Sozialabbau durch Inflation
Auch Transferleistungsempfänger müssen auf eine Drosselung der öffentlichen Ausgaben hoffen - allerdings in anderer Zusammensetzung, als sie derzeit geplant ist
Seit 2008 Regierungen die Wettschulden von Banken nicht nur von der Steuer absetzbar machten, sondern sie mit Staatsschulden bezahlten oder dafür bürgten, mehren sich die Zeichen, dass der "Ausweg" aus dieser Entwicklung eine Inflation sein wird. Früher als in Europa sichtbar war dies in den USA und in Großbritannien. Dort senkten die Notenbanken nicht nur die Leitzinsen praktisch auf Null, sondern kauften auch Staatsanleihen der eigenen Regierungen. Ein Weg, den die EZB in diesem Jahr ebenfalls eingeschlagen hat. Sie hortet mittlerweile in großen Mengen Staatsanleihen aus Griechenland, Spanien, Portugal und Irland.
Trotzdem finden sich in den Medien bei Weitem nicht nur Warnungen vor Inflation, sondern auffällig häufig politiknahe Experten, die eine gegenteilige Entwicklung erwarten und diese für schlimmer halten: So behauptete beispielsweise Gustav Adolf Horn vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung im Spiegel, dass derzeit "nichts [...] für eine schnellere Geldentwertung" spreche, woran auch die "Rettungsprogramme für Banken und Euro" nichts ändern würden. Stattdessen, so Horn, stehe Europa ein angeblich "deutlich schlimmeres Szenario bevor: fallende Preise."
Horn ist mit dieser Sichtweise keineswegs alleine: Der "Wirtschaftsweise" Peter Bofinger führt bereits seit Längerem immer wieder das Beispiel Japan vor, das ihm zufolge zeigt, dass eine "sehr hohe Staatsverschuldung nicht zwingend zu Inflation führen" muss. Hans Werner Sinn, der Deregulierer mit dem Käpt'n-Ahab-Bart, warnte im letzten Jahr ebenfalls vor einer Deflation, in welcher Japan nun schon seit fast zwei Jahrzehnten stecke. Allerdings gibt es für das eine japanische Beispiel (dessen endgültiger Ausgang noch offen steht) ungezählte andere, in denen eine Inflationspolitik auch zu Inflation führte - vom Wilhelminischen Kaiserreich und der Weimarer Republik bis hin zu Simbabwe. Auch, wenn damit erst etwas ganz anderes finanziert wurde, zum Beispiel der Erste Weltkrieg oder Reparationen, kamen die vermehrten Geldmengen irgendwann doch beim Konsumenten an. Dann aber oft - wie der Engländer sagt - "with a vengeance" - als unkontrollierbare Hyperinflation.
Ebenfalls zu den Deflationswarnern zählt die Linkspartei-Politikerin Sahra Wagenknecht. Sie konzentriert sich in ihren Prognosen auf den Dollar, berücksichtigt dabei aber nicht, dass die USA, der von ihr geschilderten Gefahr des Verlusts des Leitwährungscharakters bei einer sehr schnellen Inflation dann abhelfen können, wenn sich Europa und vielleicht auch China ebenfalls auf eine Inflation einlassen. Denn wenn alle relevanten Währungen eine Inflation durchmachen, dann kann selbst ein Inflationsdollar Leitwährung bleiben. Eine für die US-Regierung optimale Situation: Sie wird ihre Schulden durch Inflation los, behält aber viel Macht.
Für Hartz-IV-Bezieher und andere Empfänger von Transferleistungen - die Wagenknecht außen vor lässt - würde das allerdings heißen, dass ihre Lebensgrundlagen ständig weniger Wert werden. Und selbst Befürworter einer Inflation müssen eingestehen, dass eine Anpassung solcher Leistungen in jeder auch nur halbwegs realistisch antizipierbaren Regierungskonstellation ein extrem unrealistisches Szenario ist. Je nach Geschwindigkeit und Ausmaß der Inflation kann so ein Prozess sogar in eine komplette "kalte" Abschaffung aller Sozialleistungen münden.
Das Argument, dass das vermehrte Geld für eine Inflation ja beim Verbraucher ankommen müsse, ist deshalb kein Trost für Transferleistungsempfänger und nur sehr bedingt zur Beruhigung von Geringverdienern in Globalkonkurrenz geeignet: Denn Lohnerhöhungen kommen nicht bei allen Arbeitenden gleich schnell und in gleichem Maße an: Während Lokomotivführer und Piloten auch in einer globalisierten Welt noch Druckmittel in der Hand haben, dürfte es bei Call-Center-Angestellten oder Briefträgern in dieser Hinsicht eher schlecht aussehen. Dadurch führt eine Inflation auch zu einer Verschärfung von Lohnungleichheiten. Zudem steigen in Inflationssituationen häufig zuerst die Preise und die Löhne ziehen erst sehr viel später nach - ein Verzögerungseffekt, der sich ebenfalls gravierend zu Lasten der Verbraucher auswirken kann.
Deshalb liegt auch keine inflationsfinanzierte beliebige Ausweitung von Staatsausgaben im Interesse von Transferleistungsempfängern und Geringverdienern, sondern, ganz im Gegenteil, ein "Sparen" - aber an anderen Stellen, als das die Regierung aktuell plant. Spielräume hierfür gibt es durchaus: Etwa bei den ständig neuen "Rettungspaketen", bei Subventionen für große Unternehmen und Kirchen, beim Krieg in Afghanistan und den Verteidigungsausgaben überhaupt, bei Prestigeprojekten für Eliten, in der so genannten "Städtebauförderung", wo Teerstraßen aufgerissen und gepflastert werden, oder in der Sportförderung.
Eigentlich muss man sich angesichts der objektiven Interessenlage wundern, warum Geringverdiener nicht unter dem Motto "Wir zahlen nicht für eure Oper" die Nutzer solcher Einrichtungen zur Zahlung des Differenzbetrages auffordern, der zwischen dem extrem stark subventionierten Preis ihrer Eintrittskarte und einem kostendeckenden Preis besteht. Auf solchen Veranstaltungen dürften sich auch ausreichend Besucher finden, die prominent genug sind, dass eine mit dem Mobiltelefon gefilmte Ablehnung dieses Ansinnens ohne Verletzung von Persönlichkeitsrechten bei YouTube eingestellt werden könnte.