Soziale Ungleichheit macht krank!

Seite 2: Was liegt den Korrelationen zugrunde?

Ein wesentlicher Teil des Buches von Wilkinson und Pickett besteht aus einer sachlichen und unaufgeregten Debatte über die Frage, was diesen Korrelationen zugrunde liegen könnte. Ihre These ist, dass es sich hier wahrscheinlich um einen ursächlichen Zusammenhang handelt.

Zur Begründung werden die Befunde aus der umfangreichen diesbezüglichen sozialwissenschaftlichen Literatur der letzten Jahrzehnte herangezogen. In der letzten Ausgabe des Buches sind hier 450 Literaturstellen aufgeführt.

Ein Argumentationsstrang ist, dass Einkommensunterschiede zu Statuskonkurrenz und Statusunbehagen führen. Letztere sind in reichen Ländern mit mehr Ungleichheit in allen Schichten der Bevölkerung stärker ausgebildet als in Ländern mit weniger Ungleichheit. Statusunbehagen kann objektiv vermehrte Stressbelastungen hervorrufen und subjektiv das Wohlbefinden beeinträchtigen.

Ein weiterer Ausgangspunkt der Überlegungen ist die gefundene Korrelation zwischen dem Niveau des gesellschaftlichen Vertrauens und dem Ausmaß der Ungleichheit. In den Ländern mit einem größeren sozialen Gefälle besteht ein niedriges Niveau des Vertrauens zwischen den Menschen und dadurch kommt es zum vermehrten Auftreten von Unsicherheiten, Ängsten, Depressionen und Stressbelastungen.

Was kann man tun?

Im letzten Teil des Buches von Wilkinson und Pickett geht es um die gesellschaftliche Therapie. Die Autoren sprechen sich klar gegen den Neoliberalismus aus und schlagen Maßnahmen vor, mit denen mittel- und langfristig das soziale Gefälle abzubauen wäre.

Angeführt wird eine höhere Besteuerung der Einkommen mit mehr sozialstaatlicher Umverteilung wie in den skandinavischen Ländern und/oder eine Verminderung der Einkommensunterschiede durch höhere Löhne und Gehälter und mehr Ausgaben für Bildung wie in Japan. Am besten würde ein Zusammenwirken beider Maßnahmen wirken.

Die Frage ist natürlich, wie das politisch umgesetzt werden kann. Hier vertrauen die Autoren auf die gesellschaftliche Einsicht, dass Veränderungen in Richtung eines Abbaus des sozialen Gefälles und mehr sozialer Gleichheit im objektiven Interesse der gesamten Bevölkerung, auch der Wohlhabenden, liegen. Dafür liefern sie in ihrem Buch viele überzeugende Argumente.

Aus den dargelegten Befunden und Interpretationen lässt sich die Schlussfolgerung ziehen, dass den angesprochenen gesellschaftlichen Problemen zunächst vorrangig mit Maßnahmen einer Lohn-, Sozial- und Steuerpolitik entgegengewirkt werden müsste, mit der die soziale Ungleichheit abgebaut werden kann. Dazu gehört auch eine bessere Bildung für alle. Das gilt auch für den bedrohlichen Anstieg der Adipositas in den Ländern mit hohem Einkommen.

Eine Verringerung der materiellen Ungleichheit wäre somit wahrscheinlich ein wichtiger Beitrag zur Bekämpfung der Fettleibigkeit und, wie in Teil 2 dargestellt, vieler damit zusammenhängender lebensstilbedingter chronischer Krankheiten.

Um die Diskussion über ihre Vorstellungen zu befördern, haben die Autoren eine Stiftung (The Equality Trust) gegründet, die sich mit einer informativen Website an alle Interessierten wendet.

Dort wird uns ein Befund aus Großbritannien mitgeteilt, der ein bezeichnendes Licht auf die Entwicklung der sozialen Ungleichheit in den letzten 30 Jahren wirft: Von 1990 bis 2022 hat sich die Zahl der Milliardäre dort von 15 auf 177 erhöht und deren Gesamtvermögen von 53,9 auf 653,1 Milliarden Pfund um 1000 Prozent gesteigert.

Autor: Klaus-Dieter Kolenda, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin – Gastroenterologie, Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin/Sozialmedizin, war von 1985 bis 2006 Chefarzt einer Rehabilitationsklinik für Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems, der Atemwege, des Stoffwechsels und der Bewegungsorgane. Seit 1978 ist er als medizinischer Sachverständiger bei der Sozialgerichtsbarkeit in Schleswig-Holstein tätig. Zudem arbeitet er in der Kieler Gruppe der IPPNW e.V. (Internationale Ärztinnen und Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs und für soziale Verantwortung) mit. E-Mail: klaus-dieter.kolenda@gmx.de

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