auch nichts von wiederholten Lockdowns, wie es sie in anderen Ländern und auch in Deutschland im weiteren Verlauf der Pandemie gab. Das Ergebnis in diesen Ländern sei teilweise schlechter als in Schweden, was zumindest aktuell Zweifel daran wecke, wie effektiv diese Schließungen gewesen seien.
Lob bekommt erneut das medizinische Personal, das unter hohem persönlichen Einsatz die Umstellung schaffte, um all die Kranken versorgen zu können.
Lob bekommt auch die Reaktion auf die ökonomische Seite der Krise: Hier hätten Regierung und Riksbank schnell gehandelt und Unterstützung geleistet, so Kommissionsmitglied Torsten Persson. Einige Kriterien seien nicht optimal formuliert worden, aber hier habe das Prinzip der Vorsicht gegriffen, um größere Probleme und Firmenpleiten zu verhindern.
Die Gesamtbilanz
Wie steht Schweden heute da? Es sei schwer, Länder zu vergleichen, da alle unterschiedliche Voraussetzungen hätten, so die Kommission, und tut es dann doch: Gemessen an der Übersterblichkeit über die gesamte Periode der Pandemie habe Schweden sich im europäischen Vergleich gut geschlagen. Auch die Wirtschaft habe sich schnell wieder erholt. Insgesamt mahnt die Kommission eine bessere Bereitschaft für Krisen an – durch geeignete Gesetze und Strukturen, aber auch konkret durch die Lagerung von wichtigem Material.
Dass die Kommission die Übersterblichkeit als Maßstab nimmt, begründet sie damit, dass die Zahlen zu den Corona-Todesfällen in den einzelnen Ländern nicht nach vergleichbaren Kriterien erhoben werden. Die Übersterblichkeit als Maß wird wiederum von einer Reihe schwedischer Wissenschaftler kritisiert:
"Die, die an Covid-19 gestorben sind, sind wirklich gestorben", heißt es in einem gemeinsamen Aufsatz, der die verschiedenen Einflüsse auf die Übersterblichkeit thematisiert. In der Gesamtbilanz nach Our World of Data haben allerdings inzwischen auch viele andere europäische Länder Schweden (1687 Tote pro eine Million Einwohner) überholt.
Auswirkungen auf die Wahl?
Eine Regierung, die in der Krise keine Führung zeigt – schlimmer kann eine Kritik eigentlich nicht sein. Die Opposition griff dies auch schnell auf, aufgrund des Kriegs in der Ukraine ist Corona allerdings gerade ein sehr untergeordnetes Thema. Ob die bürgerlich-rechte Opposition daraus für die Wahl im September Kapital schlagen kann, ist zweifelhaft.
Denn zum einen hat sie selbst damals stillgehalten. Zum anderen gab es auch viele Versäumnisse in den Kommunen und Regionen, die für die Alten- und Krankenpflege zuständig sind. In Stockholm sind die bürgerlichen Parteien dafür verantwortlich – dort starben auch im Verhältnis zur Einwohnerzahl die meisten Menschen.
Und ausgerechnet die ökonomischen Maßnahmen der sozialdemokratischen Regierung haben gute Noten bekommen – das ist auch ein Pluspunkt für die jetzige Ministerpräsidentin Magdalena Andersson, die damals Finanzministerin war.
Der politische Kommentator des Expressen, Viktor Barth-Kron, geht davon aus, dass die Gesamtbewertung bei den Bürgern eher positiv ankommt und dass sie möglicherweise folgendes Fazit ziehen: Lieber eine Regierung, die es im Grunde richtig macht, wenn auch auf eine schwache und schwammige Art, als eine Leitung, die es im Grunde falsch macht – und das mit großer Kraft.
Zur aktuellen Coronasituation in Schweden: Es gibt nur noch für bestimmte Berufsgruppen die Pflicht, sich bei Symptomen testen zu lassen. Alle anderen sollen einfach zu Hause bleiben, wenn sie sich krank fühlen, unabhängig vom Krankheitserreger. Die Zahl der dokumentierten Infektionen ist deshalb stark gefallen, sagt aber nichts mehr über den vollständigen Umfang der Virusverbreitung aus. Dass diese von einem sehr hohen Niveau aus langsam sinkt, lässt sich aus der sinkenden Belastung der Krankenhäuser schließen.
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