Skandalöser Normalzustand
Eine kleine Geschichte des Silikons als Rohstoff der Schönheitsindustrie
Skandale machen aus einem Ereignis etwas Singuläres und lösen es damit aus dem Gesamtzusammenhang. So war es auch im Fall der minderwertigen Brustimplantate der französischen Firma PIP: Ein gelernter Metzger, der aus Dichtungsmasse für den Bau Gel-Kissen zusammenrührt und damit Millionen macht - eine Ungeheuerlichkeit! Aber einer solchen Perspektive entgeht, dass auch das "Beauty-Business as usual" mit Silikon seit seinen Anfängen Risiken und Nebenwirkungen en masse produziert hat und erst jüngere Studien nicht mehr von einer erhöhten Brustkrebs-Gefahr ausgehen.
"Der Krieg ist der Vater aller Dinge" - dieser Ausspruch Heraklits trifft auch auf das Silikon zu. Während des 2. Weltkrieges erlebte es auf US-amerikanischer Seite unter strengster Geheimhaltung seinen ersten Einsatz in industriellem Maßstab. Parallel entwickelt von General Electric und Dow Corning, dem Joint Venture von Dow Chemical und Corning, bot es aufgrund seiner chemischen Eigenschaften - Stabilität und Hitzebeständigkeit - vielfache Verwendungsmöglichkeiten und kompensierte den damaligen Gummimangel. Silikon-Fett schützte Flugzeuge in großen Höhen vor einem Einfrieren der Instrumente und der Feuchtigkeit rund um die Motoren - eine häufige Absturzursache. Darüber hinaus isolierte die Substanz Zündkerzen, Transformatoren und Leitungen und diente als Dämmstoff und Antischaummittel.
"Das Fett, das half, den Krieg zu gewinnen", hieß es deshalb nach 1945 über die Chemikalie. Mit der zivilen Nutzung haperte es dann zunächst ein bisschen. Die Verträge mit dem Militär liefen aus, weshalb das Silikon dem Dow-Corning-Wissenschaftler Earl L. Warrick zufolge kurzzeitig als Produkt ohne Markt dastand. Schnell jedoch eroberte es sich diesen zurück, vor allem als Isolier-Material. Darüber hinaus beeilten sich Warrick und seine Kollegen, ihm neue Anwendungsbereiche als Möbel-Politur, Dichtungsmasse, feuerfeste Farbe oder medizinisches Hilfsmittel zu erschließen.
Die Nadeln der Kleopatra
Im besiegten und besetzten Japan gab es dagegen keinen Konjunktureinbruch für das Produkt. Dafür sorgten die GIs, deren Nachfrage nach Prostituierten mit großen Oberweiten viele der Frauen dazu veranlasste, sich Silikon direkt in die Brüste spritzen zu lassen. Darum verschwanden aus den Beständen der US-Armee am Hafen von Yokahama große Mengen der siliciumorganischen Verbindung und landeten in den Händen zwielichtiger Operateure. Vorher hatten sie zu Paraffin, Ziegenmilch oder Vaseline gegriffen, teilweise mit desaströsen Ergebnissen; jetzt galt ihnen der Stoff aus den Docks als die ungefährlichere Alternative.
Schon früh verbreitete sich die Methode in ganz Ost-Asien. In den USA kam sie ebenfalls in Mode. "Silikon-Injektionen waren einer der ersten erfolgreichen japanischen Exporte nach Amerika", konstatierte der Journalist John Byrne. Allerdings hatte es dort schon Vorstudien gegeben, beispielsweise von dem Arzt Harvey D. Kagan. Das Material der Wahl stellte dabei meistens das "200 Fluid" von Dow Corning dar, und auch die Kundengruppe unterschied sich nicht groß. In den Vereinigten Staaten waren es Prostituierte, Stripperinnen, Tänzerinnen, Animierdamen und Barfrauen, vornehmlich aus Las Vegas und Hollywood, deren Chefs oftmals die Kosten für die Eingriffe übernahmen. Später weitete sich der Kreis. Bis Mitte der 1970er Jahre hatten sich fast 100.000 Frauen einer OP mit den "Nadeln der Kleopatra" unterzogen, wie es in Anspielung auf die beiden heute in New York und London stehenden ägyptischen Obelisken bald hieß.
