Selbstbestimmungsgesetz: Warum es kaum Streit um die Parole "Transmänner sind Männer" gibt
In der Debatte geht immer nur um (Trans-)Frauen. Männer fühlen sich nicht bedroht, wenn sie jemanden nicht als "echten Mann" sehen. Ist weibliche Hysterie das Problem?
Warum muss ich als Berlinerin noch mal im Freibad meinen Ausweis vorzeigen, wie es neuerdings alle Badegäste ab 14 Jahren in der Hauptstadt müssen? - Ach ja, richtig: Weil Heerscharen von Transfrauen dort randaliert haben und gewalttätig geworden sind. Wegen dieser Minderheit werden jetzt auch wir "normalen" Frauen und vor allem die armen Männer verdächtigt – und sind trotzdem nicht vor denen sicher. Scheiß Woke-Diktatur!
Oder habe ich jetzt zwei Aufreger-Themen der letzten Wochen durcheinander gebracht? – Spaß beiseite: Natürlich waren das keine Transfrauen oder Transmänner, sondern völlig verzogene Jungs, die sich als solche auch vollkommen richtig "gelesen" fühlen dürften. Sogenannte Cis-Jungs. Queere Personen gehörten eher zu den bevorzugten Opfern.
Schwimmbäder, vor allem die Frauenumkleideräume, sowie Saunabetriebe sind aber nun Stichworte, die besonders häufig genannt werden, wenn es um die Problematisierung von Transfrauen, das gerade vom Bundeskabinett beschlossene Selbstbestimmungsgesetz und die Vorbehalte mancher Feministinnen geht. Die Debattenkultur ist in diesem Fall ähnlich toxisch wie im Fall der Corona-Maßnahmen und des Ukraine-Kriegs.
Haben sich die Gründe der Geschlechtertrennung erledigt?
Die Emotionen kochen hoch – auf der einen Seite werden Transfrauen dämonisiert, als seien sie ausnahmslos verkleidete Männer, die nun reihenweise das Selbstbestimmungsgesetz ausnutzen, um nach einer einfachen Erklärung beim Standesamt rechtlich als Frauen zu gelten und auf diesem Ticket Übergriffe zu begehen.
Auf der anderen Seite werden Frauen, die meinen, wer einen Penis hat, sollte lieber nicht die Gemeinschaftsdusche für Frauen benutzen, weil das doch auf einige Frauen und Mädchen verstörend wirkt (sonnst könnte ja auch gleich auf jede Geschlechtertrennung verzichtet werden), als "Terfs" beschimpft. Das Akronym steht für Trans-Exclusionary Radical Feminists – "Trans-ausschließende Radikalfeministinnen".
Einfache und pragmatische Lösungen, die sicher auch einigen Transpersonen lieber wären – wie etwa Einzelduschkabinen in Schwimmbädern – sind in der Hitze des Gefechts nicht gefragt. Es geht schließlich darum, wer Recht hat und wer den Kulturkampf gewinnt.
Vor allem Transfrauen sind die Leidtragenden. Gegen sie wird auf der einen Seite gehetzt – aber manchmal wird ihnen auch mit der Brechstange "geholfen", was wiederum den Hetzern neue Nahrung gibt.
Das neue Gesetz ist ein Versuch des Interessenausgleichs – und zumindest gelungener als das allermeiste, was die Bundesregierung der Ampel-Parteien bisher sonst fabriziert hat. Es war für sie ja auch eine Chance, progressiv zu sein, ohne dafür viel Geld in die Hand nehmen zu müssen. Es ist aber nicht das Ende aller Konflikte, weil weiterhin im Rahmen des Hausrechts geregelt wird, wer letztendlich in die Frauendusche darf – "aus sachlichem Grund, etwa um dem Schutz der Intimsphäre oder der persönlichen Sicherheit Rechnung zu tragen" kann im Einzelfall differenziert werden.
"Beschützer" und "Terf"-Jäger
Die Auseinandersetzung läuft seit mehr als einem Jahr. Ultrakonservative Cis-Männer machen sich Sorgen um Frauenräume und inszenieren sich als Beschützer, die Unholden in Frauenkleidern mutig die Stirn bieten. Besonders woke Cis-Männer beteiligen sich dagegen gerne an Twitter-Tribunalen gegen mutmaßliche "Terfs". Sie nutzen die Thematik, um es den zickigen Altfeministinnen mal so richtig zu zeigen und sich dabei als moralische Sieger zu fühlen. Wann hat ein weißer Cis-Mann sonst schon diese Gelegenheit?
Jan Böhmermann brauchte dazu letztes Jahr nicht einmal Twitter, neuerdings X, sondern nutzte dazu sein ZDF Magazin Royale. Kritik an Altfeministinnen wie Alice Schwarzer, die Transsexualität als "Mode" abtun, war und ist sicher berechtigt – aber ein sachliches Argument war es nicht, dass Böhmermann im Zusammenhang mit "Terfs" "Turds" als Hashtag der Woche gewählt hat – was "Kackhaufen" bedeutet und nur zur weiteren Vergiftung der Debatte beigetragen hat. Zurückhaltung? Nachdenken über männliche Privilegien? Wozu?
