Soap Opera
Vom schmutzigen Geschäft vermeintlicher Saubermänner in Spielfilm und Realität
Als Erin Brockovich kämpfte sie für die Einwohner, die durch Industrieabfälle krank wurden. Julia Roberts spielte eine Rechtsanwaltsgehilfin, die einen Weltkonzern in die Knie zwingt. Jetzt hat sie offenbar die Seiten gewechselt. Als Claire Stenwick stehen sie und ihr Filmpartner Ray Koval in Diensten von Sicherheitsabteilungen konkurrierender Waschmittelriesen.
Wie bereits bei 'Erin Brockovich' gibt es ein Vorbild in der Realität. Alecia Swasy. Die Journalistin des Wall Street Journals veröffentlichte 1993 ein Buch über den Lebensmittelgiganten Giganten Procter and Gamble (P&G).
Wer glaubt, das Geschäft mit Windeln und Zahnpasta sei trivial, der irrt - und zwar gewaltig. Im Spielfilm wie im richtigen Leben geht es um Geld, sehr viel Geld und um Macht. Weltweit. Selbst in Kolumbien kaufen Teenager Clearasil, auch in Ägypten wäscht Ariel den Schleier. Der Spruch: Kühlschränke in der Arktis verkaufen, er könnte bei Procter& Gamble entstanden sein. Ausgerechnet im Tropenland Nigeria gab´s in den 90er Jahren Vicks Vapo Rub zu kaufen.
Was im Spielfilm als unterhaltsamer Action Thriller daher kommt, ist in Wahrheit Ernst, tödlicher als die Kämpfe auf der Leinwand
2001 berichtete der Spiegel, P&G habe sich Informationen beim Konkurrenten Unilever verschafft und berief sich auf das US-Wirtschaftsmagazin "Fortune". Dem Bericht zufolge scheint die Realität noch abenteuerlicher als der jetzige Thriller. Von einem als "Ranch" bekannten "sicheren Haus", ist die Rede. Von privaten Ermittlern, die zuvor für´s FBI, dem CIA und US-Militär gearbeitet hatten und jetzt Abfallcontainer nach Informationen durchforsten ließen.
Alicia Swasy schreibt, wie die Sicherheitsabteilung die Stadt Cincinnati quasi beherrschte. In ihrem Buch ist die Rede von einem Klima der Angst. Sie schreibt, wie die Firma und die lokale Polizei zusammenarbeiteten und noch nicht einmal davor zurückschreckten, Telefone abhören zu lassen. Die Autorin und andere Journalisten erhielten über den 'Freedom of Information Act' die Beweise, dass der Konzern und die Polizei zusammenarbeiteten, Mitarbeiter und ganz normale Bürger überwachten sowie Journalisten bespitzelten. Ihrem Buch zufolge wurden bereits 1993 Angestellte per Video überwacht. Ihr Werk sorgte für Furore. Ein Anlass, zu recherchieren, ob ein solcher Skandal auch in Deutschland möglich ist.
16 Jahre später lautet die Antwort: ja, offenbar. Von Telekom, Lidl bis zur Bahn, der Datenskandal wird nach und nach immer größer und zur Lawine. Abhör- und Überwachungsmaßnahmen betreffen jeden. Dennoch galt Datenschutz manchen als unsexy. Mit dem Spielfilm könnte sich dies ändern. Er bietet die Chance, Millionen Menschen für das zu interessieren, was sie eigentlich alle betrifft: es geht buchstäblich um ihre Haut, und um ihr Trinkwasser.
Bereits 1993 warnte die Autorin Alecia Swasy vor dem künstlichen Fett Olestra. Sie schreibt, wie der Konzern seine Macht nutzte, und sie schrieb auch, wie die amerikanische Gesundheitsbehörde Federal Drug Administration (FDA) die neue Substanz genehmigte. Und dies, obwohl schon damals die Risiken bekannt gewesen seien.