Die in dem Bild zum Ausdruck kommende Verschränkung von Pracht und Pein beschreibt die Folgen der "Pumping Parties" recht anschaulich. Wer mit Hilfe des Silikons schön sein wollte, musste nicht nur leiden, sondern manchmal sogar sterben. Das nicht sterilisierte Industrie-Silikon strahlte nämlich - in reiner Form und direkt verabreicht - in den ganzen Körper aus. Setzte es sich in den Lungen fest, löste es Entzündungen aus oder konnte sogar zu einem tödlichen Organversagen führen. Die beschriebenen Gesundheitsstörungen reichten von Blindheit, Rheuma und Dickdarm-Erkrankungen über Wirbelsäulenprobleme, Gewebe- und Fruchtschädigungen bis hin zu Knoten-Bildungen, Zysten und Verhärtungen. Nicht selten mussten die Mediziner Brustwarzen oder ganze Brüste entfernen.
Der Weg zum Medizinprodukt
Nach eigener Aussage bekam Dow Corning 1963 Kenntnis von der Zweckentfremdung ihres Produktes, als der Schönheitschirurg Dr. Harvey Kagan auf einem Kongress von seinen - natürlich durch die Bank erfolgreichen - Experimenten mit 2-Liter-Injektionen berichtete. Das Unternehmen hatte zwar selbst bereits ein Jahr vorher begonnen, Silikon für medizinische Zwecke zu entwickeln, aber als Einsatzgebiet für das "Medical Grade 360" schwebten ihm damals weniger Brüste als vielmehr Beschichtungen von Spritzen, Nadeln und Schläuchen vor. Der Konzern stellte sich jedoch schnell auf die neue Absatzlage ein. Gemeinsam mit dem Verband der Schönheitschirurgen verkündete er: "Wir können es nicht genug betonen: Für medizinische Applikationen sollte nur ein medizinisches Silikon verwendet werden."
"Medizinisch" war das mit dem "200 Fluid" baugleiche, lediglich gereinigte Erzeugnis aber vorerst nur in den Augen von Dow Corning, weshalb die Firma die Substanz nicht offiziell für diesen Zweck anbot. Dennoch erfreute es sich besonders in Las Vegas großer Beliebtheit. Das entging auch der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde FDA nicht. 1964 stufte sie das Produkt als Arznei ein und verlangte Unbedenklichkeitsnachweise. Die konnte der Multi allerdings nicht oder nur unvollständig liefern. Die Prüfung zog sich lange hin, mit erfolgten und wieder zurückgezogenen Zulassungen zu Testzwecken und Ausnahmegenehmigungen für sieben Schönheitschirurgen.
Dann setzten die Gerichte diesem Versuch, die Injektionen durch einen verbesserten Füllstoff sicherer zu machen, ein Ende. Im Jahr 1975 stellte der Bundesstaat Nevada die Spritzorgien unter Strafe, nachdem ein Assistenzprofessor für Plastische Chirurgie dem Staatsanwalt Einblick in die Krankenakten tausender leidender Frauen gewährt hatte. Dennoch landeten die "Nadeln der Kleopatra" noch lange nicht auf dem Müll. Bis weit in die 1990er Jahre hinein fanden sich in der medizinischen Schattenwirtschaft Ärzte, die das Silikon direkt injizierten.
Alter Wein in neuen Schläuchen
Aber Dow Corning hatte schon vorgesorgt. Der Chemie-Riese hatte den Schönheitschirurgen Frank Gerow und Thomas Cronin bereits 1961 den Auftrag erteilt, Alternativen zu den Einspritzungen zu ersinnen. Ein Jahr später präsentierten die beiden ihre Erfindung. Sie verfielen darauf, die gefährliche Chemikalie einfach einzupacken und entwickelten so das erste Brust-Implantat.
Als Probandin stellte sich Timmie Jean Lindsey zur Verfügung. Die Texanerin hatte Gerow 1962 eigentlich nur aufgesucht, um sich die Tätowierungen auf ihren Brüsten entfernen zu lassen, aber gegen das Versprechen, ihr dafür die Ohren anzulegen, hatte der Mediziner ihre Einwilligung zu der OP erlangt. Zehn Jahre später begannen ihre Beschwerden. Die Brüste verhärteten sich, weil sich das Narbengewebe rund um das Gel-Kissen zusammenzog, und verursachten Schmerzen. Zudem klagte Lindsey über rheumatisches Fieber, Hautausschlag, chronische Müdigkeit und einen trockenden Mund. "Mir tat alles weh", vertraute sie einer Journalistin 45 Jahre nach dem Eingriff an.
