Sex gegen Geld - na und?

Seite 2: Kein Offizier, aber ein Gentleman: Michael

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Meine Mutter und ich sprachen viel miteinander, auch das Thema Sex war nach und nach aufgegriffen worden, und so fragte ich sie irgendwann einmal, wie sie damit zurechtkam. Sie war mittlerweile getrennt lebend und ich wusste, sie hatte keinen Freund und würde sich auch nicht selbst befriedigen. Was war also mit ihr? Wie ging es ihr?

Es war lange still, als ich sie fragte. Dann aber sagte sie: "Ich bin auch nicht fernab von Gut und Böse" (ihre Art zu sagen, dass sie noch sexuelle Empfinden hatte). Dann jedoch folgte: "Aber ich gehe nicht einfach mit irgendjemandem weg und -." Das war alles. Die Frage nach Selbstbefriedigung beantwortete sie mit einem freundlichen: "Weißt du, für mich gehört eben Liebe von einem anderen dazu." Ich verstand sie, aber was war mit mir? Klar, von der großen Liebe träumt jeder, aber was passiert, bis ich sie finde?

Ich hatte mich verändert, das merkte ich. Zig Gespräche mit Leuten hatten mir gezeigt, dass Sex nicht zwangsläufig mit Liebe zu tun haben muss. Aber was sollte ich tun? Ich wollte Sex, Liebe gern, aber erstmal Sex. Es war wie ein in mir nagender Hunger. Ich wollte keine Selbstbefriedigung, keine Dildos, Rettiche, Gurken oder was auch immer man da empfahl, ich wollte einen Mann, der mich streichelt, der auf meine Wünsche eingeht, mit mir schläft und - ganz ehrlich gesagt - ich wollte, dass er mich danach in Ruhe lässt. Ich hatte weder Lust (!) darauf, ewig lang durch Kneipen o.ä. zu tigern, um nach geeigneten Männern Ausschau zu halten, sie anzubaggern und dann zu hoffen, noch hatte ich Lust, nach einem dieser One-Night-Stands womöglich einen Kerl an der Backe zu haben, der mich belagerte. Ich wollte Sex, mehr nicht.

Ich kam mir sehr komisch, sehr verrucht, aber auch irgendwie abartig vor, als ich Michael von einer Telefonzelle aus anrief. Michael war ein Student (sagte er, aber wer weiß das schon?). Er sagte über sich, dass er "kultiviert, intellektuell, schlagfertig und für private Besuche, Hotelbesuche und auch Unternehmungen frei sei". Er war 24, ich war über 30, er war ein knackiger, gebräunter Mensch, der in seiner Vita ein paar Zitate brachte, die mich faszinierten. Er verfügte über einen gesunden Humor und er sagte nicht sofort "Ja". Er redete lang mit mir darüber, wie ich mir das Treffen vorstellte usw., ich war eine Frau über 30, die an Attraktivität schwer eingebüßt hatte. Das sagte ich ihm, doch er blieb freundlich: Wir werden sehen.

Anders als man sich das vorstellt, sind viele Callboys nicht jene, die über jede Frau, die zahlt, drübersteigen. Es gibt (wie auch bei der Prostitution) Unterschiede, die gravierend sind. Es gibt die manchmal auch minderjährigen Stricher, die sich mit jedem einlassen, damit sie z. B. den nächsten Schuss finanzieren können, es gibt die Callboys, die irgendwo in den Kneipen herumlungern und dann für einen Fünfziger oder Hunderter mitkommen, es gibt aber auch jene, die inserieren, die beim Treffen den letzten AIDS-Test sowie ein Gesundheitszeugnis vorweisen, die sich Mühe geben, nicht nur eine schöne Hülle zu sein, sondern auch als "Escort-Service" verfügbar zu sein, weil sie sowohl vom Aussehen als auch vom Auftreten und der Bildung her durchaus "akzeptabel" sind. Diese Callboys nehmen nicht jeden Auftrag an.

Schließlich vereinbarten wir ein kurzes Treffen, damit er und ich uns entscheiden könnten, ob es zu einer "intimeren Vereinbarung" kommen könnte. Ich bezahlte seine Fahrtkosten und wir saßen uns in einem Restaurant gegenüber,. Er war nicht nur freundlich und höflich, charmant und intelligent, er hörte mir zu, bemerkte, wie peinlich mir das war, und schaffte es, durch seine Professionalität diese Peinlichkeit zu überbrücken. "Nicht jede Frau will gleich eine Beziehung und nicht jede will irgendwo gesehen werden oder falsch beurteilt werden", sagte er. "Dafür sind Menschen wie ich da. Wir helfen."

