Somalia: Mit Bomben Frieden schaffen?
Bashir Gobdon, der Co-Präsident der Schweizer Hilfsorganisation Swisso Kalmo, über die Legitimation der somalischen Regierung, notwendige Neuwahlen und den Einfluss regionaler Konflikte sowie der Türkei
Der Weg zum Frieden kann in Somalia nicht mit Bombardierungen erreicht werden. Um die Gewalt zu verringern, muss es einen politischen Prozess geben, der es den Menschen ermöglicht, miteinander zu sprechen, anstatt aufeinander nur zu schießen und zu töten.
Michael Keating. Er war von Januar 2016 bis September 2018 in Somalia Leiter der UNO Somalia Mission, der UNSOM, (United Nations Assistance Mission in Somalia)
Wie sehen Sie heute die politische Lage in Somalia?
Bashir Gobdon: Das Mandat der somalischen Regierung, des Präsidenten und der Parlamentarier ist abgelaufen. Die Wahlen hätten schon am 8. Februar stattfinden sollen zusammen mit der Wahl eines neuen Präsidenten. Die Parlamentarier haben versucht, ihr Mandat und das des Präsidenten um zwei Jahre zu verlängern.
Alle Parteien und Regierungen der Gebiete der Föderation, von Puntland, Gal-Mudug, South-West, Jubaland waren jedoch gegen eine Verlängerung, auch die neuen Präsidentschaftskandidaten. Sie waren schockiert, dass keine neuen Wahlen stattfinden, dass der Präsident noch zwei Jahre an der Macht bleiben will.
Das hat zu Widerstand geführt, auch zu gewaltsamen Demonstrationen. Innerhalb von kurzer Zeit sind die Parlamentarier nach dieser Machtdemonstration der Zivilgesellschaft zurückgekrebst und haben ihren Entscheid der Verlängerung der Mandate um zwei Jahre zurückgenommen, auch der Präsident selbst, Mohamed Abdullahi Mohamed (Farmaajo).
Der Präsident hatte durch seine Forderung sein Mandat zu verlängern das Vertrauen verloren. Daher musste er die Organisation der Wahlen und die Sicherheitsfragen des Landes dem Premierminister, Mohamed Hussein Roble, übergeben. Der Premierminister organisiert jetzt die Wahlen, was alle Parteien begrüßt haben.
Wir haben ein Zweikammersystem. In der kleinen Kammer hat es 54 Abgeordnete, pro Kanton drei Abgeordnete, in der Großen Kammer 275 Sitze. Bis Ende Oktober sollten die Wahlen abgeschlossen sein. Die Parlamentarier werden nicht direkt von der Bevölkerung gewählt, sondern durch Abgeordnete der Stämme.
Kandidiert der alte Präsident auch?
Bashir Gobdon: Er hat sich dazu noch nicht geäußert, aber der Präsident Mohamed Abdullahi Mohamed (Farmaajo) hat das Vertrauen verloren.
Werden bei den Wahlen die Regionen Somaliland und Puntland auch dabei sein?
Bashir Gobdon: Puntland hat sich an den Wahlen beteiligt, Somaliland nicht. Somaliland erklärte, sie hätten schon eine Regierung ernannt. Somaliland hat aber trotzdem einen Vertreter in der Regierung, der jedoch nicht nach Somaliland reisen kann. Er gilt dort als Verräter.
Somaliland im Norden hat eine eigene Regierung, ist aber international nicht anerkannt. Deshalb ist diese Regierung auf dem internationalen Parkett auf die Regierung in Mogadischu angewiesen.
2,95 Millionen interne Flüchtlinge in Somalia
Der Großteil der schutzsuchenden Menschen ist innerhalb Somalias auf der Flucht - rund 2,95 Millionen im Mai 2021, bei einer Bevölkerungszahl von schätzungsweise 15,44 Millionen Einwohnern. Diese Menschen leben in Flüchtlingssiedlungen, über das ganze Land verteilt. Über 65 Prozent von ihnen sind Kinder. 2,8 Millionen Menschen in Somalia leiden laut der UNO aktuell unter akutem Lebensmittelmangel. (Quelle: UNO-Flüchtlingshilfe e.V.)
Wie steht es mit dem Konflikt mit der militant islamistischen Miliz al-Schabab?
