Shapes of things to come
Eine kleine und keinesfalls vollständige Aufstellung der Problemzonen, die die Finanzmärkte 2008 beschäftigen könnten
Feuerprobe für Kreditderivate
„Credit Default Swaps“ (CDS) sind Kreditderivate, die eine Versicherung gegen den Zahlungsausfall bei zumeist verbrieften Krediten wie Unternehmensanleihen oder mit Hypothekarkrediten unterlegten Wertpapieren bieten. Wenn sich einzelne Banken wie z.B. Goldman Sachs und die Deutsche Bank erfolgreich gegen die Verluste aus der Subprime-Krise abgesichert haben, ist das mit solchen CDS erfolgt. Diese Kreditrisiken verschwanden dadurch aber nicht aus dem System, sondern wanderten zu anderen Marktteilnehmern.
Interessant wäre zu wissen, ob die erfolgreichen Banken ihre „Hedges“ in Cash realisiert haben, oder ob nun „wertvolle“ Derivativkontrakte in ihren Büchern stehen, die nun ihre Papierverluste auf andere Positionen kompensieren. Dann würde sich angesichts der doch gewaltigen Beträge die Frage stellen, ob die Garantiegeber denn tatsächlich leisten können, was sie versprochen haben. Waren Buffet, der bekannte Investor und zweitreichste US-Amerikaner, bezeichnete diese Instrumente schon 2004 als „Massenvernichtungswaffen“, die teilweise von „Verrückten“ konzipiert worden wären. Er warnte schon zu einer Zeit, als das Volumen der ausstehenden Kontrakte noch bei kaum einem Zehntel der heute aushaftenden Summen lag, dass sich gewaltige Risiken bei einigen wenigen Dealern konzentrieren würden und die CDS darüber hinaus umfangreiche Möglichkeiten zur Bilanzmanipulation böten.
Die Tragweite des Problematik ist erheblich: Von nominell insgesamt ausstehenden Kreditderivaten, die die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) für Ende Juni 2007 mit 51 Billionen (51.000.000.000.000) Dollar angibt – nach weniger als 5 Billionen noch im Jahr 2004 -, entfielen 88 Prozent auf CDS. Nicht einmal 10 Billionen werden davon über regulierte Börsen mit standardisierten Kontrakten gehandelt, 42,6 Billionen aber „over the counter“ (OTC, „über den Schalter“). Das hat den Nachteil, dass derjenige, der eine Kreditversicherung kauft, darauf Vertrauen muss, dass sein Garantiegeber diese Verpflichtung im Ernstfall erfüllen kann, ohne dass eine regulierte Börse sich um die Zahlungsfähigkeit der Vertragspartner kümmert. Dabei steht laut BIZ in der Regel auf mindestens einer Seite des Geschäfts einer der großen „Dealer“, also eine große Bank oder ein Brokerhaus, von denen die zehn wichtigsten zusammen mehr als 50 Prozent aller offenen Positionen halten. Zwar behaupten die großen Marktteilnehmer unisono, „ausbalancierte“ Portfolios zu halten, die „netto“ kein oder kaum Risiken bergen würden. Ob die mathematischen Bewertungsmodelle aber auch im Krisenfall halten muss sich erst erweisen.
Professionelle Investoren, die spekulieren oder ihre Portfolios absichern wollen, müssen hingegen in der Regel kaum mehr als fünf Prozent „Margin“ hinterlegen, woraus sich enorme Hebelwirkungen ergeben, was besonders Hedge Fonds anzieht und zu wichtigen Marktteilnehmern macht.
An den Märkten ist indes zu hören, dass die Dealer eher zögerlich vorgehen, wenn es darum geht, Deals zu exekutieren, die bei einzelnen Counterparts zu hohen Cash-Auszahlungen führen würden. Anekdotische Äußerungen von Marktteilnehmern deuten darauf hin, dass Positionen, die tief unter Wasser sind, derzeit tendenziell verlängert und Margin-Forderungen sogar gesenkt werden, nur um etwaige Schieflagen nicht realisieren zu müssen.
