Selbstdüngung mit Hilfe von Designer-Bakterien

Seite 2: "Die Evolution ist auf unserer Seite"

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In der Erkundungsphase des Vorhabens durchsuchen Bayer-Wissenschaftler die Mikroben-Bibliothek nach geeigneten Kandidaten, die eine abwechslungsreiche Gruppe von Stickstofffixierern zutage fördern soll, die anschließend bei Ginkgo sequenziert werden. Die Wissenschaftler versprechen sich Auskünfte darüber, welche Gene für die Stickstoffbindung am wichtigsten sind. Diese Information wiederum soll in das Design und die Synthese maßgeschneiderter DNA für neue Mikroorganismen fließen.

Denn die Stickstofffixierung ist ein komplizierter Prozess. Allein mindestens 20 Gene sind direkt an der Kodierung der Proteine beteiligt, die für die Umwandlung von Stickstoff in Ammoniak sorgen. Bisher ist so gut wie gar nichts über das Wechselspiel von Absonderungen keimender Saaten mit dem Boden bekannt, noch zumal, wenn sie zusätzlich mit einem Mikrobenbelag versehen sind. Denn die synthetisch erzeugten Zellen sollen dem Saatgut als Ummantelung mitgegeben werden.

Eine Schwierigkeit: Die Beschichtung muss in der Lage sein, lange Zeit ohne Wasser überleben zu können. Außerdem muss sie sich bei Kontakt mit Feuchtigkeit sofort aktivieren lassen. Eine weitere Anforderung an eine praktikable Lösung: Die Mikroben müssen sich leicht in Petri-Schalen vermehren lassen - viele wild vorkommende Stickstofffixierer tun das nicht. Zur Großanwendung müssen sie durch industrielle Produktion zugänglich sein. Innerhalb der nächsten fünf Jahre soll bereits das erste Saatgut mit Stickstofffixierern beschichtet werden.

Wie die modifizierten Mikroorganismen reguliert werden, ist bisher völlig offen, sagt Mike Miille, Vizepräsident der Strategieabteilung des Biologiezweigs von Bayer Crop Science. In Europa ist das Thema neuer, auf synthetischer Biologie beruhenden Technologien Gegenstand aktueller Debatten. Denn das absichtliche und nicht autorisierte Ausbringen von Lebewesen, die der EU-GVO-Gesetzgebung unterliegen, ist illegal.

Seit einiger Zeit wird eine Stellungnahme der EU-Kommission zum rechtlichen Status der neuen Technologien erwartet. Interessenverbände fordern eine Überarbeitung der dafür zuständigen Gesetzgebung in Europa, die sie angesichts des Charakters von Genome Editing als nicht mehr zeitgemäß befinden.

Unternehmerischer Klassenbester: "The organism company"

Die Forschungsarbeiten werden in Ginkgos Heimatstadt Boston und in Bayers Pflanzenbiologie-Forschungszentrum im kalifornischen West Sacramento durchgeführt. Bayer investiert bereits seit Jahren in Mikroben für die Landwirtschaft. 2012 erwarb das Unternehmen für 425 Millionen US-Dollar die Firma AgraQuest, einen Hersteller biologischer Pestizide. Miille war deren CEO, er wird nun vorläufiger CEO der Neugründung.

Bei Ginkgo Bioworks handelt es sich um einen Start-Up, der Genomforschung, maschinelle Lernverfahren und Automatisierung kombiniert - nach eigenen Angaben ist das Unternehmen der größte Verbraucher synthetischer DNA auf dem Planeten. Ginkgo - "The organism company" - ist Kunde bei Gen9 und Twist Bioscience, zwei großen Herstellern synthetischer DNA. 2015 hat Ginkgo 60% der weltweit produzierten synthetischen DNA gekauft.

Die stürmische Entwicklung auf dem Gebiet lässt die Preise bei Roh-DNA immer weiter fallen, so dass das Konstruieren von patentierbaren Mikroorganismen wie Bakterien und Hefen machbarer wird. Ginkgo war 2008 von MIT-Wissenschaftlern gegründet worden, erwartete Einnahmen 2017: 20 Millionen US-Dollar. Die bisher maßgeschneiderten 30 Mikroben im Firmen-Portfolio sollen die Produktion von Bio-basierten Stoffen in den Betrieben der 15 Kunden verbessern, die hauptsächlich im Nahrungsmittel-, Duftstoff- und im Pharma-Bereich angesiedelt sind.

Die synthetische Biologie galt bisher als schwieriges Terrain für die Umsetzung von Automatisierungsbestrebungen, doch bei Ginkgo Bioworks nehmen diese einen breiten Raum ein. So sollen mehr als 30 Roboter den Prozess der Entdeckung neuer brauchbarer Mikroorganismen beschleunigen. Sie werden in der Herstellung und beim Auslesen und zur Bearbeitung von DNA eingesetzt. Sie haben sich besonders hilfreich beim Transfer von kleinsten Flüssigkeitsmengen in verschiedensten Formaten erwiesen. Wenn ein Wissenschaftler beispielsweise 100 solcher Transfer in 15 Minuten schafft, benötigt ein eingearbeiteter Roboter für die gleiche Aufgabe 30 Sekunden.

Bayer will über die Zusammenarbeit mit Ginkgo ein Unternehmen plazieren, das führend bei der Entwicklung transformativer, auf synthetischer Biologie basierenden Landwirtschaftserzeugnissen wird. Das Projekt vereint Ginkgos Vorreiterrolle in der synthetischen Biologie mit Bayers Expertise in der Landwirtschaft und bei mikrobiellen Produkten. Das neu formierte Biotech-Unternehmen ist eine weitere Investition des Bayer LifeScience Center (BLSC), dessen Aufgabe die Entdeckung und Förderung zukunftsweisender Technologien sind. Mit den jeweilig entdeckten Klassenbesten eines Gebiets geht Bayer direkte Kooperationen ein, wie andere Bayer-Investitionen in die Biotech-Sparte zeigen: zum Beispiel Casebia (CRISPR/Cas) und BlueRock (induzierte pluripotente Stammzellen.