Bashir Gobdon: Der Konflikt mit der al-Shabab besteht immer noch. Jetzt hat al-Schabab in Zentralsomalia wieder Gebiete erobert. Vor zwei Monaten hatte eine neue Offensive der Regierungstruppen gegen al-Schabab begonnen. Mit den Amerikanern vereinbarte die somalische Regierung: Wir marschieren am Boden und die USA bombardieren. Dies hat geholfen, trotzdem konnten zwei wichtige Regionen, Mudug und Gal-Mudug nicht vollständig kontrolliert werden. Damit man diese Gebiete befreien kann, müsste die Bevölkerung unterstützt werden. Puntland, die Nachbarregion von Mudug, hat bestätigt, dass es möglich ist, gemeinsam al-Schabab zu besiegen.
Außergerichtliche Hinrichtungen der USA in Somalia
Nach einer Pause von sechs Monaten hat die US-Armee im Juli wieder begonnen in Somalia Luftangriffe zu fliegen, der erste in der Nähe von Galkayo und der zweite in der Provinz Galmudug, laut dem Afrika-Kommando der US-Streitkräfte in Stuttgart. Bei diesen außergerichtlichen Hinrichtungen mit Drohnen kommen meistens auch viele Zivilisten um. Diese Morde sind völkerrechtswidrig. Solche Tötungen mit Drohnen hat die Bevölkerung in Afghanistan gegen die Amerikaner und die afghanische Regierung aufgebracht, es war Wasser auf die Mühle der Taliban. US-Präsident Joe Biden hatte nach seinem Amtsantritt den Einsatz von Drohnen für Angriffe auf Islamisten reduziert.
(siehe: John Goetz, Frederik Obermaier: "Auf Kollisionskurs mit dem Völkerrecht", Süddeutsche Zeitung, 4. 4.2014)
Die Taliban haben jetzt in Afghanistan die Macht übernommen. Könnten in Somalia auch die al-Schabab plötzlich die Macht übernehmen?
Bashir Gobdon: In Afghanistan haben die Taliban die Bevölkerung unterstützt. Die Taliban gehören zum Stamm der Paschtunen. al-Schabab in Somalia hat die Menschen unterdrückt, sie haben Menschen ermordet. al-Schabab kämpfte nicht nur gegen die Amerikaner, sondern auch gegen die somalische Regierung, gegen die Stämme. al-Schabab kann man nicht mit den Taliban vergleichen, aber sie sind immer noch stark: Sie haben viele Kämpfer, aber in der Mehrheit der Bevölkerung keine Sympathien.
Wichtig ist zu vermerken: Die somalische Regierung ist immer noch teilweise korrupt und macht keine Fortschritte in Fragen der Verfassung, der Wahlen und der Versöhnung, wie dies in Ruanda und Südafrika möglich war. Bei den Wahlen wird betrogen. Dadurch kann es sein, dass die Menschen der al-Schabab mehr vertrauen. Das einzige auf das die Menschen der al-Schabab vertrauen sind die islamischen Gerichte dieser Gruppe. Konflikte in Familien, Erbstreitigkeiten lösen die islamischen Gerichte der al-Schabab immer sauber. Auch auf der Regierungsseite übergeben Personen die Lösung solcher Konflikte indirekt diesen Gerichten. Dadurch gewinnt al-Schabab Sympathien. Wenn man in Mogadischu oder anderorts zu einem Gericht geht, dauert es viel länger, oft ohne, dass ein Entscheid gefällt wird.
Wenn es der Regierung gelingen wird die Wahlen ohne Korruption durchzuführen, wird al-Schabab Macht verlieren. Bisher nutzten die Aufständischen die schwierige Situation in Somalia aus. In Zentralsomalia, Gal-Mudug, Puntland spielt al-Schabab keine große Rolle. Am stärksten sind sie in Jubaland und Baidao, im Süden, in landwirtschaftlichen Gebieten. Dort verstecken sie sich, der Zugang zu diesen Gebieten ist schwierig. In der Regen- und Dürrezeit ist es schwierig diese Gebiete mit Autos zu erreichen.
Auswirkung der Covid Restriktion: Die Zahl der Hungernden wächst täglich
"Ende 2019 waren etwa 85 Millionen Menschen von Unterernährung betroffen, mit dem Beginn der Pandemie stieg ihre Zahl sprunghaft an auf 135 Millionen, inzwischen spricht man schon von 270 Millionen. Die Auswirkungen von Covid zeigen sich auf globaler Ebene weniger im Gesundheitsbereich und vielmehr als soziales Elend infolge der Lockdowns, Handelsbeschränkungen und unterbrochenen Lieferketten." sagte Hans Peter Vikoler der seit fast 27 Jahren für das Welternährungsprogramm arbeitet.
