Schweizer Atommüll-Endlager an der deutschen Grenze

Seite 2: Geologie und Politik

Doch die Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat (ENSI) hatte beanstandet, dass diese Nachteile angeblich nicht ausreichend mit Daten untermauert worden seien. So wurden dann alle drei noch in der Auswahl befindlichen Gebiete erneut untersucht.

Plötzlich wurde dann die "damalige Bewertung der Nagra" als zu "vorsichtig" eingestuft. Als Ergebnis sehen wir jetzt, dass ausgerechnet dieses zuvor ausgesiebte Gebiet nun angeblich das sicherste sein soll. An der Grenze soll der Opalinuston doppelt so fest sein wie in den anderen beiden Gebieten sein, behauptet der Nagra-Chef.

Allein dieser Vorgang lässt erneut Zweifel daran aufkommen, ob wirklich hier die Geologie den Ausschlag gegeben hat, wie die Nagra behauptet. So stellt auch der SWR heraus, dass "Vorwürfe, dass bei der Entscheidung nicht die Sicherheit, sondern Kosten oder der geringere Widerstand im Gebiet Nördlich Lägern eine Rolle spielten", stets erhoben wurden.

Das hat die Nagra aber stets zurückgewiesen. Der Vorwurf der Gegner des geplanten Endlagers werfen der Nagra und der Regierung in Bern vor, "dass lediglich an der Grenze gesucht worden sei und dort, wo es den geringsten Widerstand gebe."

Das ist jedenfalls nicht von der Hand zu weisen. Begonnen wurde nämlich mit den Probebohrungen in Benken. Auch der Ort lag direkt an der Grenze. Dass der Rheinfall dort nur zwei Kilometer entfernt lag, der durch ein schweres Erdbeben erst vor 6000 Jahren entstand, ließen doch besonders große Zweifel an der geologischen Stabilität des Gebiets aufkommen.

Und erst am vergangenen Wochenende hat in der Region wieder die Erde gebebt, in der das Endlager nun liegen soll. Dass das Rheintal alles andere als geologisch stabil ist, zeigt auch, dass Basel im 14. Jahrhundert durch ein Erdbeben zerstört wurde. Das Epizentrum lag nur einige Dutzend Kilometer von Würenlingen und dem geplanten Endlager gegenüber Hohentengen entfernt.

Dem Autor dieser Zeilen erklärte die Nagra zum Beispiel schon vor mehr als 20 Jahren, dass angeblich die Opalinustonschicht in Benken direkt am Rheinfall besonders geeignet sein sollte, um dort den hochgefährlichen Atommüll sogar für eine Million Jahre sicher zu lagern.

Der Gegner des Projekts und Arzt aus Benken Jean-Jacques Fasnacht meinte damals aber, dass sicher eine Geologie eine Rolle spielt, "die möglicherweise ein bisschen geeigneter" sei, als die insgesamt ungeeignete Schweiz.

"Das zweite ist sicher auch eine gewisse politische Ignoranz unserer Bevölkerung, die man ausnutzen kann. Diese Kombination, gepaart noch mit der Nähe zur deutschen Grenze macht das schon aus."

Auch der langjährige Anti-Atom-Aktivist Axel Mayer meint, in der Entscheidung für den angeblich "besten aller schlechten Standorte" in der Schweiz spreche "für eine gewisse Verzweiflung der AKW-Betreiber und der NAGRA und verheißt nichts Gutes."

Mayer, der ehemalige Geschäftsführer der Naturschutzorganisation Bund im Regionalverband Südlicher Oberrhein und Vorstandsmitglied des Trinationalen Atomschutzverbandes (TRAS), verweist darauf, dass Atommüll, der eine Million Jahre sicher verwahrt werden muss, "eine gute Geologie und nicht gute Worthülsen" benötige. Und Mayer führt aus, warum genau die Geologie gegen den Standort spreche:

Die Opalinustonschichten im Gebiet Nördlich Lägern sind im internationalen Vergleich sehr dünn, auch wenn die Nagra gerne die darüber und darunter liegenden tonhaltigen Schichten dazurechnet.

Axel Mayer

Mayer zitiert den unabhängigen Experten Marcos Buser:

"Der Standort Nördlich Lägern liegt über einem Permo-Karbon-Trog, dessen Bedeutung bisher nicht sauber abgeklärt wurde. Findet man tatsächlich Erdgas in diesem Trog, dürften die Tage eines Endlagers in diesen Gebieten gezählt sein."

