Ungleichheit und Volksgesundheit: Es ist mehr Prävention nötig

Lebensstilbedingte chronische Krankheiten sind heute die wichtigsten Todesursachen und betreffen vor allem die unteren Einkommensschichten. Plädoyer für eine gerechte und solidarische Gesundheitsversorgung. (Teil 2)

Der erste Teil dieser Artikelserie handelt von neuen Erkenntnissen über Auswirkungen der sozialen Ungleichheit auf viele Kennzeichen der gesellschaftlichen Entwicklung und zeigt, dass eine Verringerung der Ungleichheit auch ein wichtiger Beitrag zur Bekämpfung von chronischen Krankheiten sein könnte, die durch einen ungesunden Lebensstil bedingt sind.

Im folgenden zweiten Teil steht die Prävention dieser heute wichtigsten Krankheitsgruppe im Mittelpunkt.

Prävention lebensstilbedingter chronischer Krankheiten

Ziel der Prävention ist, chronische Krankheiten zu verhindern, zu heilen oder zu lindern.

Man unterscheidet zwischen Maßnahmen zur Primärprävention (Erstprävention), die darauf abzielen, durch einen gesundheitsförderlichen Lebensstil die Entstehung einer chronischen Krankheit bei (noch) Gesunden zu verhindern, und Maßnahmen zur Sekundärprävention (Zweitprävention), die zum Ziel haben, das Fortschreiten einer schon bestehenden chronischen Krankheit durch Lebensstiländerungen (und andere Maßnahmen) günstig zu beeinflussen.1

Weiterhin gibt es der Begriff der Tertiärprävention (Drittprävention). Dabei handelt es sich um den Versuch der Schadensbegrenzung und der Verhinderung und Verminderung von Folgeschäden bei bereits chronisch Erkrankten. Dieser Begriff hat sich aber nicht überall durchsetzen können. Die Inhalte werden meist der Sekundärprävention zugeordnet.

Deshalb wird im Folgenden nur zwischen Primär- und Sekundärprävention unterschieden. Dabei handelt es sich um Maßnahmen der Verhaltensprävention. Davon zu unterscheiden ist die Verhältnisprävention, auf die weiter unten noch näher eingegangen wird.

Primär- und Sekundärprävention

Der Primärprävention chronischer Krankheiten gebührt entsprechend dem Leitspruch "Vorbeugen ist besser als Heilen" absolute Priorität. Für die Primärprävention sind derzeit andere Berufsgruppen größtenteils besser aufgestellt als die Ärzteschaft, etwa pädagogische Fachkreise. Man spricht hier dann auch von nicht-medizinischer Primärprävention.

Aber es gibt auch auf diesem Gebiet wichtige Aufgaben, die heute unbedingt in eine Arztpraxis gehören, zum Beispiel bei der Primärprävention des Diabetes mellitus Typ 2 bei Risikogruppen2 und von Krebskrankheiten3, für die es ausgefeilte Programme gibt.

Wenn Maßnahmen der Sekundärprävention angewendet werden, besteht schon eine chronische Krankheit, die in ihrem Verlauf günstig beeinflusst werden soll.

Ein klassisches Beispiel dafür ist die Herzkranzgefäßeinengung, die koronare Herzkrankheit (KHK), bei der zum Beispiel nach einem ersten Herzinfarkt ein möglicher erneuter Infarkt oder andere Komplikationen durch Lebensstiländerungen verhindert werden sollen.

Auf diesem Gebiet hat sich in Deutschland ein Netz von mehr als 6000 ambulanten Herzgruppen entwickelt und bewährt, die bundesweit für chronisch Herzkranke im Rahmen eines ganzheitlichen Konzeptes eine regelmäßige Sport- und Bewegungstherapie anbieten.4

Wichtig ist aber auch, dass "chronisch krank" nicht automatisch bedeuten muss, lebenslang krank zu sein. Auf dem Gebiet der Sekundärprävention besteht ein enormes Potenzial zur Senkung der Zahl chronisch Kranker.5

So entwickelt sich etwa ein Typ-2-Diabetes meist als Komplikation einer Adipositas. Wenn es gelingt, bei diesen Patienten durch eine gesunde Ernährungsweise und regelmäßige körperliche Aktivität eine deutliche Gewichtsabnahme zu erreichen, bessert oder normalisiert sich in einem hohen Prozentsatz die diabetische Stoffwechsellage.6

Ähnlich bedeutsame, direkte Zusammenhänge bestehen zwischen Adipositas und Hypertonie.7

Bedeutung der lebensstilbedingten chronischen Krankheiten

In den letzten 70 Jahren ist es zu einem grundlegenden Wandel des Krankheitsspektrums gekommen. Das betrifft vor allem die vermögenden Industrieländer, aber mittlerweile auch viele Schwellenländer.