Erst im Jahr 2008 wurde diese Genehmigung wieder rückgängig gemacht. Dank des früheren Spielfilm-Action-Helden und jetzigen Gouverneurs Arnold Schwarzenegger wurde auch offiziell anerkannt, wie gefährlich der Wirkstoff wirklich ist. "Herzkrankheiten sind die häufigste Todesursache in Kalifornien", erklärte Schwarzenegger. Killer tragen heute keine Schusswaffen, sie sitzen in Industriekonzernen und verkaufen Gift, das als Lebensmittel getarnt wird. Und das als Besitzer der Fast-Food-Kette "Planet Hollywood". In Deutschland hatte immerhin der "Focus" schon 2003 geschrieben, welche Risiken von sogenannten Transfetten ausgehen, drei Jahre bevor sie immerhin in New York verboten wurden. Ansonsten: Fehlanzeige.
In Deutschland begann einer der größten Politskandale dieser Republik mit einem, auf den ersten Blick harmlosen Verbraucherstück, einem Film über Shampoo. Einem TV-Beitrag über die potentielle Toxizität von Haarwaschmittel. Er endete, bittere Ironie der Geschichte, mit einem toten Politiker in der Badewanne.
Der Fall hat Kontinuität. Der Springer Verlag hatte u.a. die Detektei Hoyer und Jonatis beauftragt. Geschäftsführer Rolf Klauer sicherte gemeinsam mit dem Staatsschutz Axel Springer. Heute heißt die Firma Power und beschäftigt den ehemaligen Leiter einer Hamburger Polizeidirektion, den leitenden Kriminaldirektor a.D. Erwin Lebedicker. Nach eigenen Angaben arbeiten ehemalige Kriminalhauptkommissare, leitende Kriminaldirektoren, ein leitender Oberstaatsanwalt a.D. und ein Brandoberamtsrat, sowie ehemalige Mitarbeiter des MAD für die Firma.
Nicht die einzige Parallele. Im Zuge der Ermittlungen stellte sich heraus, dass es eine Verbindung gab zu Verhandlungen um die Freilassung von Geiseln im Libanon. Die sollten freikommen mit Hilfe des Oberstleutnants und Mitglied des Nationalen Sicherheitsrates Oliver North. Mit Deckung von Regierungskreisen baute er zusammen mit Angehörigen der Exekutive ein Netz privater Mitarbeiter auf, finanziert von privaten Spenden, um über die Freilassung amerikanischer Geiseln zu verhandeln, und Waffen nach Nicaragua zu liefern. Quasi der Vorläufer privater Sicherheitsdienstleister, wie sie heute in der Diskussion sind.
In Italien wurde 2005 aufgedeckt, dass Telecommanager, Geheimdienstler, Privatdetektive, Polizisten und Finanzbeamte zehn Jahre lang Telefongespräche von Industriellen, Politikern, Journalisten und Privatpersonen abhören ließen und sie dann erpressten.
Sieben Spitzenmanager des finnischen Telekommunikationskonzerns Sonera wurden im Mai 2005 verurteilt - darunter Konzernchef Kaj-Erik Relander zu sechs Monaten Haft auf Bewährung und Ex-Sicherheitschef Juha E. Miettinen zu zehn Monaten auf Bewährung. Die Verurteilten hatten illegal die Telefone ihrer Mitarbeiter abhören lassen.
Bereits vor vier Jahren gab es also bereits einen Anlass, auch in Deutschland zu recherchieren, ob hier ähnliche Gesetzesverstöße möglich sind. Es ist möglich, wie sich nun, Jahre später herausstellt. Warum erst jetzt, und wie eng die Verflechtung von Konzernen und einigen Wirtschaftsjournalisten ist - das wäre ein eigenes Thema.
Begründet wird die Existenz der Sicherheitsabteilungen mit Industriespionage. Im Film wie im richtigen Leben. Und so ist der Titel des Films 'Duplicity' auch in sich doppelsinnig. Mit Doppelspiel wird er gemeinhin übersetzt. Aber die doppelte Bedeutung wird auch in zwei Städten sichtbar, in den Zentralen des Abkupferns, des Dubbens und Duplizierens und zeigt somit ebenfalls die andere Seite der Medaille der Überwachungsmaßnahmen: Julia Roberts und Clive Owen jagen sich gegenseitig Firmengeheimnisse ab.