Hans Peter Vikoler arbeitet für das World Food Programme der UN (WFP) an vorderster Front, auch in Somalia. Er leitet, plant und koordiniert die Einsätze und die Verteilung von Hilfsgütern in Katastrophengebieten. Meistens sind Kriege, Überschwemmungen oder Dürren die unmittelbaren Auslöser für den Hunger - im letzten Jahr kam auch noch eine Pandemie dazu.
Zuletzt war Vikoler in Mosambik im Einsatz, wo die weltweiten Lockdowns im letzten Frühjahr einen Zusammenbruch der Wirtschaft verursacht hatten und unzähligen Tagelöhnern und Arbeitern plötzlich das überlebensnotwendige Einkommen weggebrochen war. Die Bemühungen des Welternährungsprogrammes, solche Hungersnöte einzudämmen, wurde im Jahr 2020 mit dem Friedensnobelpreis gewürdigt.
(siehe: Teseo La Marca: "Hunger ist gewollt", Telepolis, 16.10.2020)
Wie ist die wirtschaftliche Lage in Somalia, Funktioniert der Schiffs- und Flugverkehr? Du hast einmal gesagt Corona würde keine Rolle spielen.
Bashir Gobdon: Ich war kurz in Mogadischu und in Dhuusamareeb. Die Menschen dort schenken der Corona-Seuche keine Beachtung, sie leben normal weiter. Nur einzelne Leute sieht man Masken tragen. Die Wirtschaft funktioniert, die Läden sind geöffnet. Flüge ins Ausland via der Türkei, Kenia, Äthiopien sind wieder möglich. Wirtschaftlich sieht es eher positiv aus: Häuser werden gebaut, private medizinische Einrichtungen werden eröffnet. Fachleute die in Europa, Amerika, Australien gelebt haben kehren wieder zurück.
Viele neue Restaurants wurden eröffnet, Bäckereien, Coiffeursalons. Viele Somalier aus der Diaspora kehren zurück und eröffneten Geschäfte. Schlimm ist: Alles ist teurer geworden. Die Währung somalischer Schilling funktioniert nicht. Die Menschen zahlen elektronisch, mit dem Handy, mit Electronic Virtual Cash (EVC). Was mich überraschte: Wenn man einem Bettler, einem Schuhputzer Geld geben will, muss er ein Handy haben. Mir wurde gesagt, es gibt keinen anderen Weg, denn es fließt kein Bargeld mehr. Alle haben ihr Geld im Handy gespeichert. Und wenn die Elektronik oder das Handynetz nicht mehr funktioniert, funktioniert das ganze Land nicht mehr.
Das Handygeldsystem funktioniert?
Bashir Gobdon: Das funktioniert. Das schlimme ist, die Leute vom Land haben Schwierigkeiten, sie haben noch die alten somalischen Schillinge. Sie können mit diesen Geldscheinen nicht in jedem Laden einkaufen. Die alten somalischen Schillinge kann man nur in einer Bank zurückgeben und wechseln. Alles funktioniert jetzt mit US-Dollars. Meine Frau in der Schweiz überwies mir via dem Hawala Geldtransfer US-Dollars auf mein Handy.
Die somalische Regierung hat mehrmals versucht eine somalische Schillingwährung wieder einzuführen. Aber es gibt keine stabilen Verhältnisse mit Banken. Gewisse Regionen wie Puntland, Jubaland, Somaliland akzeptieren eine neue Währung nicht. Sobald das ganze Land in der Hand einer einheitlichen Regierung ist, könnte eine neue Währung eingeführt werden.
Die Amerikaner arbeiten immer noch mit der somalischen Regierung zusammen? Sie bombardieren weiter?
Bashir Gobdon: Die USA arbeitet indirekt mit der somalischen Regierung zusammen aber meistens mit den lokalen Regierungen der Föderation. Wir haben fünf Regionen, Puntland, Jubaland, Hir-Shabelle, Gal-Mudug und South-West. Die Regionen haben jetzt eine größere Unterstützung durch die Zentralregierung gefordert. Sie wollen, dass al-Schabab wirksam bekämpft wird. Das Mandat der Amisom, der Truppen der Afrikanischen Union läuft im nächsten Jahr ab und man weiß nicht, ob dieses Mandat verlängert wird.
Die Amerikaner haben auch nicht mehr so ein großes Interesse im Ausland sich zu engagieren?
