Sehnsucht nach der Todesstrafe

Nach einem Sexualmord an einem 7-jährigen Mädchen ist in Polen wieder die Diskussion nach der Wiedereinführung der Todesstrafe entbrannt

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Vor allem die Boulevardzeitung Fakt, das meistverkaufte Blatt in Polen, instrumentalisiert den Mord an dem 7-jährigen Mädchen und macht Stimmung für die Todesstrafe. Die Regierung hat dieses Thema ebenfalls wieder aufgegriffen, der polnische Justizminister sprach sich sogar für die Wiedereinführung aus. Doch es ist keine neue Debatte in Polen. Bereits 2004 machte die heute regierende PiS die Todesstrafe zu einem Wahlkampfthema und im Sommer letzten Jahres startete ihr Koalitionspartner LPR sogar eine Unterschriftenaktion: „Todesstrafe für Pädophile und Mörder.“

In seiner filmischen Interpretation der Zehn Gebote, dem Dekalog, setzte sich der polnische Regisseur Krzysztof Kieslowski auch mit dem 5. Gebot „Du sollst nicht töten“ auseinander. "Ein kurzer Film über das Töten" heißt das vielleicht eindrucksvollste und gleichzeitig lähmendste Werk des Dekalogs, in dem ein junger Mann einen Taxifahrer umbringt und dafür selber zum Tode verurteilt wird. Eine Strafe, die dem Strafverteidiger des Mörders, dem jungen Anwalt Piotr, Zweifel aufkommen lässt an dem System, welches sich im Namen der Gerechtigkeit das Recht nimmt, selber zu töten.

Der 1988 uraufgeführte Film sorgte sowohl in Polen wie auch im Ausland für Furore. Man erkannte darin den Geist Dostojewskis und überhäufte den 1996 verstorbenen Kultregisseur mit vielen Preisen. Kieslowski nahm diese Preise entgegen, doch für ihn, der unter dem Motto „Wo man eine Kamera aufstellt, ist unwichtig, wichtig ist warum!“ arbeitete, zählte nur, ein Manifest gegen die Todesstrafe geschaffen zu haben.

1988 war auch das Jahr, in dem in Polen zum letzten Mal die Todesstrafe vollstreckt wurde. Stanislaw Morus war der letzte Verurteilte, bei dem ein Henker die Hand anlegte. Doch es dauerte, bis die Todesstrafe endgültig aus dem polnischen Strafgesetzbuch verschwand. Erst 1998, neun Jahre nach der Wende und im Rahmen der Verhandlungen zum Beitritt in die Europäische Union, wurde die Todesstrafe östlich der Oder endgültig abgeschafft.

Aus den Köpfen ist die Todesstrafe aber nicht verschwunden. Dies zeigte sich spätestens wieder am 30. Dezember, als sich die polnische Regierung, im Gegensatz zu den anderen Staaten der Europäischen Union, zu der Hinrichtung des ehemaligen irakischen Diktators Saddam Hussein positiv äußerte. Diese Äußerung passt auch zu der momentanen Stimmung in Polen, wo die Debatte um die Wiedereinführung der Todesstrafe neu entbrannt ist.

In Walbrzych, dem ehemaligen Waldenburg, wurde vor einigen Wochen das 7-jährige Mädchen Grazyna vergewaltigt und auf bestialische Weise ermordet. Einen Verdächtigen fand die Polizei schnell, der auch gestand, den Mord unter enormen Mengen an Alkohol begangen zu haben.

Die Tat schlug sofort hohe Wellen in Polen. Die Presse, vor allem die Boulevardblätter, allen voran die Zeitung Fakt, das Flaggschiff von Axel Springer Polska, berichtete ausführlich über den Mord an der „kleinen Grazyna“, wie das ermordete Mädchen in der polnischen Springer-Presse nur genannt wird, und startete gleichzeitig eine Diskussion über eine gerechte Strafe für den Täter. Natürlich wurde dabei auch die Todesstrafe in Erwägung bezogen – und man fand sie auch angemessen.

Die populistische Regierung griff die Stimmung sofort auf. Der Justizminister Zbigniew Ziobro von der Kaczynski-Partei PiS sprach sich für die Todesstrafe aus, bedauerte jedoch gleichzeitig: „Leider kann in der momentanen Situation die Todesstrafe in Polen nicht wiedereingeführt werden.“ Dafür wolle er sich um eine Verschärfung der Rechtsprechung bemühen. „Wenn das Urteil lebenslänglich ausgesprochen wird, dann soll der Verurteilte auch bis zum Ende seines Lebens die Haft absitzen und nicht nach 25 Jahren freigelassen werden“, sagte Ziobro der polnischen Boulevardzeitung.

