Schwindende Biodiversität: Die andere Ökokrise

Seite 3: Zunehmende Flächenkonkurrenz

Mittlerweile kennen wir die Dramaturgie: Die UN-Konferenz wird mit einem Abkommen enden, das "Aufbruchstimmung verbreitet" und "ambitionierte Ziele setzt" oder vielleicht auch nicht.

Die Verhandlungsparteien werden sich gegenseitig loben (und damit unausgesprochen auch sich selbst) oder enttäuscht sein. Vertreter der Zivilgesellschaft werden sich zufrieden oder unzufrieden äußern, mehr war jedenfalls nicht zu erreichen…

Die Widersprüche der internationalen Umweltschutz-Abkommen werden immer augenfälliger, je drastischer die ökologische Krise wird.

Die Verhandlungen beschäftigen zahllose Wissenschaftler, Staatsbeamte und Diplomaten, aber die Abkommen bedeuten nichts, sobald sie nationale oder maßgebliche wirtschaftliche Interessen berühren. Sie sind völkerrechtlich verbindlich, aber Verstöße haben keinerlei Folgen.

Es steht zu befürchten, dass sich im Bereich Biodiversität nun derselbe Ablasshandels verbreiten wird wie im Bereich Klimaschutz. Treibhausgas-Emissionen können bekanntlich ausgeglichen werden, indem Unternehmen ein Waldstück aufkaufen und vorerst darauf verzichten, es abzuholzen. So werden fragwürdige Projekte im Ausland zukünftig vermeintlich die Biodiversität schützen.

Entscheidend ist aber die Praxis vor Ort, im eigenen Land. Wie sich die Krise der Biodiversität weiter entwickelt, hängt davon ab, welche Art von Landwirtschaft betrieben wird, wie viel Stickstoff in die Flüsse gelangt, wie viel Mikroplastik in den Boden kommt und wie viel Treibhausgas freigesetzt wird.

Die ökologische Krise hat unterschiedliche Facetten, die sich aber miteinander verwoben sind, sich gegenseitig beeinflussen. Einfache Antworten und Allheilmittel gibt es kaum, denn was einen Aspekt der Krise abmildert, kann einen anderen verschärfen. Eben das können wir uns aber nicht mehr leisten.

Ein Beispiel: Bis zum 2030 sollen die CO2-Emissionen um 55 Prozent gegenüber dem Wert von 1990 sinken. Das Maßnahmenpaket "Fit for 55" sieht vor, die Bioenergie massiv auszuweiten.

Der Anbau von Energiepflanzen wird als CO2-neutral eingestuft und finanziell gefördert. Die veränderte Landnutzung wird aber negative Folgen für die Kohlenstoffeinlagerung und Artenvielfalt haben, worauf Landnutzungs- und Klimawissenschaftler kürzlich hingewiesen haben:

Einerseits stehen Flächen, die für die Produktion von Bioenergie genutzt werden, nicht für den Anbau von Nahrungsmitteln zur Verfügung", sagt Thomas Kastner vom Senckenberg-Forschungszentrum Biodiversität und Klima. "Lebensmittel müssen importiert werden, wofür in anderen Ländern wiederum Wälder abgeholzt werden. Gleichzeitig fehlen zur Bioenergiegewinnung genutzte Flächen als CO2-Speicher und Lebensraum für gefährdete Arten.

Nature, 28.11.2022

Das Beispiel zeigt, wie schwierig es ist, Energiewende, Agrarwende, Mobilitätswende und so weiter miteinander zu vereinbaren. Die Menschheit stößt an planetare Belastungsgrenzen.

Das zeigt sich auch an der zunehmenden Konkurrenz um Fläche. 30 Prozent sollen fortan der Biodiversität dienen, aber wir brauchen zukünftig mehr Ackerflächen für die Nahrungsmittelproduktion.

Die intensive und monokulturelle Landwirtschaft verschärft den Treibhauseffekt und das Biodiversitätsverlust, aber sie benötigt immerhin weniger Fläche als die Alternativen (zum Beispiel die agrarökologische Intensivierung).

Fossile Brennstoffe müssen durch Strom aus erneuerbare Quellen ersetzt werden. Aber diese Energiequellen brauchen Platz, am wenigstens noch die Windkraft, mehr die Photovoltaik (samt des mit ihr verbundenen Straßenbaus) und am meisten der Anbau von Biokraftstoffen.

Angesichts dieser Lage sind alle Strategien aussichtslos, die auf "grünes Wachstum" und nur Effizienzgewinne durch neue Technologien setzen.

Ohne einen Ausstieg aus dem Wachstumszwang und Umverteilung kann die ökologische Krise nicht bewältigt werden. Dann wird das Artensterben ungebremst weitergehen – ob mit UN-Abkommen oder ohne.