China auf Crashkurs
China ist mit jährlich im Schnitt rund zehn Prozent BIP-Wachstum bisher sicherlich die wirtschaftliche Erfolgsgeschichte des Jahrzehnts. Der damit einhergehende Immobilien- und Aktienboom hat aber nach allen Bewertungsmaßstäben zu massiven Übertreibungen geführt, deren Korrektur bereits überfällig ist. Das ist auch den meisten Marktbeobachtern und Investoren bewusst, die allerdings überwiegend davon ausgehen, dass die chinesische Regierung es nicht zulassen werde, sich die Olympischen Spiele durch einen Börsen- oder Immobiliencrash verderben zu lassen.
Mit welchen Mitteln sich die Regierung gegen eine etwaige Panik stemmen wird, ist zwar unbekannt. Sollte der politische Wille jedoch gegeben sein, muss wohl mit umfangreichen Stützungskäufen und Finanzierungshilfen für die großen Banken und Brokerhäuser gerechnet werden. Anschließend, so die Durchschnittsmeinung der Analysten, werde die Regierung jedoch eine Korrektur der überzogenen Börsenbewertungen akzeptieren.
Allerdings kennen wohl auch die chinesischen Spekulanten, die die Börsen beherrschen, diese Analysen und werden die heißen Aktien wohl kaum in der Hand haben wollen, wenn der Markt erwartungsgemäß nach den Spielen dann einbricht. Angesichts dieser Erwartungen wäre es also rational, noch den erhofften vorolympischen Aufschwung mitzunehmen, dann aber rechtzeitig auszusteigen. Folglich dürfte schon kurz vor den Spielen enormer Verkaufsdruck aufkommen, der sich – immerhin spekulieren die meisten chinesischen Kleinanleger auf Kredit - rasch zur Panik auswachsen könnte. Ob derlei von der Regierung tatsächlich gebändigt werden könnte, bleibt abzuwarten.
Leistungsbilanzkrisen in den neuen EU-Staaten Osteuropas
Die im Vorjahr zur EU gestoßenen Länder Osteuropas erfreuten sich zuletzt im Vergleich mit Resteuropa durchwegs sehr hoher Wachstumsraten. Was noch stärker zugenommen hat, ist das in den jeweiligen Volkswirtschaften existierende Kreditvolumen. Dabei finden sich mit den Regierungen, den Konsumenten und den Unternehmen alle in Frage kommenden Gruppen einhellig vereint, sodass die Leistungsbilanzen dieser Länder teilweise zweistellige Negativsalden verzeichnen. Denn während sich zwar mit Korruption und Spekulation in diesen Ländern durchaus viel verdienen lässt, sehen sich normale Arbeitskräfte in der Regel mit dem Problem konfrontiert, dass die bezahlen Löhne kaum zum Überleben ausreichen und schon gar nicht den Erwerb von Autos, Immobilien oder irgendwelcher Designerstücke zulassen.
Die Lösung bieten österreichische und italienische Banken, die seit einigen Jahren emsig bemüht sind, die noch immer sehr niedrigen Verschuldungsraten der Bevölkerung auf westeuropäische Niveaus zu heben. Die Folge sind rasant steigende Importe, die beispielsweise das Leistungsbilanzdefizit Bulgariens im Vorjahr voraussichtlich auf über 17 Prozent haben ansteigen lassen. Finanziert wird der Abgang bislang problemlos durch Direktinvestitionen und Bankkredite, wobei die ausländischen Investitionen in die bulgarische Wirtschaft (bzw. in den Immobilienmarkt) gerade dabei sind, stark zurückzugehen. Denn die Investoren stoßen bereits auf Kapazitätsengpässe, die so groß sind, dass die Löhne im Vorjahr um 17 Prozent angestiegen sind, wobei sich die kreditfinanzierte Überhitzung inzwischen auch in einer zweistelligen Inflationsrate zeigt.
Nicht wesentlich besser steht es um Rumänien und die baltischen EU-Länder, die allesamt ähnlichen Gefahren ausgesetzt sein könnten, sollte die Finanzierungsbereitschaft des Auslandes zurückgehen, was angesichts der herrschenden Liquiditätsengpässe im internationalen Finanzsystem gar nicht so abwegig erscheint. Allerdings bescheinigen die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) und das WIIW, das Wiener Institut für internationale Wirtschaftsvergleiche, den finanzierenden Banken, sehr gut diversifiziert zu sein, die Risiken also so gut vereilt zu gaben, dass es unwahrscheinlich sei, dass sie dadurch in Schwierigkeiten geraten könnten.