Was im Spielfilm so Action-reich daherkommt, so leicht konsumierbar, unterhaltsam, kostet Firmen Millionen und Bürgern die Freiheit. Wie sich schützen vor Angestellten, die schamlos für die Konkurrenz und gegen das eigene Unternehmen arbeiten, die sich für ein paar tausend Euro mehr ohne Skrupel nur allzu bereitwillig einspannen lassen von Vorgesetzten, die sich keines Tricks zu schade sind. Und die ihrerseits wiederum Täter und Opfer zu gleich sind: von Druck, Einschüchterung, Macht und Habgier.
In der Realität wendete P&G offenbar dieselben Methoden an, von denen es angab, sich vor schützen zu wollen, und die als Argument für die Überwachungsmaßnahmen dienten. Wall-Street-Reporterin Alicia Swasy schreibt von Mitarbeitern des Konzerns, die gezielt Gerüchte über die Gefährlichkeit von Produkten der Konkurrenz streuen sollten. Sie beschreibt die Abwehrmaßnahmen - wie die Security-Leute in Restaurants gingen, um zu kontrollieren, ob und falls ja wer, was über die Firma erzählte. Es ist zu lesen von genauen Profilen potentieller Mitarbeiter und von Gegnern - erstellt mit Hilfe von Polizei und z.B. Krankenakten. Ihr Buch handelt davon, wie ein privates Unternehmen staatliche Stellen nutzte und all dies bereits im Jahr 1993. Wie erst mag es heute aussehen; angesichts der technischen Möglichkeiten.
Im Zuge des VW-Skandals warnte Ilona R., die Frau des VW-Managers Helmuth Schuster, vor dem 'werkseigenem Geheimdienst'. Was ist dran an ihren Vorwürfen?
Der frühere Reemtsma-Ermittler Langendörfer heuerte bei VW an, bei BMW wurde der ehemalige Polizeidirektor Mathias Brose Sicherheitschef. Als der Einsatz des Privatermittlers Werner Mauss für das Bundeskriminalamt und andere Behörden in den 80 er Jahren nach und nach durchsickerte, war es ein Politskandal - inzwischen sind die Verbindungen zwischen Beamten und Privatfirmen offenbar allgemein Usus.
Thorsten Mehles war Leiter des Hamburger Dezernats für Interne Ermittlungen, Chef der Abteilung Organisierte Kriminalität (OK) im Landeskriminalamt. Erst wechselte er zum Bundesnachrichtendienst, dann zur Firma Prevent AG. Gemeinsam mit niedersächsischen Strafverfolgern ermittelte er für Microsoft den Schüler, der den Computerwurms "Sasser" schuf. Wenn durch eine solche Kooperation tatsächlich Verbrechen aufgeklärt werden, haben Kritiker es schwer. Aber diese privaten Sicherheitsdienste entziehen sich der öffentlichen Kontrolle, gehorchen der Konzern-Loyalität und verstoßen damit oft selbst gegen Gesetze.
2004 wurde bekannt, dass der Vorsitzende Richter im Kölner Müllprozess, Martin Baur, über mehrere Wochen bespitzelt wurde. Die Täter: zwei Ex-Polizisten aus Rheinland-Pfalz, die nun als Detektive arbeiten. Bleibt die Frage, wer den ehemaligen Polizisten den Auftrag gab, den Richter auszuspionieren.
So wird auch im Lokalen sichtbar, was in Weltkonzernen offenbar Usus ist. Nach Darstellung Swasys pflegen die P&G-Manager seit der Uni ihre Verbindungen, konzernübergreifend, Branchenüberspannend, weltweit. Ehemalige Präsidentenberater stehen in Diensten der Firma. Journalisten, so die Amerikanerin, ließ man überwachen durch die Public Relations-Firma Hill&Knowlton. Es waren deren Spin Doktoren, die halfen, eine Diplomatentochter als angebliche, unabhängige Krankenschwester auszugeben und durch eine gemeinsam erfundene Geschichte den ersten Irakkrieg medial zu begründen.