Sind Transmänner akzeptierter und Cis-Männer progressiver?
Männlich sozialisierte Personen sind jedenfalls im Kampf um die Deutungshoheit besonders engagiert. Transmänner kommen in dieser emotionalen und teilweise hoch aggressiven Debatte nur selten vor. Es gibt einen erbitterten Streit über die Parole "Transfrauen sind Frauen", aber keinen über die Parole "Transmänner sind Männer".
Das liegt aber wohl kaum daran, dass "Normalo"-Männer so viel progressiver sind und einen Transmann so viel schneller als "richtigen Mann" akzeptieren, als Teile der feministischen Szene bereit sind, eine Transfrau unabhängig von medizinischen Maßnahmen in jeder Lebenslage als Frau zu akzeptieren.
Tatsächlich sind Männer laut Umfragen im Durchschnitt häufiger rechtskonservativ eingestellt als Frauen. Gleichwohl scheint es für Männer allgemein kein großes Thema zu sein, ob Transmänner nun die Männerumkleide benutzen oder nicht. Der Transmann und Aktivist Buck Angel hat eine einfache und naheliegende Erklärung dafür:
Ich glaube das liegt daran, dass wir in einer Männerwelt leben. Männer fühlen sich durch mich nicht bedroht.
Buck Angel, Transmann
Er sei als Mädchen aufgewachsen, sagte der heute Anfang 60-Jährige in einem Interview mit dem Online-Magazin profil.at. Die Vorstellung, dass Transfrauen in eine Damentoilette kommen, um Frauen zu vergewaltigen, hält er für abwegig und "irre" – aber Wut auf Frauen, die solche Ängste haben, hat er nicht. Transmänner seien als Frauen sozialisiert worden, betont er.
Ich lebte 30 Jahre lang als Frau. Ich erinnere mich, wie ich stets auf der Hut sein musste. Frauen können nicht einfach die Straße runterlaufen, wie ich das jetzt kann. Ich musste immer achtgeben, ich habe sexuelle Übergriffe erlebt, bin vergewaltigt worden. Ich habe diese Erfahrungen gemacht.
Buck Angel
Ein Gefühl der Bedrohung entsteht durch reale Männergewalt – es äußert sich aber in manchen Fällen nicht nur als Misstrauen gegenüber Männern, sondern auch als solches gegenüber Transfrauen – zumindest, wenn sie noch keine geschlechtsangleichende Operation hinter sich haben oder dies gar nicht anstreben.
Die Gründe liegen im Patriarchat
Die Gründe für das Misstrauen liegen also letztendlich im Patriarchat und in den Traumata, die viele Frauen mit dem männlichen Geschlecht und sexualisierter Gewalt verbinden. Das sollten vor allem Cis-Männer im Hinterkopf behalten, wenn sie darüber urteilen. Dann wird vielleicht nicht ganz so schnell "Terf" geschrien.
Eines ist klar: Für Transfrauen muss es besonders verletzend sein, nicht nur nicht als Frauen akzeptiert, sondern auch noch als potenzielle Sexualstraftäter gesehen und für die Gewalt von Cis-Männern verantwortlich gemacht zu werden, die sie oft genug selbst erleiden.
Ängste sind nicht steuerbar. Ideologische Transfeindlichkeit basiert aber nicht in erster Linie auf Ängsten von Frauen, sondern hat einen patriarchalen Hintergrund. Eher geht es dabei um den "Verrat" am biologischen Geschlecht oder um Kosten von Operationen für "die Allgemeinheit", als um Angst vor Übergriffen. Frauen, die solche Ängste haben, sind in der Regel weniger ängstlich gegenüber operierten Transfrauen.
Gehässigen "Terfs", für die nicht Ängste im Vordergrund stehen und denen zu recht Transfeindlichkeit vorgeworfen wird, macht es dagegen Spaß, Transfrauen zu demütigen und ihnen bei jeder Gelegenheit aufs Butterbrot zu schmieren, dass sie niemals "echte" Frauen sein könnten – egal, ob sie sich für medizinische Maßnahmen entscheiden oder nicht. Oft werden dann auch noch die Kosten ins Spiel gebracht und Neiddebatten vom Zaun gebrochen.
Manchmal taucht sogar Gebärfähigkeit als Kriterium für das Frausein auf – was in feministischen Kreisen früher bestenfalls belächelt worden wäre – oder zumindest die Eigenschaft, einmal gebärfähig gewesen zu sein, denn Altersdiskriminierung mögen Feministinnen in der Regel nicht.
Dass Transfrauen keine Kinder bekommen können, wissen sie aber selbst. Das können aber auch nicht alle Cis-Frauen – und viele leiden darunter, dass sie es nicht können. Wer darauf mit Häme reagiert, ist sicher keine Feministin.