Wie sich aber immer wieder zeigt, pflegen Risiken an den Finanzmärkten gerne gehäuft, plötzlich und dann gleichzeitig bei an sich nicht korrelierten Wirtschaftssubjekten schlagend zu werden. Eine Ansteckung der internationalen Finanzmärkte kann dann wohl nicht ausgeschlossen werden.
CMBS auf Subprime-Kurs
Die in den USA weit verbreiteten „Commercial Mortgage Backed Securities“ (CMBS) sind Anleihen, die mit Krediten für kommerzielle Bauten wie Shopingmalls oder Büros unterlegt sind. So wie die Zahlungsströme aus Eigenheimhypotheken, deren gehäufter Ausfall im Subprime-Segment im Vorjahr eine schwere Finanzkrise ausgelöst hatte, wurden auch diese Kredite in riesigem Umfang in kompliziert strukturierte Wertpapiere verpackt und an Investoren verkauft. Und ebenso wie bei Eigenheimen ist so in den vergangenen Jahren ein – bislang noch andauernder –Bauboom finanziert worden.
Angesichts der offenbar bereits bestehenden Überkapazitäten sinken jetzt allerdings die Erträge der finanzierten Projekte. Sollte es in der Folge zur absehbaren Pleitewelle kommen, müsste sich das Finanzsystem auf eine ähnliche Schockwellen wie im Vorjahr einstellen, als die Subprime-Papiere baden gingen.
Kreditversicherungen – die „Monoline Insurers“
Eine bedrohte Art sind derzeit auch die so genannten „monoline insurance companies“ wie z.B. Ambac und FGIC, kurz „Monolines“ genannt, deren Kerngeschäft darin besteht, als externe Garantiegeber für Wertpapiere aufzutreten. Zwar konzentrieren sich diese Unternehmen traditionell auf Anleihen öffentlicher Körperschaften, etwa Kommunalanleihen; nur haben sie auch umfangreiche Bestände an strukturierten Hypothekaranleihen garantiert, die ihnen im Vorjahr bereits massive Kurseinbrüche und steigende Skepsis der Ratingagenturen eingebracht haben. Denn diese Unternehmen sind nicht etwa durch riesige Mengen an Eigenkapital dazu imstande, anderer Leute Kredite zu garantieren, sondern durch ihre Fähigkeiten im Risikomanagement und im Eintreiben von Schulden. So garantieren sie insgesamt 2,4 Billionen Dollar an Krediten, haben aber kaum 100 Milliarden Dollar an Eigenkapital. Sollte es nach den Subprime Überraschungen auch in anderen Kreditsegmenten zu ungewöhnlich hohen Ausfällen kommen, dürfte die Branche kaum zu retten sein.
Über den Monolines schwebte nun das Damoklesschwert, ihre Top-Ratings zu verlieren. Dann wenn sie selbst keine Bestnoten vorweisen könnten, wäre ihre Geschäftsgrundlage obsolet, da ihr einziges Produkt nichts mehr wert und daher unverkäuflich wäre. Dann stünden aber auch die von ihnen garantierten Papiere unter Abwertungsdruck, was bei den garantierten Volumina eine erhebliche Belastung für das Finanzsystem darstellen dürfte.
Bisher ist erst ACA, der kleinste und schwächste der Branche in Schwierigkeiten geraten und von der Ratingagentur S&P auf Junk-Nveau herabgestuft worden. Demnach hätte ACA für 2,85 Milliarden USD an geplatzten Kredite Auszahlungen leisten müssen, hatte aber nur 650 Million flüssig, und große Probleme selbst Kredite zu bekommen. Nun haben laut CNN Money die Investmentbanken Merrill Lynch und Bear Stearns 1,7 Mrd. USD bereitgestellt, offenbar um ihre eigenen Wertpapierbestände zu schützen, immerhin sollen bei einer ACA-Pleite allein bei Merrill fünf Milliarden USD an Abwertungsbedarf auf dem Spiel stehen.
Alles in allem dürfte es an den Finanzmärkten in diesem Jahr also kaum langweilig werden.