Einer großen Anzahl von Frauen erging es ähnlich. Bis heute zählt die Schrumpfung des Gewebes in der Umgebung des Implantats, die so genannte Kapsel-Kontraktur, zu den häufigsten Nebenwirkungen der Brusterweiterungen. Aber auch das Silikon selber richtete weiter Unheil an, da sich die Hüllen oftmals als undicht erwiesen. Rheuma, Arthritis, Multiple Sklerose, Geschwürbildungen und Darmerkrankungen gehörten zu den beschriebenen Gesundheitsschädigungen; auch für Krebserkrankungen machten nicht wenige die Substanz verantwortlich. Zahlreiche Frauen mussten ihren Beruf aufgeben und waren für immer an einen Rollstuhl gefesselt. Von "systemic silicone desease" sprachen einige Mediziner; die Zahl der davon Betroffenen schätzte der Rechtsanwalt Geoffrey White 2001 auf 50.000.
Klagen über Klagen
Aber die Opfer setzten sich zur Wehr. 1977 gewinnt die erste Implantatträgerin einen Schadensersatzprozess und erhält 170.000 Dollar. Eine Vielzahl weiterer juristischer Auseinandersetzungen sollte folgen. 1984 muss Dow Corning schon 211.000 Dollar Entschädigung und 1,5 Millionen Dollar Strafe zahlen. 1992 kommt es zur bis dahin größten Sammelklage in der US-Geschichte gegen Dow und andere Gelkissen-Hersteller wie Baxter, Bristol-Myers Squibb und 3M. Im Mai 1995 sieht sich allein Dow Corning mit über 20.000 Verfahren konfrontiert und erklärt sich für zahlungsunfähig; erst 2004 kann die Firma ihre Geschäftstätigkeit wieder ungestört aufnehmen.
Die internen Firmenunterlagen, in welche die Gerichte während der Rechtsstreitigkeiten Einblick erhielten, offenbarten ein genaues Wissen der Unternehmen um die Risiken und Nebenwirkungen ihrer Produkte. So erbrachten die von Dow Corning in Auftrag gegebenen Tierversuche mit injiziertem "Medical Grade 360"-Silikon besorgniserregende Ergebnisse. "Die Resultate dieser Studie legen nahe, dass sich die Verteilung über den ganzen Körper erstreckt", informierten die Wissenschaftler den Konzern. Implantate der Firma Baxter wiesen keine bessere Resultate auf: "Die Schlussfolgerung aus Studie 1: Vielleicht sind alle Gels chemisch aktiv." Heyer-Schulte erhielt 1976 ebenfalls eine beunruhigende Nachricht. "Dr. Vinnick ist besorgt darüber, dass das in den Implantaten benutzte Gel von General Electric: 1. chemisch NICHT stabil und 2. GIFTIG ist", hieß es in einem Memo. Und ein Mitarbeiter von Minnesota Mining gab zu bedenken: "Ich möchte noch einmal betonen, dass wir keine belastbaren, über einen langen Zeitraum erhobenen Daten über die Sicherheit des Gels haben."
Genau nach solchen Untersuchungen verlangten aber die wegen zunehmender Berichte über Gesundheitsschäden alarmierten Schönheitschirurgen. Von Dow Corning bekamen sie zumindest virtuell, was sie wollten: Ein Firmen-Beschäftigter versicherte ihnen mit gekreuzten Fingern, das Unternehmen würde gerade eine solche Studie durchführen.
Auch sonst gestalteten die Implantate-Produzenten die Wirklichkeit gern nach ihren Wünschen. Da es ohne entsprechende akademische Unbedenklichkeitsnachweise nicht so einfach war, dem Industrie-Silikon einen "Medical Grade" zu verleihen, schlug ein Belegschaftsangehöriger von Minnesota Mining einfach vor, eine brancheneigene Bestimmung des Begriffs in Umlauf zu bringen. Auch gelang es der Industrie, die Festsetzung der Industriestandards für die Einsätze in ihrem Sinne zu beeinflussen. Ein Heyer-Schulte-Manager bescheinigte deshalb einem ehemaligen Dow-Kollegen, der es zum Präsidenten der Gesellschaft gebracht hatte, die das US-amerikanische Pendant zu den bundesdeutschen DIN-Normen festlegt: "Er ist bereit, die Frauen der Zukunft der Geschäftsgier zu opfern."
