Sie haben Augen und sehen nicht

Genetiker haben den ersten Genschnipsel charakterisiert, der für die zunehmende Erblindung im Alter durch Netzhautdegeneration im gelben Fleck zuständig ist.

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Nach vorsichtigen Schätzungen leiden in den USA 15 Millionen und in Deutschland 1–2 Millionen Menschen an der "altersabhängigen Makula-Degeneration" (AMD). Die Bezeichnung "altersabhängig" oder auch "senil" kommt daher, dass die ersten Symptome mit dem 40.-50. Lebensjahr auftreten. Mit zunehmendem Alter wächst die Wahrscheinlichkeit, daran zu erkranken, wobei Rauchen, Bluthochdruck, Übergewicht und bestimmte Arten der Ernährung sich zusätzlich auswirken können.

Die Makula oder der gelbe Fleck liegt im Mittelpunkt unseres Gesichtsfeldes. Wir benutzen die Makula, um das Bild in unserem Auge scharf zu stellen. Dabei ähnelt dieses Vorgehen dem einer Kamera mit Entfernungsmesser. Hier sehen wir beim Blick durch den Sucher meistens einen kleinen Kreis zum Scharfstellen. Nichts anderes macht die Makula.

Gleichwohl ist die altersabhängige Makuladegeneration eine Krankheit, die von vielen Faktoren zusätzlich bestimmt wird. Dennoch hat sich ein gemeinsames Kennzeichen heraus geschält, nämlich eine Chromosomenschädigung am Chromosom 1.

Gesichtsausfälle bei angeborener Makuladegeneration

Die weiteren Analysen sind nun darauf angelegt, das Chromosom 1 auf Störungen im Erbgut abzusuchen. Glücklicherweise hat das Human Genom Projekt hierfür ein Verfahren vorgestellt, das Millionen und Abermillionen von Schritten erheblich vereinfacht. Statt Haus für Haus einzeln abzuklappern, kann man sich an der Kirchturmspitze orientieren und so die Lage der Straßen bestimmen. Danach ist es relativ einfach, mit "Schnipseln" (snips), die wiederum aus zahlreiche Teilfunktionen bestehen, die einzelnen "Straßenzüge" zu bestimmen. Die SNPs (single nucleotide polymorphism) erfassen nämlich Fehler im Erbgut ohne die komplette Genanalyse notwendig zu machen. Solche vereinfachenden Snips sind von den Forschern geprüft worden.

Klein und Mitarbeiter benutzen die Informationen, um die SNPs in der Komplement-H-Faktor (CFH)-Region zu entwirren. Dazu haben sie 100.000 SNPs geprüft, die von Affymetrix bereit gestellt wurden. Edwards und Mitarbeiter sowie Haines und Mitarbeiter verwandten verschiedene SNPs unter Bezug auf die 1q31-Region. In allen drei Untersuchungen zeigen die Ergebnisse eine CFH-Region, in der Histidin anstelle von Tyrosin eingelagert ist (Sciencexpress). Wenn man nun noch weitere immunologische Besonderheiten berücksichtigt, die das Komplement-System mit sich bringt, wird eines klar: Die Schädigung wird durch diesen Mechanismus in Gang gesetzt.

"Wir wissen, dass die chronische Entzündung eine Rolle für die Makuladegeneration spielt. Der Nachweis des Komplement-H-Faktor ist ein erster wichtiger Hinweis auf die Rolle der Entzündung und damit ihren primären Einfluss", betont deshalb Jonathan Haines.

Immunfluoreszenz von Complement Factor H (CFH) Protein mit anti-CFH-Antikörper in der menschlichen Retina (Bild: Klein et al./Science)

Diese Feststellung unterstreicht die Beobachtung, wonach die altersabhängige Makuladegeneration zwei unterschiedliche Verlaufsformen zeigt. Die häufigere Erkrankung wird als "trockene" Form bezeichnet. Hierbei sterben zentrale Netzhautzellen langsam ab, so dass dieser Zelluntergang ganz allmähliche zur Sehverschlechterung führt. Ganz anders bei der "feuchten" Makuladegeneration. Hier kommt es zu Flüssigkeitsansammlungen, die sich zumeist aus einwachsenden Aderhautgefäßen erklären. Durch das Austreten von Flüssigkeit aus den Blutgefäßen entsteht somit rasch eine Schädigung der lichtempfindlichen Zellen.

Im Laufe der Krankheit besteht zunächst eine Verzerrung des auf die Netzhaut geworfenen Bildes. Für den Betroffenen gilt es als erstes Anzeichen der Schädigung, weil gerade Linien verbogen erscheinen ("Amsler-Test"). Später treten Flecken im Gesichtsfeldzentrum auf. Damit verliert der Kranke zunehmend die Fähigkeit, auf ein Bild zu fokussieren.

Schema eines Amsler-Testes

Frühere Untersuchungen haben gezeigt, dass das CFH eine schützende Funktion auf die entzündlichen Veränderungen besitzt und dass diese Schutzfunktion bei einer Makuladegeneration verloren geht. So ist das Risiko, an einer altersabhängigen Makuladegeneration zu erkranken, bei Nachweis von Tyr402His deutlich erhöht. Wenn eines der paarig angelegten Chromosomen betroffen ist, beträgt das Risiko das 3-5fache, bei Befall des kompletten Chromosomensatzes errechnet sich das Risiko auf das 5-7fache eines Gesunden.

"15 Millionen Menschen in den USA leiden an der AMD und davon 1,5 Millionen an der schweren Form. Im Jahr 2030 mit dem zunehmenden Alter der Baby-Boomer-Generation wird sich diese Zahl verdoppeln", erklärt Eric Postel vom Duke University Eye Center. "Es ist dringend notwendig, daß wir eine Frühdiagnostik starten. Möglicherweise ist der kostengünstige Nachweis von Tyr402His ein einfacher Test für die weitere Diagnostik und ermöglicht die Therapie - lange vor der bleibenden Schädigung."

Eines ist nämlich sicher: Je ausgeprägter die Veränderungen sind, umso geringer ist der Erfolg einer Therapie. Zumindest heute noch.