Soll man den Verfassungsschutz abschaffen?

Seite 2: Es ist erlaubt, zu kritisieren

Es ist in Deutschland ausdrücklich erlaubt, den Staat und seine Institutionen, seine Parteien und seine Politiker und Amtsinhaber – übrigens auch seine Beamten und Behörden – mit legalen Mitteln herauszufordern und zu kritisieren.

Es ist erlaubt, sie lächerlich zu machen durch Satire und Ähnliches. Nur eingeschränkte Formen des Persönlichkeitsrechts setzen den Grenzen. Wir sollten nicht vergessen, dass letztendlich der Staat der Diener der Bürger ist und nicht sein Chef, sein Kommandeur oder sein Auftraggeber

Ebenso ist es doch erstaunlich, dass wir in einem Land leben, in dem eine Regierung relativ frei entscheiden kann, wer überwacht wird, und was dazu publiziert wird. Denn das Handeln des Verfassungsschutzes ist eine politische Entscheidung. Sie wird oft bis ins Detail vom jeweiligen Innenministerium gesteuert.

In unserem Staat hat die Regierung damit die Möglichkeit, weitgehend unkontrolliert festzulegen, welche Oppositionsgruppe – wohlgemerkt legale Oppositionsgruppe, die sich keiner kriminellen Tat schuldig gemacht hat, denn kriminelle Taten kann man mit der Polizei und der Staatsanwaltschaft verfolgen und gegebenenfalls von einem Gericht bestrafen lassen – noch erlaubt ist.

Im anderen Fall kann sie Geheimdienste losschicken und besagte Oppositionsgruppe jenseits der Öffentlichkeit bekämpfen, mit versteckten, klandestinen Mitteln ebenso wie mit öffentlicher Brandmarkung, mit Verunsicherung und Zersetzungskampagnen.

Dass eine Regierung dies im eigenen Land mithilfe eines Geheimdienstes tun kann, ist etwas, das wir aus autoritären Staaten kennen, aber nicht aus Demokratien. Der deutsche Verfassungsschutz ist eine im Vergleich der europäischen Länder einmalige Instanz. Sie steht einer liberalen Demokratie nicht gut zu Gesicht. Sie schwächt unsere Demokratie.

Die Freiheitsrechte des Grundgesetzes gelten für alle

Es braucht keinen Verfassungsschutz. Es gibt in Deutschland scharfe Gesetze gegen Volksverhetzung, gegen Polit-Gangstertum. Die Terrorabwehr gehört nach sauberen rechtsstaatlichen Regeln zur obersten Bundespolizeibehörde also zum Bundeskriminalamt.

Und auf der anderen Seite gibt es die "freie Meinungsäußerung" und die Teilnahme am politischen Diskurs, die vom Grundgesetz im Rahmen der Meinungsfreiheit geschützt wird. Eine Demokratie hat das auszuhalten.

Die Freiheitsrechte des Grundgesetzes gelten auch für die, die eine andere Republik wollen, und auf die eine oder andere Weise Grundlagen bundesrepublikanischer Politik infrage stellen. Vielleicht gerade für sie.

Darum ist es auch und gerade politisch falsch, den Widerstandshandlungen von Klimaaktivisten mit Verfassungsschutz-Maßnahmen zu begegnen, anstatt mit politischer Argumentation und mit juristischen Klagen, wo sich dazu Anlass ergibt.

Aus dem gleichen Grund ist es ebenfalls gerade politisch falsch, den Buchmessen in Frankfurt und Leipzig durch das Verfassungsschutz-Etikett "gesichert rechtsextremistisch" ein juristisches Schlupfloch zu geben, um Götz Kubitscheks Antaios-Verlag, dessen Bücher nicht verboten sind, in ihren Hallen den Zugang zu verweigern - im Gegensatz zu einem halben Dutzend anderer Verlage, die dieses Etikett genauso verdienten, denen aber ähnliche Prominenz fehlt. In der Praxis wird es deren Produkte sowieso nur noch interessanter machen.

Der Grundsatz "Keine Freiheit für die Feinde der Freiheit" sollte aus guten Gründen weiterhin gelten. Aber im Rahmen des Rechtsstaats und seiner Güterabwägungen, wo er auch nach dessen Maßstäben kontrolliert werden muss. Der Willkür einer Bundesbehörde, erst recht einer politischen, die durch die Natur ihrer Arbeit nicht öffentlich agieren kann, darf er nicht unterliegen.

Wer sich ein Verbotsverfahren gegen die AfD aus juristischen oder politischen Gründen nicht zutraut, darf dies nicht indirekt an beteiligten Dritten auslassen oder zu Ersatzhandlungen greifen.

Darum sollten Verteidiger der geltenden Ordnung sich keine Blöße geben, und auch deren Feinden gestatten, die Freiheiten dieser Ordnung voll auszukosten, solange dies im Rahmen der Gesetze geschieht. Nur für kriminelles Tun sind Polizei und Staatsanwaltschaft zuständig, für legales Tun niemand.