Selbstgemachter Fachkräftemangel
Seite 2: Löhne niedrig halten
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In den aktuellen Tarifauseinandersetzungen wirken die staatlichen Arbeitgeber trotz der stark angestiegenen Inflation, die inzwischen sogar nach Aussagen aus der EZB noch mindestens bis ins nächste Jahr andauern wird, auf niedrige Tarifabschlüsse hin. Das zeigte sich in dem hart umkämpften Tarifabschluss der Bahngewerkschaft GdL, der den Beschäftigten dennoch einen drastischen Reallohnverlust beschert.
Denn innerhalb der Laufzeit des Tarifvertrags wird der Kaufkraftverlust der Bahner absehbar einen mittleren einstelligen Prozentsatz betragen. Das gleiche Bild zeigen die aktuellen Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst. Der nun erreichte Tarifabschluss in Hessen, der Pilotcharakter haben dürfte, bringt den Beschäftigten einen Lohnzuwachs von nur 4 Prozent mit einer Laufzeit von zweieinhalb Jahren.6
Dem Staat geht es darum, die Tariflöhne für einen großen Teil der Beschäftigten niedrig zu halten, um keinen Lohnanstieg in anderen Wirtschaftsbereichen auszulösen. Das blockiert zwar die Produktivitätsentwicklung, denn wenn die Unternehmen von niedrigen Löhnen profitieren, stehen sie nicht unter dem Druck wettbewerbssteigernde Technologien einzuführen.
Mit der Aufrechterhaltung eines niedrigen Lohn- und Gehaltsniveaus wird darauf abgezielt, unprofitable und wirtschaftlich schwache Unternehmen auch weiterhin mitzuschleppen. Denn wenn das Lohnniveau niedrig bleibt, wird es ihnen ermöglicht, die Lohnkosten trotz steigendem Fachkräftemangel niedrig zu halten oder sogar zu senken.
Andernfalls könnten sie die steigenden Löhne vielleicht nicht zahlen und müssten Betriebsteile aufgeben. Zur wirtschaftlichen Stabilisierung der "Zombiewirtschaft" wird daher sogar ein sinkendes Reallohnniveau billigend in Kauf genommen beziehungsweise sogar durchgesetzt.
Aktive Schützenhilfe wird mit der Behauptung geleistet, dass hohe Lohnabschlüsse eine drohende Lohn-Preis-Spirale mit ausufernder Inflation auslösen könnten. In Anbetracht dieser staatlichen Lohnpolitik, die Reallohnsteigerungen zu verhindern sucht, wirkt der immer wieder zum Ausdruck gebrachte "Respekt" vor der Leistung der Erwerbstätigen etwa im Gesundheitswesen, wie auch Bestrebungen zur Anhebung des Mindestlohns, wie eine Verhöhnung der Erwerbstätigen.
Staatliche Institutionen tun - einschließlich Geld- und Fiskalpolitik - wirklich alles, um die schwächsten der schwachen Unternehmen vor dem Untergang zu bewahren und schützen damit objektiv ganz einseitig die Interessen der Vermögenden, deren Kapital in diesen Unternehmen steckt. Die mit ganz langem Atem verfolgte Rettung der "Zombiewirtschaft" wird in der Öffentlichkeit dennoch als sehr erfolgreiche Strategie im Interesse der Arbeitnehmer zur Sicherung von Arbeitsplätzen verkauft.
Tatsächlich unterhöhlt sie jedoch die technologische Entwicklung, das Reallohnniveau und bedroht infolge der Abwanderung von Fachkräften auch die Chancen auf zukünftigen Wohlstand. Der Facharbeitermangel ist ein Paradebeispiel für die seit Jahrzehnten verheerende Wirtschafts- und Sozialpolitik. Zu lösen sind diese Probleme erst, wenn endlich das Problem stagnierender Arbeitsproduktivität in das Zentrum der Wirtschafts- und Sozialpolitik gerückt wird.
Mehr von Alexander Horn lesen Sie in seinem aktuellen Buch "Die Zombiewirtschaft - Warum die Politik Innovation behindert und die Unternehmen in Deutschland zu Wohlstandsbremsen geworden sind" mit Beiträgen von Michael von Prollius und Phil Mullan.