Social-Media-Zensur-Debatten in den USA

Screenshot aus dem Video des Weißen Hauses, das Computerspielen eine Verantwortung für Gewaltverbrechen zuschiebt

Musterklage gegen Twitter in Kalifornien - Trump soll stummschalten statt blockieren und bringt Gamer gegen sich auf

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Letzte Woche reichte der an der Michigan State University lehrende Juraprofessor Adam Candeub zusammen mit den Rechtsanwälten Noah Peters aus Washington, DC und Marc Rondazza aus Nevada beim San Francisco County Superior Court eine Klage ein, die Twitter daran hindern soll, Nutzer lediglich aufgrund von Ansichten und Verbindungen zu sperren (Taylor v. Twitter, CGC-18-564460). Sie bezieht sich auf die so genannte Pruneyard-Doktrin, nach der in privaten Einrichtungen besondere Regeln gegen Diskriminierung gelten, wenn diese faktisch als öffentliche Foren fungieren, weil das Rechtsgut Redefreiheit in diesem Fall höher zu bewerten ist als der Eigentumsschutz.

Bislang wurde diese 1979 vom obersten Gericht Kaliforniens im Fall Robin v. Pruneyard Shopping Center entwickelte Doktrin auf Hallen und Einkaufszentren, aber nicht auf das Internet angewendet. Candeub, Peters und Rondazza wollen das ändern. Dass der Fall, den sie sich dafür ausgesucht haben, keinen unbedingt großen Sympathieträger betrifft, liegt für sie in der Natur der Sache Zensur. Deshalb betonen sie auch, dass es in der von ihnen angestrengten Klage keineswegs um eine Richtigkeit oder Unrichtigkeit von Ansichten des aus Twitter entfernten Taylor Jared geht, der sich selbst einen "Rassenrealisten", nennt, sondern nur um die Frage, was ein privater Betreiber einer für die öffentliche Debatte zentral gewordenen Diskussionsplattform darf und was nicht.

Jareds Fall eignet sich zur Klärung dieser Frage besonders gut, weil er weder gegen Gesetzte noch gegen Twitter-Nutzungsregeln verstieß, sondern seine Follower im Gegenteil dazu aufrief, immer besonders höflich zu bleiben. Ausgesperrt wurde er, nachdem ihm das (selbst durchaus nicht unumstrittene Southern Poverty Law Center (SPLC) und die Anti-Defamation League (ADL), die seit 2016 im "Trust and Safety Council" von Twitter sitzt, vorwarfen, außerhalb des Dienstes mit "gewaltbereiten extremistischen Gruppen" verbunden zu sein. Um welche Gruppen es dabei konkret geht, ist bislang unklar.

Intersektionalistischer Soziologie verklagt Trump wegen Twitter-Blockade

Am anderen Ende der USA, in New York, haben sieben Amerikaner ihren Präsidenten verklagt, weil er sie auf Twitter geblockt hat. Diese Möglichkeit bietet das Unternehmen Nutzern, wenn sie sich von Spammern, Stalkern oder Personen mit zu viel Zeit belästigt fühlen. Die Tweets des Nutzers, der sie gesperrt hat, können solche Personen problemlos weiter lesen, indem sie zum Beispiel den Inkognito-Modus von Chrome nutzen. Sie können dessen Tweets auch weiter zitieren und kommentieren - aber nicht so, dass sie ihm direkt angezeigt werden.

Außerdem bekommen sie nicht automatisch alle Follower dieses Nutzers zu Gesicht. Das reichte dem Soziologieprofessor Philip Cohen (der von Trump geblockt wurde, nachdem er ihm vorgeworfen hatte, "korrupt, inkompetent und autoritär" zu sein), für eine Klage, für die er unter ein paar Hundert Gesperrten sechs Unterstützer fand. Trumps musste deshalb einen Anwalt engagieren, der argumentierte, dass man ja auch außerhalb des Internets nicht gezwungen wird, Leuten zuzuhören. Außerdem sei Trumps Twitter-Account privat und existiere schon lange vor seiner Präsidentschaft.

Bundesrichterin Naomi Reice Buchwald, die den Fall verhandeln muss, riet Trump dazu, zu einer einfachen Lösung zu greifen, wenn er sich durch Tweets von Cohen und anderen "Aktivisten" belästigt wird: Schaltet der deren Accounts auf stumm, haben diese noch eine genau so große Reichweite, verstopfen aber nicht mehr seine Mitteilungsanzeige.

Verliert Trump seine Gamer-Basis?

Inzwischen kommt die Social-Media-Kritik am Präsidenten nicht mehr nur von Anhängern seiner demokratischen Gegenkandidatin Hillary Clinton, sondern auch von einer Gruppe, die 2016 mit Memes zu Trumps Überraschungssieg beitrug: Computerspielfans, die registrierten, dass sich zensurfreudige SJWs und Intersektionalisten hinter Clinton scharten, hofften damals wegen der Tabubrüche Trumps auf mehr eigene Freiheit.

Nun fürchten sie, sich getäuscht zu haben, weil sich der Präsident nach dem Schulmassaker in Florida mit Anti-Computerspiel-Aktivisten wie Dave Grossman traf und über das Weiße Haus ein Video veröffentliche, das ein in den 1990er und Nuller Jahren verbreitetes Narrativ wiederbelebte, von dem inzwischen auch die New York Times einräumt, dass es nicht nur wissenschaftlich und (durch die Supreme-Court-Entscheidung Brown v. Entertainment Merchants Association California) gerichtlich widerlegt ist, sondern darüber hinaus die Empiriefrage unbeantwortet lässt, warum es in Japan, wo der Anteil der Computerspieler mit 60 zu 49 Prozent deutlich höher ist als in den USA, 2016 nur sechs Tote durch Schusswaffen gab - und nicht mehr als 33.000, wie in den Vereinigten Staaten.