Siegt der "tiefe Staat" über Trump?
Bizarre Reaktionen nach dem Treffen mit Putin: Der Machtkampf in den USA und in Deutschland über die Verschwörungstheorie zur "russischen Einmischung"
Es ist schon bizarr, welche Reaktionen das Treffen zwischen Trump und Putin in den USA und auch in Deutschland ausgelöst hat. Man könnte fast den Eindruck haben, Trump habe Putin den Atomkoffer persönlich übergeben, so vehement jaulten die Vertreter des "tiefen Staates" und die vom ihm abhängigen Politiker aller Parteien auf.
Dabei verlief das Treffen zwischen Putin und Trump recht unspektakulär. Es gab weder gemeinsame Abkommen noch eine gemeinsame Stellungnahme, aber auch keinen Eklat. Man könnte also wie Bundesaußenminister Maas sagen, es ist gut, dass es stattgefunden hat, weil es immer besser ist, wenn Politiker, die über ein Atombombenpotential verfügen, das die Welt gleich mehrmals in die Luft sprengen könnte, nicht ständig den Eindruck erwecken, als würden sie gleich einen Krieg auslösen wollen.
Da es aber keine konkreten Vereinbarungen gab, hätte man das Treffen auch schnell abhaken und zu den wichtigeren Fragen übergehen können. Doch in den USA entwickelte sich die Deutung des Treffens zu einem Machtkampf.
Die Verschwörungstheorie über die russische Wahlmanipulation
Politiker des tiefen Staates, die sich in allen Parteien finden, wollten Trump nicht durchgehen lassen, dass er auf der Pressekonferenz mit Putin nicht die Verschwörungstheorie von der russischen Wahlbeeinflussung nachgebetet hat.
Der Druck war so stark, dass sich Trump dann mit der Ausrede behelfen musste, er habe eigentlich das Gegenteil von dem gemeint, was er auf der Pressekonferenz gesagt hat. Der tiefe Staat hatte zuvor schon seine Macht gezeigt, als er pünktlich zur Russlandreise Trumps Anklage gegen zwölf russische Geheimdienstmitarbeiter erhob, die er der Cyberangriffe beschuldigte. Alle halten sich in Russland auf, so dass wohl niemand je vor einem US-Gericht stehen wird. Doch das war gar nicht Ziel der Anklage.
Es sollte eine Kulisse aufgebaut werden, um Trump zu zwingen, diese angeblichen Angriffe zum Hauptgegenstand der Gespräche zu machen, also das Treffen im Desaster enden zu lassen. Allein, Trump ließ sich in Helsinki nicht in dieses Korsett zwängen und wies den Fabrikationen des tiefen Staates nicht mehr Glaubwürdigkeit als Putin zu.
Die Vertreter des tiefen Staates jaulten auf, wie man beide überhaupt auf eine Stufe stellen könne. Diese Kritik könnten die Putin-Freunde freilich ebenso für sich reklamieren. In der Realität dürften sich beide Staatsapparate wenig nehmen bei der Fabrikation von Lügen und Mythen im Staatsinteresse.
Vom tiefen Staat der USA ist nun bekannt, wie er bereits vor 100 Jahren die Angst vor Linken und Revolutionären geschürt hat, wie er in den 1950er Jahren die antikommunistische Hexenjagd befeuerte, die zum Justizmord an den jüdischen Linken Ethel und Julius Rosenberg führte. Es war der tiefe Staat, der in den 1960er und 1970er Jahren sämtliche oppositionelle Gruppen infiltrierte, Martin Luther King gezielt diskreditierte, mit gefälschten Briefen die Black Panther Party zerstören wollte.
Es waren mutige Frauen und Männer, Whistleblower würde man sie heute nennen, die dafür sorgten, dass diese Fakten bekannt geworden sind. Es war auch der tiefe Staat, der die Gründe für den Irakkrieg fabrizierte. Manche Politiker, die die Behauptungen von Massenvernichtungswaffen im Irak verbreiteten, waren selber nicht im Bilde, dass sie einer Fälschung des tiefen Staats aufgesessen waren.
Es hätte tausend gute Gründe für die irakische Bevölkerung gegeben, Saddam Hussein durch eine Revolution zu stürzen. Die Fälschungen aus den USA waren der falsche Grund und führten zum Desaster im Irak bis heute. All diese Fakten sind bekannt und so ist es direkt erfrischend, wenn ein US-Präsident klar sagt, dass er nicht von den vermeintlichen Erkenntnissen des tiefen Staats zur Wahlbeeinflussung durch Russland überzeugt ist.