Ich versteckte mich hinter einem sarkastischen "Ficken als Hilfe". Er meinte nur: "Warum nicht?" Und eigentlich war das genau das, was ich auch wollte. Brutal gesagt: Ficken, wobei meine Lust die Hauptrolle spielte, nicht die des anderen.

Michael und ich verabredeten uns für eine Nacht, die mich 800 Euro kostete. Eine Menge Geld, die ich auch erst zusammensparen musste, aber das war es mir wert. Dezent gekleidet kam er am späten Nachmittag vorbei, wir aßen, tranken, redeten, hatten (sehr guten!) Sex, redeten wieder, hatten wieder Sex. Morgens ging er. Wir sahen uns nie wieder.

Danach...

Danach überlegte ich viel. Hatte ich nun etwas Schlimmes getan? Etwas Unmoralisches? Eigentlich hatte ich hier einen Mann schlicht und ergreifend als Ware betrachtet - als ein Stück Fleisch und Gehirn, das man bzw. frau mietete. Aber worin unterschied sich das im Vergleich zu einem Mann, der für mich arbeitet, der Körper und Geist mir zur Verfügung stellt, wie ich das will, wofür er Geld bekommt. Ich denke, lediglich die Form der Arbeit ist unterschiedlich. Aber ich hatte hier keinen armen, drogensüchtigen Stricher vor mir, der mit flackernden Augen auf den Schuss hofft und deshalb alles tut, was ich will - hier war jemand gewesen, der ganz klar, ganz logisch seinen Körper, insbesondere seinen Penis, anbot.

Eine Homepage zu erstellen; ein Prepaidhandy (jederzeit wegwerfbar) zu kaufen; Fotos, die ohne Zweifel nicht von einem Amateur geschossen worden waren; Garderobe, die nicht aus dem Billigshop kam ... das war keine Verzweiflung, das war ein Plan. Und Michael hatte es mir selbst gesagt: "Ich kann meistens, ich mag Frauen, ich mag Sex und ich mag es, Frauen zu treffen." Warum also daraus kein Geschäft machen?

Wenn ich heutzutage Artikel lese, die beim Thema Prostitution gleich alles in einen Topf werfen - Zwangsprostitution, Pornografie, freiwillige Prostitution, Chauvinismus, sexuellen Missbrauch, Objektivierung der Frau usw. -, dann frage ich mich, wieso Sex gegen Geld als etwas Schlimmes angesehen wird, sofern er keine Zwangslage ausnutzt. Und wieso es dann in Artikeln wie diesem hier heißt:

Ich will das alles nicht. Ich will nicht, dass die Hälfte der Erdbevölkerung zur Lustbefriedigung der anderen bereit steht, ich will keine nackten Frauen auf Tageszeitungen, ich will keine Pornos, ich will den ganzen Dreck nicht, der nahe legt, mich als Ware zu betrachten.
Keine Ahnung, wie Männer fühlten, wäre es normal, dass Frauen nach einem guten Abschluss in ein Bordell gingen, mit Knaben verkehrten, wenn Männer an der Ecke stehen würden, halbnackt in Strings, wenn Frauen sich in die Seiten stoßen und über die Dicke der Gemächte reden würden, wenn wir euch als Teebeutel verkleideten, damit ihr unseren geilen Blicken und Händen nicht ausgesetzt werdet.
Vielleicht wäret ihr entspannter. Oder ihr würdet das Denken verändern. In den Schulen lehren, dass man nicht jedem Drang nachgeben muss, man muss nicht auf die Straße machen, wenn es einen überkommt, wir müssen diesen ganzen Mist nicht mitmachen. Amen.

Doch, ich finde es in Zeiten, in denen das einfache Ausleben der Lust immer noch als "notgeil" angesehen wird, in denen es heißt, dass Lust nur innerhalb von Beziehungen vorkommen soll, dass Lust und Geilheit etwas Schlimmes seien, dass Lust immer noch automatisch mit Liebe zu tun haben muss, nicht aber kann - in diesen Zeiten finde ich es völlig in Ordnung, dass Menschen sich frei dafür entscheiden können, der Lustbefriedigung anderer Menschen (und sich selbst) zur Verfügung zu stehen. Deshalb ist es auch wichtig, zwischen Zwangsprostitution und Prostitution zu unterscheiden und nicht sexuellen Missbrauch, Pornografie, Prostitution und Zwang zu verquicken.

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