Auf Stimmenfang mit der Forderung nach Wiedereinführung der Todesstrafe

Es sind keine neuen Töne, die Ziobro von sich gibt. Bereits 2005, noch vor den Wahlen fürs polnische Parlament, trat er für die Wiedereinführung der Todesstrafe ein und qualifizierte sich somit für das Amt des Justizministers. Damit schlug Ziobro die gleichen Töne an wie seine gesamte Partei. Schon sein Parteichef, der heutige Premierminister Jaroslaw Kaczynski, sprach sich 2005 immer wieder für die Wiedereinführung der Todesstrafe aus und machte dies auch zu einem Wahlkampfthema. „Da der Staat ein Organ der Sicherheit sei, gleichzeitig aber auch eine Moralinstanz, habe er das Recht, die Todesstrafe auszuführen“, sagte der Zwillingsbruder des polnischen Präsidenten damals in einer Radiosendung, in der er sich den Fragen der Wähler stellte.

Wie entscheidend dieses Thema für den Wahlerfolg der PiS war, kann nicht genau gesagt werden. Die PiS bediente sich 2005 vieler populistischer Schlagwörter, die vor allem in der ländlichen Bevölkerung, den Verlierern der Wendezeit, Gehör fanden und der rechtskonservativen Partei den Wahlsieg garantierten. Doch es war ein Thema, dass die Koalitionspartner der PiS später aufgriffen und sogar noch mehr instrumentalisierten.

Vor allem die erzkatholische Partei LPR versuchte im Sommer 2006 die Wiedereinführung der Todesstrafe zu ihrem Thema zu machen. Roman Giertych, polnischer Bildungsminister, der in den polnischen Schulen den Patriotismusunterricht einführte, und Sohn des erzkonservativen Europaabgeordneten Maciej Giertych, der in Brüssel in erster Linie durch fundamentalistische Aktionen wie dem Protest gegen den Evolutionsunterricht aufgefallen ist, startete im Sommer eine Kampagne für die Wiedereinführung der Todesstrafe.

Auf der Internetseite der LPR (Liga Polnischer Familien) können Befürworter einen Link finden, auf der, umrandet von einem Teddybär, sie eine Unterschriftenliste downloaden können, die sich für die „Todesstrafe für Pädophile und Mörder“ ausspricht. Im Europarat klingelten nach dem Start der Kampagne sofort die Alarmglocken. Man sprach seine Sorge aus über die Diskussion und drohte Polen sogar offen mit dem Ausschluss aus dem Europarat. Auch in Polen musste sich die LPR viel Kritik anhören, darunter auch von der katholischen Kirche.

Doch die LPR startete diese Kampagne vor allem aus politischem Kalkül. Bereits im Sommer letzten Jahres, nur wenige Monate nach der Aufnahme in die Koalitionsregierung, befand sich die Partei in einer tiefen Krise. Die Umfragewerte waren miserabel, es gab immer wieder kleine Skandale und innerparteilich war die LPR zerrissen. Viele Parteimitglieder, darunter auch Parlamentsabgeordnete, sympathisierten mit der Kaczynski-Partei PiS (Recht und Gerechtigkeit) und drohten offen, die Fraktion zu wechseln. Jene wiederum, die ihre Zukunft noch in der LPR sahen, sägten am Stuhl des Parteivorsitzenden Roman Giertych. Die Presse spekulierte damals schon über die Zukunft der kleinen Partei und vor allem über die von Giertych.

Doch Giertych konnte sich innerparteilich halten und die Risse in der Partei auch einigermaßen wieder flicken. Die erhoffte Gunst bei den Wählern hat ihm die Kampagne um die Todesstrafe für Pädophile und Mörder jedoch nicht eingebracht. Bei den Kommunalwahlen im November letzten Jahres, erlitten die Erzkatholiken eine herbe Niederlage. Gerade mal 2.4 Prozent erhielt die LPR beim ersten Wahlgang und schaffte damit nicht mal die Fünf-Prozent-Hürde, obwohl sie mit dem anderen kleinen Koalitionspartner, der populistischen Bauernpartei von Andrzej Lepper, auf einer gemeinsamen Liste antrat.

Damit musste die LPR die Erfahrung machen, dass man in Polen allein mit der Einführung der Todesstrafe keine Wahlen gewinnen kann. Dabei ist unter den Polen die Zustimmung für die Todesstrafe durchaus vorhanden. Wie eine Umfrage von TNS OBOP ergab, die das Meinungsforschungsinstitut im Auftrag des Boulevardblatts Fakt durchführte, sprachen sich 61 Prozent der Polen für die Wiedereinführung der Todesstrafe aus. Doch diese Umfrage wurde nur wenige Tage nach dem Sexualmord an Grazyna durchgeführt, was die Befragten sicherlich bei ihrer Antwort beeinflusste. Und man kann davon ausgehen, dass in Deutschland eine solche Umfrage nicht anders ausfallen würde, wenn sie im Schatten einer solchen Tat durchgeführt worden wäre.