Smarte Bombe
Brains and Beauty: Hedy Lamarr war die klügste schönste Frau der Welt
Vielleicht, nur vielleicht würde nach Ingrid Bergman heute kein Hahn mehr krähen, wenn Hedy Lamarr ein wenig anders gewesen wäre, als sie war. Aber Lamarr, "brains & beauty" genannt, hatte schon immer ihren eigenen Kopf. Und wäre sie anders gewesen, wäre sie wohl nie dorthin gekommen, wo sie sich Anfang der 40er Jahre befand. Hedy Lamarrs Schicksal ist eine jener Stories aus einer anderen, endgültig verlorenen Zeit, die heute schon so unwirklich wirken wie ein Märchen, obwohl einige der beteiligten Personen immer noch leben. Jetzt erzählt die Dokumentation "Hedy Lamarr - Secrets Of A Hollywood Star" das Leben der Hollywood-Diva, die die Grundlagentechnik des Mobiltelefons erfand.
Es muss eine tolle Zeit gewesen sein im Wien der späten 20er Jahre. Damals hatte Hedwig Kiesler, die Tochter eines Wiener Bankiers - 1913 geboren, jüdische Familie, katholische Erziehung - beschlossen, ans Theater zu gehen. Sie nahm Sprach-, Ballett- und Klavierunterricht und absolvierte eine Ausbildung bei Max Reinhardt in Berlin. Kiesler war nicht nur ziemlich begabt, sondern auch so attraktiv, dass Reinhardt erklärte, sie sei "die schönste Frau Europas." Bald schon sollte sie in Amerika zur schönsten Frau der Welt werden.
Einer der sie damals im Berlin der frühen 30er traf, erinnert sich in Donatello und Fosco Dubinis Dokumentation: "I can see her in my mind right now. There was never ever a more beautiful girl, Hedy was breathtaking." Es folgte das Kino, beginnend mit kleinen Auftritten in einigen Heinz-Rühmann- und Hans-Moser-Filmen. Dann aber Gustav Machats Skandal-Produktion "Ekstase" (1933), der durch seine Nacktszenen Aufsehen erregte. Eine Weile noch lebte Kiesler in Wien, hatte Affären und heiratete den jüdischen Austrofaschisten und Waffenfabrikanten Fritz Mandl, den Besitzer der Hirstenberger Patronenfabrik und späteren Peron-Berater in Argentinien. In dessen Wiener Salon soll sie sogar Mussolini empfangen haben. Aber sie war zu intelligent, um nicht schnell zu begreifen, mit wem sie sich da eingelassen hatte. Sie floh, angeblich durchs Küchenfenster und den Garten aus Mandls goldenem Käfig, ging nach Amerika und bekam für 150 Dollar die Woche sofort einen Vertrag bei MGM, zusammen mit einem neuen Namen: Hedy Lamarr.
"The most beautiful girl of the century"
In über zehn Jahren machte sie gut 20 Filme: Von "Algiers" (1938) bis "Samson and Delilah" (1949), dann noch mal zehn weitere bis um 1960 - meist als überirdisch schöne Leinwand-Göttin. Exotisch, schwarzhaarig, mit verführerischen Augenbrauen, schwülstigen Lippen und sündigem Mittelscheitel (von Paulette Goddard und Vivien Leigh schnell kopiert), war Lamarr die Inkarnation betörender Weiblichkeit und das Gegenbild zu all den Platinblondinen, die den Hollywood-Film jener Jahre prägten: lasziver Vamp und burschikoser Kumpel in einem, eine Mischung aus Ava Gardner und Elisabeth Taylor, bevor man diese kannte.
Lamarr, vermarktet als "The most beautiful girl of the century", versprach Sex und negierte dieses Versprechen gleich wieder - weil sie zu selbstbewusst wirkte, zu bedrohlich nach damaliger Vorstellung. Als es um die Besetzung von "Casablanca" ging, wollte Regisseur Michael Curtiz sie an der Seite von Humphrey Bogart. Aber das Studio gab sie nicht frei, und erst so bekam Ingrid Bergman die Rolle. Bezeichnend für sie und ihren früh geschaffenen Mythos, dass sich aber bis heute die Legende hält, Lamarr hätte die Rolle selbst abgelehnt. Mit ihr wäre es auch ein anderer Film geworden, Lamarr als Bergman-Krankenschwester die Heimatfront-Moral hebend ist undenkbar.
