Schwindende Biodiversität: Die andere Ökokrise

Seite 2: Fortschritte nur auf dem Papier

In der Berichterstattung zur COP15 blühen dennoch wieder die Milliardensummen, mit denen die Biodiversität beschrieben wird. Das ist kein Zufall.

Die internationale Umweltschutz-Diplomatie nährt sich von der Illusion, die ökologische Krise mit den richtigen Preisen bewältigen zu können. Denn bei den Verhandlungen in Montreal geht es nicht nur darum, wie der Wortlaut der Abschlusserklärung genau lauten wird. Es geht um Geld – genauer gesagt um die Zahlungen für Schutzmaßnahmen, die der Schadenshöhe entsprächen soll.

Ausgangsbasis für die Verhandlungen ist die Forderung, 30 Prozent der Landfläche und der Meere bis zum Jahr 2030 zu Naturschutzgebieten zu erklären. Tatsächlich ein ambitioniertes Ziel: dies entspräche einer Verdopplung der bisherigen Flächen an Land und sogar einer Vervierfachung der bisher geschützten Meeresgebiete.

Die Umweltschutzorganisationen und viele Wissenschaftler fordern ein umfassendes und rechtsverbindliches Abkommen, so wie es für den Klimaschutz in Paris 2015 gelungen ist.

Tatsächlich ähneln die internationalen Verhandlungen über das Artenstreben denen um die Treibhausgase in vieler Hinsicht. Die Vereinten Nationen initiierten im Jahr 1992 drei separate Abkommen – gegen den anthropogenen Klimawandel, gegen das Artensterben und gegen die Ausbreitung von Wüsten. Dem UN-Abkommen zum Schutz der Biodiversität traten 196 Nationen bei.

Im Jahr 2010 einigten sie sich dann im japanischen Aichi auf 20 Ziele, die sie bis 2020 erreichen wollten. Dazu zählten unter anderem die Abschaffung aller Formen von Aquakultur, Land- und Forstwirtschaft, die das Artensterben antreiben.

Die Verschmutzung der Umwelt durch Schadstoffe und überschüssige Nährstoffe sollte "auf ein für die biologische Vielfalt unschädliches Niveau gebracht" und umweltschädliche finanzielle Subventionen abgebaut werden.

Zehn Jahre später zeigt sich, dass keiner der Unterzeichner die Aichi-Ziele auch nur annähernd erreicht hat. Die schädlichen Subventionen weltweit liegen laut OECD bei 474 Milliarden Euro jährlich. Dies sei fünf bis sechsmal mehr als die Summe, die die Mitgliedsländer für den Schutz der Biodiversität ausgeben.

Laut Umweltbundesamt liegen die umweltschädlichen Subventionen in Deutschland bei etwa 65 Milliarden Euro im Jahr. Martin Quaas, Professor für Bioökonomie an der Universität Leipzig, nennt konkrete Zahlen:

Die Pendlerpauschale mit sechs Milliarden Euro, die Anreize für Flächenverbrauch setzt, die Mehrwertsteuerermäßigung für Milchprodukte und Fleisch mit circa fünf Milliarden Euro, die Förderung von Biokraftstoffen mit einer Milliarde Euro, die Begünstigungen der Braunkohlewirtschaft mit 300 Millionen Euro sowie die Steuerermäßigung für Agrardiesel und Schiffsdiesel in der Fischerei mit 500 Millionen Euro.

Interessenskonflikte von Industriestaaten und Entwicklungsländern

So ungefähr sieht es in allen Vertragsstaaten aus. Maßnahmen wurden halbherzig umgesetzt, insbesondere wenn sie die einheimische Unternehmen betrafen. Ein großes Problem sind die sogenannten "Paper Parks": Naturschutzgebiete, die nur auf dem Papier existieren, weil der Zugang oder die Nutzung nicht überwacht wird. Dies gilt für große Teile der Meeresschutzgebiete, auch im Globalen Norden.

Im Globalen Süden wiederum sind viele Menschen darauf angewiesen, Tiere zu jagen und Pflanzen, Pilze und Holz zu sammeln. Laut einer Schätzung von IPBES trifft dies immer noch auf ein Fünftel der Weltbevölkerung zu.

Die übrig gebliebenen Hotspots der Biodiversität befinden sich oft in tropischen Regenwäldern. Wenn sie zu Naturschutzgebieten erklärt werden, verzichten die betroffenen Länder des Globalen Südens auf Entwicklungschancen.

Die Frage, wer für den Schutz der Biodiversität bezahlen muss, ist das größte Hindernis bei den aktuellen Verhandlungen in Montreal. Viele Staaten sperren sich gegen verbindlichen Zusagen, insbesondere auch starke Wirtschaftsmächte im Globalen Südens wie Brasilien, China und Indien. Die USA nehmen ohnehin nur als Beobachter teil.

Im Raum stehen jährliche Zahlungen in Höhe von 60 Milliarden US-Dollar (57 Milliarden Euro), um Schutzmaßnahmen zu finanzieren. Diese Summe sei lachhaft, sagt zum Beispiel Katrin Böhning-Gaese, die Direktorin des Senckenberg-Forschungszentrums Biodiversität und Klima.

In den Vorverhandlungen in Nairobi war noch von 200 Milliarden US-Dollar die Rede. Das gegenwärtige Geschacher erinnert an die letzte UN-Klimaschutzkonferenz, als heftig um den Ausgleichsfonds für Verlust und Zerstörung (loss and damage) gestritten wurde, mit dem die am stärksten vom Klimawandel betroffenen Länder unterstützt werden sollen.

Aber kann dieser Ansatz des Artenschutzes überhaupt funktionieren? Die ärmsten Länder sind natürlich kaum in der Lage, wirksame Schutzmaßnahmen zu finanzieren und zu organisieren. Beispielsweise ist einer der Hotspots der Biodiversität der Virunga Nationalpark in der Demokratischen Republik Kongo.

Bürgerkriegsflüchtlinge halten sich dort auf, ebenso Rebellen der M23-Bewegung, die gegen die kongolesische Regierung kämpft. Die Zentralregierung wird möglicherweise in Teilen des Nationalparks Öl- und Gasbohrungen erlauben.

In einer solchen Gemengelage nutzen Zuwendungen aus dem Ausland zum Schutz der Biodiversität wenig. Gerade in Ländern mit schwacher Staatlichkeit steht zu befürchten, dass die Gelder versanden.

An den tiefer liegenden Ursachen der Krise änder sich unterdessen nichts, zum Beispiel an der Abholzung für die Weltmarkt-Landwirtschaft.