Rehabilitierung mit Fragezeichen
Dem gebot jedoch die FDA Einhalt. 1992 stoppte sie die Vermarktung der Implantate, die sich bis dahin 1,5 bis 2 Millionen US-Amerikanerinnen hatten einsetzen lassen. Solange die Hersteller keine aussagekräftigten Studien über die Produktsicherheit vorlegen können, bleibt der Verkauf untersagt, ordnete die Gesundheitsbehörde an.
Im selben Jahr beauftragte der Kongress das "National Institute of Cancer" (NIC) mit der Untersuchung der Langzeitfolgen. Die Forscher arbeiteten daraufhin 13.500 Patientinnenakten durch - und fanden keine Hinweise auf eine besondere Gesundheitsgefahr. Brustkrebs und andere Karzinome traten bei den Frauen mit Implantaten nicht häufiger als bei nicht-operierten. Nur bei Lungenkrebs und Gehirntumor stießen die Wissenschaftler auf erhöhte Zahlen. Frauen mit Gel-Kissen starben zwei bis dreimal so häufig an Gehirntumor sowie dreimal so häufig - und damit statistisch relevant - an einem Krebs der Atemwegsorgane wie Frauen ohne Silikon im Körper. Ansonsten aber gaben die Mediziner Entwarnung. Nicht nur von den meisten Krebsarten, sondern auch von Krankheiten des Immun-, Kreislauf- und Hormonsystems sowie der Verdauungsorgane waren Implantateträgerinnen nicht so oft betroffen wie ihre übrigen Geschlechtsgenossinnen, konstatierte das NIC.
Allerdings reichten die Daten oftmals für eine genaue Aufbereitung nicht aus. Bei Gewebe-Erkrankungen etwa hatten die Forscher nur Zugang zu 34 bis 40 Prozent der Krankenunterlagen. Und wenn sie auf Diagnosen wie "wahrscheinlich Rheuma" stießen, was nicht selten vorkam, haben sie diese wegen des Unsicherheitsfaktors nicht mit in die Analyse der Nebenwirkungen einbezogen. "Das Risiko, aufgrund von Brustimplantaten eine Gewebestörung zu entwickeln, wurde, obwohl es etwas erhöht ist, als statistisch nicht signifikant betrachtet", resümierte das Institut und mahnte weitere Untersuchungen zu dem Thema an.
Trotz solcher Unwägbarkeiten hatte die Erhebung einen großen Anteil daran, die Silikon-Einsätze zu rehabilitieren. Die Produzenten nahmen die Arbeit an Weiterentwicklungen auf und fassten Zutrauen, dazu imstande zu sein, die Gesundheitsbehörde von deren Unschädlichkeit zu überzeugen. Dies gelang ihnen allerdings erst 2006. Im November des Jahres erteilte die FDA nach einem 14-jährigen Moratorium erstmals wieder Genehmigungen. Sie machte den Antragstellern MENTOR und ALLERGAN - unter anderem Produzent von BOTOX - allerdings strenge Auflagen.
So mussten die Hersteller Langzeituntersuchungen über die Verträglichkeit ihre Produkte durchführen. Die bisher vorliegenden Resultate sprechen nicht unbedingt für einen Qualitätssprung. Bei den 1008 MENTOR-Patientinnen traten nach der ersten Schönheitsoperation in 13,6 Prozent der Fälle Risse im Implantat auf; nach einer Wiederholungs-OP bei 15,5 Prozent. Bei Rekonstruktionen nach Amputation der Brüste in Folge von Krebs kam es nach dem ersten Eingriff bei 14 Prozent der Silikon-Kissen zu Beschädigungen, nach einem notwendig gewordenen zweiten sogar bei 21,3 Prozent. Bei den ALLERGAN-Präparaten lag die Fehler-Quote ähnlich hoch. Zudem verrutschten bis zu 13,3 Prozent der Einsätze.