Schade nur, dass diese Erkenntnis von einem Trump kommt. Keiner der möglichen Präsidentschaftskandidaten, die irgendwie als liberal durchgehen oder sogar etwas links von der Mitte, wie Bernie Sanders, hätte daran nur gedacht. Das spricht nicht für Trump, aber gegen seine Gegner. Das trifft auch auf Deutschland zu.
Spätestens nach der Aufdeckung des NSU wäre Zeit gewesen, dass Politiker deutlich erklären, dass die Geheimdienste ein Problem sind und keine Lösung.
Nicht an der russischen Einmischung, sondern am US-Wahlsystem ist Clinton gescheitert
Es gibt einige Grundsätze der bürgerlichen Demokratie, die sie von einer für das Kapital in der Regel dysfunktionalen Willkürherrschaft unterscheidet. Die Ausnahme von der Regel sind die unterschiedlichen Formen faschistischer Herrschaft.
Zu den Grundsätzen gehört das Credo, dass Geheimdiensterkenntnisse nicht mit Fakten verwechselt werden dürfen, dass eine Anklage keine Verurteilung ist und bis zu einem rechtskräftigen Urteil die Beschuldigten als unschuldig zu gelten haben. Gegen alle diese Grundsätze wird in der Causa "russische Wahlbeeinflussung" permanent verstoßen. Natürlich wird auch nicht nachgefragt, wie denn die USA und andere Länder die Wahlen in Staaten beeinflussen, deren Führungen ihnen missliebig ist. Nein, Wahlbeeinflussung gibt es nur beim Gegner.
Die ganze Kampagne um die russische Wahlbeeinflussung soll über die für die Systemkräfte deprimierende Tatsache hinwegtrösten, dass die so gut vernetzte Kandidatin des Establishments die Wahl verlor. Dabei waren sich alle ihres Sieges so sicher. Die Kräfte des alten Systems wollen sich nicht eingestehen, dass Clinton nicht an Russland, sondern am US-Wahlsystem gescheitert ist.
Sie hatte mehr Stimmen als Trump, aber ihr fehlten die entscheidenden Wahlmänner und -frauen. Zudem wurde die Antipathie unterschätzt, die Clinton in vielen Teilen der USA entgegenschlug. Die Taz-Kolumnistin Bettina Gaus war in der Zeit der Vorwahlen in den USA. Gaus prophezeite danach einen Sieg von Trump, als alle auf Clinton setzten. Ihre Prognosen hatten nicht russische Einflussversuche, sondern politische Einstellungen und Haltungen eines guten Teils der US-Bevölkerung im Blick.
Auch in Deutschland wird die Mär von der russischen Wahlbeeinflussung verbreitet
In den USA ringen verschiedene Kapitalfraktionen miteinander. Die Mär von der russischen Wahlbeeinflussung ist dabei eine wichtige Waffe. Doch auch in Deutschland findet sie viel Verbreitung von verschiedenen Seiten. Da sind zum Beispiel die Dauerinterviewpartner des Deutschlandfunks wie die Anhänger der Clinton-Demokraten, so zum Beispiel Andrew Denison, die immer erklärten, Trump werde nie Präsident. Als er es dann wurde, berichteten sie über seinen baldigen Sturz. In einem Interview im Deutschlandfunk zum Putin-Besuch von Trump gab Denison einige Kostproben seiner Weltsicht.
Donald Trump ist in eine Falle geraten, weil wenn er zugibt, dass die Russen ihm den Wahlsieg gegeben haben, dann ist seine Macht illegitim. Er hat ja sowieso zwei Millionen weniger Stimmen als Hillary Clinton. Dann ist seine Macht illegitim. Wenn er es nicht zugibt, dann scheint er zunehmend realitätsfremd zu sein, und das heißt, zu diesem Zeitpunkt haben wir einen Präsidenten, der unheimlich geschwächt ist, und dadurch kann er selbst bei einem Gipfel mit Putin außer Schlagzeilen erzeugen die Fundamente der Beziehungen nicht stark ändern.
Andrew Denison, Deutschlandfunk
Es ist schon erstaunlich, dass ein Mann, der ernsthaft behauptet, die Russen und nicht das US-Wahlsystem habe Trump ins Präsidentenamt gebracht, als Politikberater herumgereicht wird. Auf die Frage des Interviewers, wie er zu seiner Einschätzung komme, antwortete Denison auf abgedrehte Weise:
Ich stütze mich auf den ehemaligen Direktor der National Intelligence, Herrn Clapper, sowie einen anderen, der sehr deutlich geschrieben hat, wie die Russen in Wisconsin und Michigan den Wahlsieg gewonnen haben - dort, wo Bernie Sanders auch gegen Hillary gewonnen hat.