"You stepped out of a dream...", sang Tony Martin, als Lamarr in dem Film "The Ziegfield Girls" auf einer der großen Showtreppen zur Erde niederstieg. Lamarr hat zwar nie in einem ganz großen Klassiker der Zeit mitgespielt, aber trotz allem war sie in ihrer eigenen Zeit ganz top, "der" große Star der Vierziger - was man sich heute, an Bergman und Hepburn, Turner und Garland denkend, erst wieder klar machen muss. Lamarr ist uns fern, ist weniger präsent in der Hollywood-Ruhmeshalle als sie alle. Aber Lamarr, Zauberin und Entzauberin in einem, gezeichnet mit einem Ausdruck von Entwurzelung und Exil, erst danach von Exotismus, hat für diesen Abstand, für diese künstliche und künstlerische Distanz durchaus selber gesorgt - wenige, Männer inklusive, wirkten auf der Leinwand derart unsentimental. Ein Geschöpf des Krieges, voller Stereotypen sprengender kalter Glut, deren Filme manchmal schon im Titel auf Desorientierung verweisen: "Comrade X", "Dishonored Lady", "Strange Woman" oder "Lady Without a Passport".
Intelligenz ist auch eine kulturelle Subversionsstrategie
Klug wie sie war, machte Lamarr sich eben weniger Illusionen als die meisten ihrer Kolleginnen: "Any girl can be glamorous. All you have to do is stand still and look stupid." Intelligenz ist auch eine kulturelle Subversionsstrategie. So ging ihr Hollywood schon bald auf die Nerven und bereits während des Zweiten Weltkrieges begann sie, sich mit anderen Dingen zu beschäftigen, unter anderem welchen, die sie Jahre zuvor bei Fritz Mandl so nebenbei gelernt hatte. Er hatte ihr das Schauspielen verbieten wollen, und nahm sie stattdessen mit zu Treffen mit Technikern und Geschäftspartnern: Die hochintelligente, mathematisch besonders begabte Frau saß allerdings nicht nur mit am Tisch und sah gut aus.
Kaum zu glauben, aber auf Grundlage des dort kulminierten Wissen erfand sie 1941 gemeinsam mit dem Avantgardekomponisten und Gelegenheitsjournalisten Georges Antheil ein System zur fortwährenden Frequenzveränderung, mit dem man im Krieg Funkverbindungen verschlüsselte und Torpedo-Leitsysteme aufeinander abstimmte. Diese Grundidee wird bis heute in allen Systemen moderner Telekommunikation benutzt: Wäre Lamarr eine andere gewesen, wüssten wir vielleicht nicht nur nicht, wer Ingrid Bergman war, wir hätten womöglich auch weder Satellitennavigation, noch Mobiltelefone, drahtloses Internet und "Smart Bombs".
"Im Prinzip sind wir doch ganz allein"
Mit schönen Bildern und ungewöhnlichen Interview-Passagen umkreist Dubinis Dokumentation, Lamarrs freizügiger Autobiographie "Ecstasy and Me" folgend, ihren seltsam unbekannten Gegenstand, erzählt auch von Schattenseiten, von verpassten, ausgeschlagenen Chancen, von den sechs Ehen, dem Sohn, den sie irgendwann einfach weggab, von der Gefangenschaft im eigenen Mythos und unterschiedlichen Befreiungsversuchen, als Filmproduzentin und Ladendiebin - von der unvorstellbar schwierigen Lage einer Frau, die im Hollywood Mitte des Jahrhunderts versuchte, ihren Stolz und ihre Unabhängigkeit zu bewahren, ihre eigenen Bilder zu kontrollieren, und die immer wusste, dass das seinen Preis hat: "Weil ich unabhängig sein wollte und will", begründete sie später.
Ich finde, jeder Mensch in der Welt soll unabhängig sein. Weil wir irgendwie immer allein sind. Hier und da sind wir zusammen, und das ist sehr schön. Das soll man auch sein. Aber im Prinzip sind wir doch ganz allein.
So ganz ist dem Geheimnis dieser Frau aber nicht beizukommen. Melancholisch, romantisch, immer noch schön und immer noch irgendwie wie ein junges Mädchen, erlebt man Lamarr am Ende ihres Lebens, das bis ins neue Jahrtausend währte - sie lebte zuletzt zurückgezogen in Orlando/Florida, wo sie am 19. Januar 2000 mit 86 Jahren starb:
Wenn ich ein schwaches Herz hätte und einen schwachen Willen, dann wäre ich schon längst tot. Man sagt immer, man muss etwas aufgeben, wenn man ein Star wird. Man muss alles aufgeben.
Literatur: Peter Körte: "Hedy Lamarr - Die stumme Sirene", belleville Verlag, München 2000, 95 S., 57 Abb. Armin Loacker (Hg.): "Ekstase"; Filmarchiv Austria (= Edition Film und Text 4), Wien 2001, 513 S., 175 Abb., inkl. Videokassette VHS Richard Brem, Theo Ligthart (Hg.): "Hommage à Hedy Lamarr" edition selene, Wien 1999, 128 S.