Standen noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts Infektionskrankheiten ganz oben auf der Liste der Todesursachen, so sind heute die lebensstilbedingten chronischen Krankheiten an diese Stelle getreten. Letztere werden in den Publikationen der WHO "non-communicable diseases (NCD)", d.h., "nichtübertragbare Krankheiten", genannt.8

Sie beeinträchtigen die Lebensqualität vieler Menschen erheblich und sind in vielen Fällen für deren vorzeitigen Tod verantwortlich. Deshalb sollten heute die Vermeidung beziehungsweise Heilung chronischer Krankheiten oder, wenn das nicht mehr möglich ist, deren günstige Beeinflussung bei den präventiven Maßnahmen zur Gesund- und Lebenserhaltung ganz im Mittelpunkt stehen.

Um welche chronischen Krankheiten geht es dabei vorrangig? Es handelt sich um die Erkrankungen, die heute bei uns die Todesursachenstatistik anführen.

Dazu gehören:

  • die KHK, einschließlich des Herzinfarkts,
  • die zerebralen Durchblutungsstörungen mit dem Schlaganfall,
  • der Bluthochdruck,
  • die Adipositas mit dem Diabetes mellitus Typ 2 als wichtigster Folgeerkrankung,
  • die chronisch-obstruktive (einengende) Lungenerkrankung (COPD) und
  • die häufigsten Krebserkrankungen.

Diese Krankheiten werden auch als chronische Volkskrankheiten oder Zivilisationskrankheiten bezeichnet.

2004 konnte gezeigt werden, dass für die Hälfte der jährlichen Todesfälle in den USA "vermeidbare" Todesursachen verantwortlich waren.9

An der Spitze der Todesursachenliste stehen das Rauchen und die Fehlernährung mit Übergewicht/Adipositas, einschließlich dem Bewegungsmangel. Dabei handelt es sich neben dem Alkoholmissbrauch um drei Komponenten eines "tödlichen Quartetts", denen die WHO bei der Prävention der NCD die größte Bedeutung beimisst.10. Diesem Quartett konnten circa 40 Prozent aller Todesfälle zugeordnet werden.

Rauchen

Im Jahre 2018 starben in Deutschland rund 127.000 Menschen an ihrem Tabakkonsum, das waren 13,3 Prozent aller Todesfälle.

Bei einer ähnlich hohen Todeszahl bedeutete das 2015, dass etwa 40 bis 50 Prozent der Tabaktoten an Krebserkrankungen, circa 30 Prozent an chronischen Herz-Kreislaufkrankheiten wie der KHK und circa 20 bis 30 Prozent an chronischen Lungenerkrankungen wie der COPD verstorben sind.11

Die große britische Raucherstudie hat auf der Basis einer Beobachtungszeit von 50 Jahren (!) ergeben, dass etwa die Hälfte aller Raucher an einer Erkrankung verstirbt, die durch das Rauchen verursacht wird. Wiederum die Hälfte davon stirbt vorzeitig in mittleren Jahren (35 bis 69 Jahre) und verliert im Durchschnitt 22 Lebensjahre. Bezogen auf alle Raucher bedeutet das Rauchen einen Verlust von etwa 10 Lebensjahren.12

Adipositas

Auch die Adipositas, von der inzwischen mehr als 20 Prozent der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland betroffen sind, ist eine wesentliche Ursache für viele gravierende chronische Krankheiten.13

Dazu zählen der Typ-2-Diabetes mellitus, der im Laufe des Lebens bei etwa jedem dritten Adipösen auftritt, aber auch chronische Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie die KHK mit Herzinfarkt, der Bluthochdruck mit Schlaganfall und nach neueren Erkenntnissen auch bestimmte Krebserkrankungen. So hat eine große Metaanalyse ergeben, dass 15 bis 20 Prozent aller tödlichen Krebserkrankungen in den USA mit der Adipositas in Zusammenhang stehen.14

Eine 2013 publizierte prospektive dänische Studie an mehr als 6.500 Männern, die 33 Jahre lang (!) beobachtet wurden, konnte zeigen, dass diese Zusammenhänge auch für das junge und mittlere Lebensalter gelten: Wer mit 20 Jahren adipös war, hatte bis zum 55. Lebensjahr mindestens die doppelte Chance, einen Bluthochdruck zu entwickeln, einen Herzinfarkt zu erleiden und vorzeitig zu versterben.15 Das Risiko für die Entwicklung eines Diabetes mellitus Typ 2 war sogar 8-fach erhöht!

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