Abstoßungsreaktionen im Brustgewebe erlitten bis zu 27,5 Prozent, am höchsten lag der Wert bei Wiederholungs-OPs zur Brustvergrößerung. Über Brustschmerzen klagten bis zu 11,7 Prozent der Betroffenen. Für Brustkrebs, Rheuma und Muskelerkrankungen ergab die Auswertung keine erhöhte Gefährdung und bestätigte somit die Resultate des "National Cancer Institutes". Dafür beobachteten die WissenschaftlerInnen eine bisher in der Literatur nicht beschriebene Häufung von ALCL, einer Form von Lymphdrüsen-Krebs.
Insgesamt deuten die Zahlen auf eine hohe Unzufriedenheit mit den Operationen hin. So ließen 53,4 Prozent der an Brustkrebs Leidenden die Silikon-Kissen wieder entfernen. Bei den Frauen, die sich aus kosmetischen Gründen für eine Brusterweiterung entschieden hatten, waren es bis zu 37,8 Prozent. Trotzdem bescheinigt die FDA den Silikon-Kissen eine "akzeptable Sicherheit" und überlässt es den Frauen selbst, auf Basis der verfügbaren Informationen über Nutzen und Risiken der chirurgischen Maßnahme zu entscheiden. Allerdings warnt die Gesundheitsbehörde:
Seien Sie sich bewusst, dass Brustimplantate zu lokalen Komplikationen führen können und dass die Wahrscheinlichkeit dafür mit den Jahren steigt. Die lokalen Komplikationen und Nebenwirkungen umfassen Bindegewebe-Schrumpfungen, Re-Operationen, Entfernung der Gelkissen und Implantatrisse. Zudem mussten viele Frauen Erfahrungen mit Brustschmerzen, Faltenbildungen, Positionsveränderungen, Narbenbildungen und Infektionen machen.
Hierzulande hatten die Silikon-Einsätze hingegen bis zum Jahreswechsel nie unter Popularitätsverlusten zu leiden. Noch im Jahr 2002 befand das "Bundesinstitut für Arzneien und Medizinprodukte" (BfArM): "Nach dem derzeitigen Stand der verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse sowie nach der Risikobewertung auch auf europäischer Ebene ist aus Sicht des BfArM ein Verbot Silikongel-gefüllter Brustimplantate nicht angezeigt." Es verwies auf eine "Weiterentwicklung der Produkte". Zunächst sah das Institut nicht einmal bei den PIP-Anfertigungen Handlungsbedarf. Am 23. Dezember 2011 hatte es sich nicht dazu durchringen können, den betroffenen Frauen zu einer Herausnahme der Gelkissen Marke Eigenbau zu raten. Erst in den Tagen danach gelangte das BfArM zu bisher unbekannten Informationen und hat dann die Empfehlungen "auf der Grundlage dieser neuen Erkenntnisse verschärft", wie es in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen-Abgeordneten Maria Klein-Schmeink heißt.
Diese offenbarte zudem ein profundes Nichtwissen der staatlichen Institutionen über die Brusterweiterungen. Weder über die Anzahl der Operationen in der Bundesrepublik noch über die Risiken und Nebenwirkungen gibt es Zahlenmaterial. Trotzdem hält die Bundesregierung die bisherige Praxis gegenüber solchen Medizinprodukten für "grundsätzlich ausreichend". Lediglich bei Teilaspekten erkennt sie "Zentralisierungsbedarf".
Klein-Schmeink empörte sich daraufhin:
Ich empfinde es als einen Skandal, dass für Deutschland keine belastbaren Daten über die Sicherheit und Lebensdauer von Brustimplantaten vorliegen (...) Wir brauchen hier dringend mehr unabhängige Information und Aufklärung sowie schärfere Anforderungen an die tatsächliche Produktsicherheit (...) Völlig unverständlich ist es mir, wenn der Gesundheitsminister hier keinen Handlungsbedarf sieht, sondern nur auf das kriminelle Handeln des Herstellers Poly Implant Prothèse (PIP) verweist.
Aber das ist eben das Skandalöse an den Skandalen. Sie laufen stets nach demselben Schema ab: Das schwarze Schaf muss die Herde verlassen, ansonsten geht alles so weiter wie bisher. Deshalb dürfte dem Silikon als Rohstoff der Schönheitsindustrie noch eine ziemlich lange Lebensdauer beschieden sein.