Science Fiction und Afrika
Seite 2: Afrofuturismus
Eine emanzipative Traditionslinie wird im Afrofuturismus entwickelt - eine wichtige Identifikationsfigur ist die Kommunikationsoffizierin Uhura an Bord des Raumschiffs Enterprise. Star Trek zeigt eine gesellschaftliche Realität der (imaginierten) Zukunft. Eine schwarze Frau als Offizierin auf der Brücke eines Raumschiffs. Der US-amerikanische Jazzmusiker Sun Ra geht noch weiter: Er behauptet in Interviews und Filmen, er stamme vom Saturn. Er inszeniert sich als Alien auf der Erde. Damit drückt er ein hohes Entfremdungsgefühl aus. (Wobei man beachten sollte, dass die Selbstinszenierung eines Künstlers als interessantes Original dabei sicher auch eine Rolle spielt.)
Science-Fiction-Denken ermöglicht eine Vielzahl von Gedankenspielen, die im Afrofuturismus als eine zeitlich bald mögliche Utopie entworfen werden. Die Ausprägungen unterscheiden sich und liest man Ytasha Womacks Buch zum Thema, so wird deutlich, dass Afrofuturismus eine stark afro-amerikanische Bewegung gewesen ist und noch ist. In Afrika zeichnet sich eine teils eigene Pop-Tradition ab. So findet man zum Beispiel in Südafrika in der Musik einen eigenen Stil namens Kwaito, der verlangsamte House-Beats mit lokalen Dialekten mischt.
Der Anspruch des Afrofuturismus, eine vorwiegend schwarze Zukunft zu schildern, zeigt sich auch im aktuellen Film "Black Panther". Dort treten verschiedene Gruppen auf. Die Kostüme sind von afrikanischen Traditionen inspiriert, noch etwas aufgemodelt. Das Besondere am Film ist es, dass vorwiegend schwarze Schauspieler spielen. Zudem wird auf vorkoloniale Herrschaftsformen auf dem Kontinent zurückgegriffen. Der Afrofuturismus hat es sich als Aufgabe gestellt, nach afrikanischen Wurzeln in historischer und gegenwärtiger SF-Kultur zu forschen. Natürlich sollte man auch festhalten, dass der Afrofuturismus sehr häufig in Interaktion mit der Popkultur tritt. Grace Jones gilt als ein Aushängeschild aus der Popmusik. Sun Ra ebenfalls. Der Glam-Faktor bei diesen Künstlern mag eine Vereinbarkeit mit streng naturwissenschaftlich-technologischen Konzepten erschweren. Da setzt dann die interne Kritik an, dass möglicherweise die Technologie zur Unterdrückung der afrikanischen Sache eingesetzt wird. Denn Afrofuturismus stellt klar, dass Technik und Naturwissenschaft nicht an sich objektiv und effektiv sind. Der Kontext gibt den Ausschlag.
Accra im Jahr 2057
Jonathan Dotse lebt in Accra, Ghanas Hauptstadt. In seiner Kindheit kam er über das Staatsfernsehen in Kontakt mit einigen SF-Reihen. Er räumt ein, dies sei noch keine hohe SF-Literatur gewesen, aber das Interesse an technischen Spielereien, am Basteln von futuristischen Skulpturen wurde geweckt. In den Neunzigern wechseln die Bilder in den Medienkanälen rasant, zumindest hat es durch die Farbgebung den Anschein, als hätten die Neunziger das Tempo der Achtziger vervielfacht.
From the first time Western civilizations came into full contact with the developing world until today, we have primarily been net consumers of foreign technology, and the result of this asymmetrical relationship is that the mechanisms for development and regulation of technology simply do not exist in our parts of the world to the same level of sophistication as they do in the developed world. We are now observing what happens when developing societies acquire thousands of years of technological innovation within the space of a few years. I can only imagine what goes through the mind of young boys in Nima today as they surf Facebook across 3G networks on smart phones, Skype with friends all over the world, or go shopping online with someone else’s credit card. We clearly are sailing headfirst into uncharted waters, and the mapmakers "science fiction writers of the world"are only now scrambling to plot the course of our future.
Dotse erkennt, dass auf dem afrikanischen Kontinent keine Entwicklung von Technologie möglich war, daher auch kritisches Handwerkszeug zur Technikfolgenabschätzung fehlt. Afrika bekommt Second-Hand-Technik Europas und Nordamerikas.