Andrew Denison, Deutschlandfunk
Die Russen haben die Wahlen in Wisconsin und Michigan gewonnen? Und ist Bernie Sanders auch ein Geschöpf Russlands? Dass Sanders in dem wirren Statement erwähnt wird, kann auch als Drohung an ihn verstanden werden. Wenn er gegen die Interessen des tiefen Staates handelt, schießt der sich auch auf ihn ein.
Dass sogar der gefallene russische Oligarch Michail Chodorkowskij im Kampf gegen Putin aus der Versenkung geholt wird, zeigt aber auch die Verzweiflung der EU in der Russland-Frage.
Chodorkowskij stand in Fragen der kriminellen Energie und des kapitalistischen Bereicherungswillen anderen Oligarchen in Nichts nach, unterlag aber im internen Machtkampf. Nach seiner Verurteilung wird er als Bürgerrechtler herumgereicht, in Russland ist er heute unbeliebter als Gorbatschow.
Wenn die FAZ mit ihm aufwarten muss, muss es um die Trümpfe der EU schlecht aussehen. Dass anlässlich von Trumps Europa-Reise die EU als "Gegner" benannt wurde, ist nur die Beschreibung eines Fakts.
Führende Politiker Deutschlands haben nicht erst seit der Wahl von Trump die USA als Gegner und Kontrahent bezeichnet. Und alles andere wäre auch eine Lüge. Die EU ist einer von verschiedenen kapitalistischen Akteuren im weltweiten Konkurrenzkampf und hat den Nachteil, dass sie noch oder gerade jetzt mit internen Problemen zu kämpfen hat.
Zudem ist sie neben den USA, Russland und China einer der kleineren Player und hat daher auch besondere Orientierungsprobleme. Wie schlau ist es, sich neben den USA auch noch mit Russland anzulegen? Wie passt eine Anti-Russland-Rhetorik mit dem Interesse an billigen Gaslieferungen aus Russland zusammen?
Dabei geht es nicht um die vielstrapazierten europäischen Werte, sondern um wirtschaftliche Interessen. Darüber wird in den EU-Ländern heftig gestritten.
"Fight the Game, not the Players"
Wie die Fronten dabei in Deutschland verlaufen, konnte man am vergangenen Montag bei der Sendung Kontrovers im Deutschlandfunk beobachten, die den Titel Putin, Trump und der Westen - wie passt das zusammen? trug.
Den Adepten der deutsch-europäischen Werte gab der Ex-Maoist Ralf Fücks, der die alte deutschnationale Strategie fortsetzt, Russland möglichst durch deutschfreundliche Satellitenstaaten einzukreisen.
Diese Osteuropastrategie des deutschen Imperialismus wurde schon früh von Teilen der deutschen Friedensbewegung und den frühen Grünen sowie völkischen Gruppen adaptiert, die seit Mitte der 1970er Jahre gegen das System von Jalta wetterten, um die auf der Niederlage des NS basierenden Nachkriegsordnung aufzulösen.
Der Wiederaufstieg Deutschlands war integraler Teil des Konzepts. Ralf Fücks ist nicht der einzige, der diese politischen Ziele in unterschiedlichen Gruppen, von der maoistischen Partei über die Grünen respektive ihrer Heinrich-Böll-Stiftung bis heute zum Zentrum Liberale Moderne fortsetzte.
Als Gegenpool inszenierte sich in der Sendung der AFD-Politiker Petr Bystron, der für eine enge Kooperation zwischen Deutschland und Russland plädierte. Dann saß da noch mit dem Russland-Koordinator der Bundesregierung der SPD-Politiker Gernot Erler, der irgendwie den Gesprächsfaden mit Russland nicht abreißen, aber trotzdem dem "Putin-Regime" die Grenzen zeigen will.
Die Gesprächsanordnung bildet ab, wie aktuell die innenpolitischen Debatten aussehen. Es geht um die Frage, ob die EU ihre innerkapitalistischen Konkurrenzkämpfe mit oder gegen Russland austragen soll. Erler ist dann die blasse Stimme des Sowohl-als-auch.
Wie in der gesellschaftlichen Realität, fehlte auch in der Deutschlandfunk-Debatte eine Stimme, die nicht die Player, sondern das gesamte Spiel kritisierte. Damit ist nicht gemeint, dass sich zu dem Trio noch eine Linksparteivertretung gesellen sollte, die anmerkt, ihre Partei habe schon historisch gute Kontakte zu Russland gefordert, als es die AfD noch gar nicht gab.
Putin, Trump, der Westen, das sind Erscheinungsebenen der weltweiten kapitalistischen Konkurrenzgesellschaft, so wie in den USA Trump, Clinton und der tiefe Staat bei allen gegenseitigen Animositäten Charaktermasken des zeitgemäßen Kapitalismus sind. Eine linke Position müsste hier mit der Kritik beginnen, nach dem Motto: "Fight the Game and not the Players."