Konzerne wie P&G haben viel zu verlieren, immerhin agieren sie in heiklen Ländern wie El Salvador; und sie haben eine noch viel heiklere Firmengeschichte, sind involviert in Rüstungsproduktion und in Umweltskandalen.
Der Film, der Julia Roberts zur Umweltschutzheroin machte, basiert auf einer realen Gegebenheit. Erin Brockovich gibt es wirklich. Eine klassische juristische Ausbildung hatte sie nie gemacht - und dennoch arbeitete sie nicht nur für eine Anwaltskanzlei. Ihr gelang es, einen amerikanischen Energiegiganten in die Knie zu zwingen. Die Firma hatte das Trinkwasser verseucht und musste dafür 333 Millionen US $ Strafe zahlen.
Kein Einzelfall offenbar. Ausgerechnet in den Rocky Mountains durften die Einwohner keinen Fisch mehr essen - er enthielt zu viel Dioxine. Der Fluss war schwarz wie Motoröl. Wie Erin Brockovich begann Joy Towles Cummings zu recherchieren. Sie hatte selbst Chemikalien verkauft. Deshalb kannte sie die Tricks und Kniffe der Branche. Dort, wo sie früher gebadet hatte, vergifteten nun Weichmacher und andere Substanzen das Wasser. Sie sammelte Informationen, führte Gespräche, aus der kleinen Anfrage wurde eine Gruppe, sie wurden immer mehr, es formierten sich kritische Aktionäre, es gab eine Sammelklage. Die Hausfrau bekam Unterstützung von der früheren Krankenhausmitarbeiterin Bertie Branch. Dort war ihr aufgefallen, dass viele Patienten dieselben Symptome hatten. Und sie lebten in Orten, in denen entweder P&G selbst produzierte oder Zulieferbetriebe ansässig waren. Ihre Geschichte bietet Stoff für den nächsten Spielfilm, gewissermaßen für eine Mischung aus 'The Firm' und einem Spielfilm über die tödlichen Usancen eines Computerkonzerns.
Und vielleicht wechselt Julia Roberts erneut die Seiten und besiegt die 'Soap Opera'. Dann schließt sich der Bogen erneut zwischen Spielfilm und Realität.
Wie im Spielfilm Erin Brockovich, siegte eine Einzelne über eine Weltmacht. Es dauerte lange, sie brauchte viele, viele Interviews, tausende Dokumente und sehr, sehr viel Zeit. Aber dann kam das Buch auf den Markt. Der privaten Sicherheitsabteilung des Konzerns zum Trotz. 1993 rief die amerikanische Wirtschaftsjournalistin Alecia Swasy Regierungen dazu auf, zu prüfen, wie weit der Einfluss einer Firma in einer freien Gesellschaft gehen dürfe. Sie forderte dazu auf, genau hinzusehen und vor allem zu kontrollieren, was das Unternehmen so produziere. Und sie befand: die Menschen hätten ein Recht darauf, zu erfahren, was in ihr Trinkwasser gelange. Wohlgemerkt: die Autorin hat für die Wirtschaftszeitung Wall Street Journal geschrieben - damit konnte der Konzern sie nicht einfach als dubiose Umweltaktivistin diskreditieren. Auch wenn dies offenbar versucht wurde. In ihrem Buch 'Soap Opera' beschreibt sie, wie der private Sicherheitsdienst versuchte, die Veröffentlichung des Buchs zu verhindern.
Doch manchmal gibt es nicht nur im Spielfilm ein Happy End. Manchmal siegt auch im richtigen Leben das Gute. Die Autorin hatte vom Konzern gelernt: sie ließ einen Copy Test durchführen und fragte potentielle Leser, was sie über das Unternehmen wissen wollten. Das Ergebnis: die Menschen wollten nicht die Schönfärberei und Schaumschlägerei der PR-Abteilungen. Sie wollten: die Wahrheit.