Jonathan Dotse schreibt: Das Problem des Technoschrotts und der Ressourcenausbeutung gibt Stoff für eine eher dystopische SF ab. Der Stadt-Land-Kontrast spielt eine größere Rolle - die Städte auf dem afrikanischen Kontinent bewegen sich im zweistelligen Millionenbereich. Die Townships, d.h. geduldete Siedlungen aus Blechdachhütten und sonstigen einfachen Behausungen, fügen der Stadt-Thematik in Afrika eine zusätzliche soziale Dimension zu.
Die Frage, wie solche Moloche von Stadtbau regiert werden sollen, geht zum Beispiel in Dotses Texten als Plot ein. Seit einigen Jahren schreibt der Autor aus Ghana an einem Cyberpunk-Roman mit Titel "Accra 2057". Er beschreibt den Roman als einen "psychologischen Thriller, der die Leben von drei Afrikanern in der Mitte des 21. Jahrhunderts schildert. In einer Nacht werden sie in eine Verschwörung auf den High-Tech-Straßen von Accra, Ghanas Hauptstadt, gezogen." Abgesehen von der literarischen Spannungskurve, behandelt der Roman eine sich bereits in Entwicklung befindliche Welt von Künstlicher Intelligenz. Die zunehmende Digitalisierung und Anschlussfähigkeit der Smartphone-Nutzer führt zur Entwicklung von biomorphen Codes, die alle Individuen miteinander verbindet (vgl. "Smarte Maschinen").
Zum Plot: In Accra droht eine Cyber-Attacke. Ein pensionierter Polizist wird zur Arbeit zurückgerufen. In der Sahara sitzt ein undurchsichtiger Programmierer, der sich in dieses Stromnetz der Hauptstadt einklinkt. Und eine junge Frau kommt vom Land nach Accra, um Arbeit zu finden. Alle drei Personen sind auf gewisse Weise miteinander verbunden. Bislang publiziert Dotse Artikel zur Befindlichkeit afrikanischer Science Fiction (u.a. im britischen Guardian) und dreht künstlerische Filme.
Accra hat momentan geschätzte 2,3 Millionen Einwohner, Einwohnerzahl steigend. Im Nordwesten der Stadt befindet sich eine Mülldeponie. Auf einem Areal von 16 km2 sammelt sich Elektromüll. Die Einwohner von Agbogbloshie werten alte TV-Geräte, Kabel und andere Elektrogeräte aus - bei der Arbeit werden giftige Weichmacher und Blei freigesetzt. Laut Schätzungen kann man sich nicht länger als 2 Stunden in dem Viertel aufhalten, ohne gesundheitliche Schäden zu riskieren. Die Lebenserwartung dort lebender Kinder ist häufig nicht höher als zwanzig Jahre. Leukämie und Krebs sind weit verbreitet.
Technologie, defekte Elektrogeräte, Kabel, hohe Kriminalitätsrate, lokale Namen: Sodom und Gomorrah oder in den Medien: "Toxic City" - diese Features lesen sich wie der Stoff für einen Cyberpunk-Roman.
Agbogbloshie ist jedoch nicht Ästhetik, Agbogbloshie ist schlechte Politik.
Jacopo Ottaviani beschreibt bei Spiegel Online den Recycling-Kreislauf der alten Geräte. Wenn ein Unternehmen sein IT-Equipment austauscht, funktionieren die alten Geräte häufig noch. Sie werden dann über viele Mittelsmänner, Händler, Second-Hand-Verkäufer und Mechaniker nach Ghana (und sicher auch andere afrikanischen Staaten) verschifft. Ghana bekommt also Ausschussware und dort können die alten Geräte billig(er) erworben werden. Das Problem bei Agbogbloshie ist, dass auch kaputte Geräte verschifft werden. Nach dem Basler Abkommen ist dies verboten. Sondermüll darf nicht zwischen Ländern ausgetauscht werden und Elektro-Schrott auch nur, wenn umweltunschädliche Techniken im Land vorhanden sind, diesen Müll zu verarbeiten. Dies trifft auf Ghana nicht zu. Die giftigen Stoffe verschmutzen Boden, Luft und Wasser, gelangen in den Atlantik.
Dotse spricht diese Zweitverwertung an; und dann zugespitzt: Wie soll Science Fiction entstehen, wenn die Beziehung zur Technologie Second-Hand in Ghana ist? Wenn zudem ausreichendes Wissen um die Gefahr von gebrauchtem Gerät nicht vorhanden ist oder aus existenziellen Gründen missachtet wird?
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