Selenskyj will "eine Regierung, die auch das Unmögliche möglich macht"

Denis Schmygal. Foto: Адміністрація Президента України. Lizenz: CC BY 4.0

Bahnt sich mit dem neuen ukrainischen Ministerpräsident ein Konflikt zwischen der Ukraine und dem Weltwährungsfonds an?

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Die Ukraine hat einen neuen Ministerpräsidenten: den 44-jährigen Denis Schmygal, der gestern auf Empfehlung des Staatspräsidenten Wolodymyr Selenskyj hin mit 291 zu 59 Abgeordnetenstimmen vom Parlament bestätigt wurde.

Der 44-Jährige Lemberger, dessen Nachname ein wenig an eine Figur aus dem Herrn der Ringe erinnert, ist promovierter Wirtschaftswissenschaftler und war vorher unter anderem Manager im DTEK-Konzern des reichsten ukrainischen Oligarchen Rinat Achmetow sowie Mitarbeiter eines Parlamentsabgeordneten von Wladimir Klitschkos brüsselorientierter UDAR-Partei, die sich später mit dem Poroschenko-Block vereinigte. Zuletzt wurde er im Januar vom Vorsitzenden der Regionalverwaltung des Oblast Iwano-Frankiwsk zum Landesminister für regionale Entwicklung und zum Stellvertreter des damaligen Ministerpräsidenten Alexej Gontscharuk befördert.

Mit dem neuen Ministerpräsidenten gibt es auch ein neues Kabinett, dessen Minister jedoch zu einem Teil bereits der Vorgängerregierung angehörten. So behielt etwa Innenminister Arsen Awakow sein Ressort und Außenminister Wadim Pristaiko tauschte seinen Posten mit Europaminister Dmitri Kuleba. Verteidigungsminister ist nun Andrej Taran, ein General.

Dezentralisierung und Digitalisierung

Für den Posten des Wirtschaftsministers hat man sich bislang noch nicht auf eine geeignete Besetzung geeinigt. Ihm kommt im neuen Kabinett eine besondere Verantwortung zu, weil viele von Schmygals Ankündigungen mit seinem Ressort zu tun haben werden: Die neue "Strategie zur wirtschaftlichen Entwicklung", die verbilligten Kredite für kleine und mittlere Unternehmen, die neuen Infrastrukturprojekte und die Pläne zur Steigerung der Steuereinnahmen. Andere Reformvorhaben, die der neue Regierungschef "umgehend" angehen will, sind eine Steigerung der Industrieproduktion und der landwirtschaftlichen Erträge, eine Dezentralisierung, eine stärkere Digitalisierung der Verwaltung, "soziale Fragen" wie die Anhebung der Renten, ein Ende des Krieges im Donbass und eine "Rückkehr" der Krim.

Selenskyj legte den Schwerpunkt in seinen öffentlich geäußerten Erwartungen an den neuen Regierungschef auf die "Korruptionsfälle, die am meisten Aufsehen erregt haben: "Wir haben", so der Staatspräsident, "den Sieg über die Korruption versprochen, [aber] bisher steht es noch nicht einmal unentschieden". Zum Auswechseln von Gontscharuk durch Schmygal meinte er, dessen Regierung habe "alles getan, was möglich war", aber heute brauche man "eine Regierung, die auch das Unmögliche möglich macht".

Der Faktor Kolomoiskij

Unter Gontscharuk, der nur ein halbes Jahr regierte, wies die Ukraine zwar ein dreiprozentiges Wirtschaftswachstum auf - aber die Industrieproduktion schrumpfte und die Steuereinnahmeziele wurden nicht erreicht. Einfluss auf seine Auswechslung hatte jedoch womöglich noch ein anderer Faktor: der Oligarch Igor Kolomoiskij, der Selenskyj im letzten Jahr unter anderem durch seinen Fernsehsender mit ins Amt verhalf.

Medienberichten nach bestellte Selenskyj Gontscharuk nämlich vier Tage vor dessen zweitem Rücktrittsangebot ein, weil dieser die Entlassung mehrerer enger Kolomoiskij-Vertrauter im staatlichen Energiesektor angeordnet hatte. Ein erstes Rücktrittsangebot hatte Gontscharuk bereits im Januar eingereicht, als eine Aufnahme mit Äußerungen zu seiner Einschätzung der Wirtschaftskompetenz des Staatspräsidenten an die Öffentlichkeit gelangte (vgl. Ukraine: Ein "primitives Wirtschaftsverständnis", ein "sogenanntes Rücktrittsgesuch" und ein Oligarch).

Bereits damals wurde spekuliert, dass Kolomoiskij-Leute für die Aufnahme und deren Veröffentlichung verantwortlich sein könnten. Gontscharuk hatte nämlich wenig Anstalten gemacht, den Oligarchen bei dessen Wunsch nach einer Rückgabe seiner 2016 nach einem auch nicht bestandenen Stresstest verstaatlichten und nun vom Ministerrat kontrollierten PrivatBank weiterzuhelfen. Diese 2003 mit dem STP Excellence Award der Deutschen Bank ausgezeichnete PrivatBank ist mit gut 35.000 Terminals, über 3.200 Niederlassungen und etwa 30.000 Mitarbeitern nicht nur größte Geldinstitut der Ukraine, sondern auch eines, gegen das wegen Geldwäsche- und Betrugsvorwürfen ermittelt wird. Der Anti-Korruptionsinitiative Nashi Groshi nach könnten mit ihrer Hilfe über Orte wie Belize, Zypern und die Jungferninseln 1,8 Milliarden Dollar illegal ins Ausland "abgesaugt" worden sein.

Der Weltwährungsfonds verlangt als Voraussetzung für die Vergabe weiterer Kredite, dass die ukrainische Staatsführung eine Rückgabe der PrivatBank an Kolomoiskij ausschließt. Darauf nahm Selenskyj in seiner gestrigen Rede anscheinend Bezug, als er meinte, es könne "bei aller Hochachtung für unsere internationalen Partner" und "bei aller Dankbarkeit für ihre Hilfe […] nicht sein, dass sich Ukrainer in den Aufsichtsräten unserer staatlichen Unternehmen wie Angehörige einer nationalen Minderheit fühlen". Hier gehe es "um Gerechtigkeit und um unser Gefühl, das Schicksal in der eigenen Hand zu haben".

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