Bashir Gobdon: Die Amerikaner haben nur etwa 200 oder 300 Soldaten die indirekt in Somalia sind. Aber genaueres weiß man nicht. Sie haben im Nachbarland Djibouti ihren großen Stützpunkt. Von dort aus beobachten sie Somalia. Zum Glück gibt es keine Piraten mehr. Wichtig ist, dass die somalische Regierung wieder in die Hand von vertrauensvollen Personen kommt. Dann kann al-Schabab wieder bekämpft werden. Dazu braucht man auch eine große Unterstützung von arabischen Ländern, die al-Schabab bisher indirekt unterstützten.
Und eine Vereinbarung, ein Abkommen mit der al-Schabab?
Bashir Gobdon: Man könnte innerhalb von 48 Stunden eine Lösung finden. Aber al-Schabab ist nicht mit Al-Kaida oder den Taliban zu vergleichen. Es gibt von Nachbarländern und von arabischen Staaten Interessen, dass es in Somalia nicht wieder zu normalen Verhältnissen kommt, auch von der Türkei.
Wenn es ein internationales gemeinsames Interesse geben würde, könnte die Regierung unterstützt werden, und dann könnte die al-Schabab nur noch in einzelnen Gebieten operieren und damit wirksam bekämpft werden. Aber diese Gemeinsamkeiten gibt es nicht.
Die Somalier haben genug gelitten, sie vertrauen niemandem. Ein Land, das seit dreißig Jahren im Krieg steht, vertraut auch dem Präsidenten nicht, der an der Macht ist. Somalia sollte eine funktionierende Armee von 40.000 Soldaten haben, davor haben aber die Stämme Angst.
Auch besteht gegen Somalia immer noch ein internationales Waffenembargo. Der somalischen Regierung können heute keine Waffen verkauft werden. Für die al-Schabab ist dies ein Vorteil. Es sind auf beiden Seiten, der Regierung und der Aufständischen, zwei Milizen, die nur über kleine Waffen verfügen.
Es wurde kürzlich gemeldet das Flüchtlingslager Dadaab in Kenia werde aufgelöst und die Menschen müssten nach Somalia zurück.
Bashir Gobdon: Das war ein Konflikt zwischen Somalia und Kenia. Am internationalen Strafgerichtshof in Den Haag wird jetzt der Grenzverlauf im Meer vor der Küste Somalias und Kenias verhandelt. Im Indischen Ozean kann Erdöl gefördert werden.
Die Kenianer demonstrierten ihre Macht und kündigten die Schließung des Flüchtlingslagers Dadaab an. Der Entscheid über den Grenzverlauf fällt Den Haag am 12. Oktober. Vorläufig können die somalischen Flüchtlinge in Dadaab bleiben, viele sind auch schon nach Somalia zurückgekehrt.
Es war nicht das erste Mal, dass die Kenianer die Schließung des Lagers ankündigten. Ende Juli 2020 lebten 218.873 registrierte Flüchtlinge in den drei Lagern in Dadaab.
Und der Konflikt in Tigray in Äthiopien? Betrifft dieser Krieg Somalia auch?
Bashir Gobdon: Somalia befürchtet, dass es durch diesen Krieg in Tigray zu großen Flüchtlingsströmen nach Somalia kommen wird. Heute schon leben in Somalia 2,95 Millionen interne Flüchtlinge, die vor dem Krieg, von Dürren und Überschwemmungen in große Städte wie Mogadischu geflohen sind.
Sie haben in der Region unlängst eine Hebammenschule in Dhuusamareeb besucht. Welchen Eindruck hatten Sie von der Lage vor Ort?
Bashir Gobdon: Ja ich war auch in Dhuusamareeb, in Zentralsomalia, in Galgaduud. Zwei Tage habe ich dort verbracht. Es hat mich sehr gefreut, wie die Hebammenschule weiter funktioniert, die von Swisso Kalmo früher unterstützt wurde.
Ich war kürzlich in Bern und habe meine Kolleginnen und Kollegen der somalischen Diaspora dieses Gebietes über die Hebammenschule in Dhuusamareeb informiert, und ihnen gesagt, wie wichtig es sei seine eigene Heimat zu unterstützen.
Es braucht nicht nur UNO-Organisationen und internationale Nichtregierungsorganisationen und Banken, die sich in Somalia engagieren.
Zum Schluss noch einmal die Warnung von Michael Keating der von Januar 2016 bis September 2018 in Somalia Leiter der UNSOM (United Nations Assistance Mission in Somalia) war:
Der Weg zum Frieden kann in Somalia nicht mit Bombardierungen erreicht werden. Um die Gewalt zu verringern, muss es einen politischen Prozess geben, der es den Menschen ermöglicht, miteinander zu sprechen, anstatt aufeinander nur zu schießen und zu töten.
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