Die lokale Bürgerinitiative LoTi gegen das Endlager schreibt dazu: "Seit Jahrzehnten ist bekannt, dass unter der Nordschweiz im Permo-Karbon-Trog Kohle und Erdgas vorkommen. Auch liegt hier die Region mit dem höchsten Erdwärmefluss der Schweiz."

Dazu fehlten seriöse Studien genauso, wie die zentrale Frage der Rückholbarkeit geklärt ist. Denn, das haben die Anti-Atom-Aktivisten schon vor vielen Jahren durchgesetzt, muss der gefährliche Müll in der Schweiz rückholbar eingelagert werden.

Spielregeln ändern - Widerstand schon im Vorfeld ausgehebelt

LoTi bezweifelt die Schweizer Transparenz, die auch in Deutschland bisweilen gelobt wird. LoTi fragt, welche Parameter von der Nagra neu angewendet, um zum jetzigen Resultat zu kommen? "Auf welchen Druck wurde neu gewichtet und gelten andere Regeln? Wie glaubhaft ist eine Organisation, die ihren Entscheid um 180 Grad ändert?"

Kritisiert wird auch in der Schweiz eine "vorgegebene, festgelegte Einbahnstraße" ohne Alternativen. Interessant zu den Vorgängen ist auch ein Artikel der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ), die doch sehr atomfreundlich ist. Auch die NZZ verweist darauf, dass Lange ein Standort im Zürcher Weinland bei Benken im Gespräch war.

Dass die Wahl auf Nördlich Lägern fällt, ist insofern eine Überraschung, als die Region 2015 vorübergehend von der Liste der favorisierten Standorte gestrichen worden war.

NZZ

Die NZZ verweist auch darauf, dass der mögliche Widerstand gegen das Projekt schon im Vorfeld weitgehend ausgehebelt wurde, deshalb könnten sich die Betroffenen "anders als beim Wellenberg kaum mehr wehren", titelt die Zeitung sogar.

In Nidwalten sollte allerdings nur ein Tiefenlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle gebaut werden, die jetzt auch an der Grenze landen sollen. Aber in Nidwaldens setzte sich die Bevölkerung "von Anfang an mit gnadenloser Konsequenz gegen die Pläne zur Wehr", beschreibt die NZZ die Vorgänge aus den 1980er Jahren.

So habe der Kanton eine Bestimmung in der Verfassung verankert, wonach die Regierung das Volk im Kanton zu Lagerstätten für radioaktiven Müll befragen muss.

"Damit war der Sargnagel für das Projekt gesetzt: Schon 1988 machte die Nidwaldner Landsgemeinde klar, dass sie selbst von probeweisen Sondierbohrungen nichts wissen will."

In sieben Abstimmungen wurde bestätigt, dass die Menschen in dem Kanton keinen Atommüll im Wellenberg wollen.

Auf Basis dieser Erfahrungen änderte die Schweiz aber die Spielregeln. Im Kernenergiegesetz wurde der Grundsatz verankert, der der lokalen Bevölkerung das Vetorecht raubte. Immer wieder wurde deshalb gefordert, das Kernenergiegesetz erneut so zu ändern, "dass ein Endlager nicht gegen den Willen des Standortkantons gebaut werden kann".

"Atomstaat" und Demokratie

Das lehnte das Schweizer Parlament in Bern stets mit Blick auf das geplante Atom-Endlager ab. Die Gegner hätten nun "kaum mehr eine Möglichkeit, sich wirkungsvoll zur Wehr zu setzen", resümiert die NZZ.

Sie zeigt auch auf, dass auf juristischer Ebene über Widersprüche bei Enteignungs- und Baubewilligungsverfahren kaum mehr etwas zu machen sei. "Die Ära des Widerstandes wie zu Zeiten des Wellenberg-Streits sind vorbei", erklärt sie. Deshalb bleibt dann offenbar nur noch massiver Widerstand auf der Straße.

Zwar sei die Standortwahl erst ein Zwischenentscheid, doch nun liege der Ball nur noch in Bern. Dort wird der Bundesrat in einigen Jahren die Rahmenbewilligung erteilen. Diese muss vom Parlament und schließlich dann vom Volk möglicherweise in einem Referendum genehmigt werden.

"Im Extremfall kann sich die Schweiz also über den Willen der betroffenen Region und des Kantons hinwegsetzen", stellt die Zeitung fest. Auch hier zeigt sich, dass für den Atomstaat demokratische Grundsätze geschleift werden.