"Sie werden leiden, sie werden Blut weinen"
Wenn Rückkehrer aus Syrien auspacken - Verfassungsschutz zählt 600 gewaltbereite Salafisten in NRW
Seit den tödlichen Anschlägen von Paris und Brüssel zeigen sich Politiker und Bürger auch hierzulande alarmiert. Zu einem besonderen Schwerpunkt potentieller Akteure hat sich derweil das Bundesland Nordrhein-Westfalen entwickelt. In den vergangenen Jahren wurde eine ganze Reihe gewaltorientierter dschihadistischer Unterstützernetzwerke in NRW bekannt.
Bei der Kölner Staatsanwaltschaft laufen aktuell zwei Dutzend entsprechender Ermittlungen. Das Oberlandesgericht in Düsseldorf hat schon sechs Verfahren gegen Islamisten abgeschlossen, es fing an mit der "Sauerland-Gruppe" um Fritz G. Weitere sechs Verfahren beim OLG sind im Gange, drei weitere werden geprüft. Bei der Bundesanwaltschaft laufen aktuell 130 Ermittlungsverfahren zu islamistisch-terroristischen Vereinigungen.
Kämpfer und Konvertiten
Zu mehrjährigen Haftstrafen sind soeben zwei 28-Jährige aus Herford und Mönchengladbach verurteilt worden. Das Düsseldorfer Oberlandesgericht sah es als erwiesen an, dass beide als Mitglieder der Terrormiliz "Islamischer Staat (IS) in Syrien" Teil einer "terroristischen Vereinigung im Ausland" waren. Das Strafmaß: Sechs Jahre und drei Monate Haft für Mustafa C. aus Mönchengladbach, der Konvertit Sebastian B. aus Herford erhielt viereinhalb Jahre Haft. Einer der Angeklagten hatte im März sein Schweigen gebrochen und ein Geständnis abgelegt.
Das Gros der dschihadistisch motivierten Straftäter und Sympathisanten orientiert sich 2016 mehr oder weniger an den Konfliktlinien im syrisch-irakischen Bürgerkrieg. Das zeigt auch ein anderer Fall. Nils D., ein Konvertit aus Dinslaken/NRW, traf Kampfgenossen in Syrien, knapp ein Jahr hat der 25-Jährige dort verbracht. In Vernehmungen im September und Oktober 2015 identifizierte er auf Fotos drei IS-Terroristen aus dem belgischen Führungskader.
Den Beamten der Ermittlungsgruppe "GOLF", die ihn nach Anschlagsplänen fragten, erwiderte Nils D.: "Es gibt (…) Strukturen, dass die einen vom IS losschicken mit einem Auftrag nach Europa. Könnte mir gut vorstellen, dass das bei den Belgiern, die ich in den Nachrichten gesehen habe, so war." Seine Vermutung sollte sich bestätigen. Einer seiner "Bekannten" aus Syrien, Abu Omar, bürgerlich Abdel-hamid Abaaoud, richtete mit seiner Terrorzelle das Blutbad von Paris an.
Nils D. weiß, wovon er spricht. In Syrien wurde er in den Terrorkampf eingewiesen und spürte mit seiner Einheit IS-Abtrünnige auf, die man folterte und umbrachte. Im Winter 2014 kehrte er nach Deutschland zurück, wurde festgenommen - und packte aus. Das OLG Düsseldorf verurteilte den Drei-Zentner-Mann zu viereinhalb Jahren Haft. In islamistischen Kreisen gilt er seitdem als Verräter.
2.700 Salafisten in NRW
Verfassungsschützer sprechen von 2.700 Salafisten in NRW. Galten davon im Sommer 2015 etwa 320 als gewaltbereit, hat sich die Zahl mittlerweile auf 600 erhöht, etwa 125 dieser Leute werden als extrem risikobehaftet eingestuft.
Nach einer Analyse der "Hessische(n) Stiftung Friedens- und Konfliktforschung" (HSFK) sprechen Dschihadisten gezielt Jugendliche an und gestalten ihre Missionierungsaktivitäten so, dass diese möglichst anschlussfähig an die Jugendkultur rüberkommen. Zu dergleichen Aktivitäten zählen Medieninitiativen wie das "Abu-Z-Projekt" des Bonners Abu Zakariya, "Muslim Mainstream" des Kölners Sabri Ben Abda oder das Portal "Independent Journalists" ("Indyjournalists"), das den Kontakt zu den in den Dschihad ausgewanderten "Brüdern" aufrecht halten will und nebenbei kräftig Propaganda für die ISIS macht.
Der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen nahm deshalb ein "Aussteigerprogramm Islamismus" in seine Arbeit auf. Seit längerem gab es ein ähnliches Programm bereits für den Bereich des Rechtsextremismus. Aussteigerprogramme gelten als wichtige Angebote der Prävention.
Mit dem vorhandenen Personal könne die nordrhein-westfälische Szene aber "nie und nimmer" umfassend überwacht werden, klagt derweil Sebastian Fiedler vom "Bund Deutscher Kriminalbeamter" in NRW: "Wenn sich die Zahl der Gefährder in den vergangenen Jahren verdoppelt hat, die der Polizisten aber nicht, dann haben wir zwangsläufig ein Problem."
220 junge Menschen allein aus NRW sind in den vergangenen Jahren nach Syrien und in den Irak ausgereist, um sich ausbilden zu lassen und den Kampf des Jihad zu unterstützen. Rund 60 davon sind inzwischen nach Deutschland zurückgekehrt. Von 76 Personen aus der islamistischen Szene, die bundesweit per Haftbefehl gesucht werden, kommen 37 aus NRW.
Der mutmaßliche Bombenleger Marco G. - er geriet in die problematische Bonner Szene - hat seinen Hass auf die "Ungläubigen" hierzulande in zahlreichen Mails und Briefen mit den Worten festgehalten: "Sie werden leiden, sie werden Blut weinen." Leere Drohungen eines Verrückten? Angesichts des Ernstes der Lage wohl kaum. Die Fälle der letzten Jahre zeigen die Gefahr auf, nicht nur für NRW.