Soziale und ökologische Mindeststandards für den Welthandel

Interview mit dem Europaabgeordneten Manfred Weber

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Manfred Weber ist seit 2004 Abgeordneter im Europaparlament und Mitglied des CSU-Präsidiums. Im letzten Jahr erregte er Aufsehen, als er in der taz öffentlich die Vorzüge einer Tobin-Steuer auf öffentliche Finanztransaktionen lobte. Wir befragten den Unions-Vordenker dazu, wie er sich die Entwicklung internationaler Regulierung nach dem Finanzcrash vorstellt.

Manfred Weber. Bild: www.weber-manfred.de

Herr Weber - ein anderer Manfred Weber, der geschäftsführende Vorstand des Bundesverbandes deutscher Banken, meinte 2005, eine Steuer auf Finanztransaktionen hätte "unweigerlich negative Folgen" für die Weltwirtschaft. Haben Sie Angst, dass Sie mit Ihm verwechselt werden könnten?

Manfred Weber: Jeder hat seine Aufgabe und muss sie auch kraftvoll wahrnehmen. In der Politik müssen wir mögliche Schlussfolgerungen aus der Finanzmarktkrise für unser Finanz- und Wirtschaftssystem ausführlich, aber zügig beraten. Ich kann mir gut vorstellen, dass gerade nach den Erfahrungen der vergangenen Monate eine Steuer auf Finanztransaktionen intensiver diskutiert und geprüft wird.

In der taz befanden Sie im letzten Jahr, dass es bei den Weltorganisationen eine "Schlagseite hin zur Marktliberalisierung" gebe und bezeichneten die Forderung nach einem globalen Marshall-Plan als "interessant". Nun sollen dem Willen des französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy zufolge in einer Serie von Weltfinanzgipfeln neue Regeln für einen "Kapitalismus des 21. Jahrhunderts" verhandelt werden. Wie könnten die Ihrer Ansicht nach aussehen?

Manfred Weber: Ich begrüße die Initiative der französischen Ratspräsidentschaft. Ich bin stolz darauf, dass Europa hier die Führungsrolle übernimmt. Entscheidend für die Initiative werden letztlich die Inhalte sein. In Sachen Marktliberalisierung hat sich die Weltgemeinschaft klare Strukturen gegeben, die WTO. Dort existiert etwa ein Handelsgericht, das harte Urteile spricht und auch durchsetzen kann. Allerdings ist zu lange die Marktöffnung im Mittelpunkt gestanden, die ich grundsätzlich für richtig halte. Dies muss jetzt dringend ergänzt werden. Es braucht konkrete Spielregeln für den Welthandel. Damit meine ich etwa soziale und ökologische Mindeststandards - und diese müssen dann auch justiziabel sein.

Führte in den letzten Jahrzehnten nicht gerade die Regulierung innerhalb internationaler Institutionen dazu, dass sich große Unternehmen neue Rechte und Freiheiten gewähren ließen - zum Beispiel beim Patentschutz für Medikamente?

Manfred Weber: Der Schutz des geistigen Eigentums - und damit auch der Patentschutz - ist in einer globalen Wirtschaft von zentraler Bedeutung. Aber Ihre Frage geht tiefer: Klar ist, dass das Vorhandensein einer internationalen Regulierung nicht per se gut ist. Wie auf regionaler oder nationaler Ebene gibt es auch international viele Interessen, die miteinander ringen. Wir Deutsche und Europäer müssen uns dabei sehr deutlich einbringen. Klar ist aber auch: Ganz ohne internationale Regelungen ist eine vernünftige Zusammenarbeit nicht möglich.

Kritiker merken an, dass die "Schlagseite" der bisher in Weltorganisationen beschlossenen Regeln mit mangelnder Transparenz zu tun hat. Sieht man sich die Entwicklung des ACTA-Abkommens an, dann scheint sich der Trend zur Geheimnistuerei noch zu verstärken. Warum führt man solche Verhandlungen nicht grundsätzlich öffentlich?

Manfred Weber: Ich bin sehr für transparente Verhandlungsprozesse. Transparenz ist enorm wichtig. Trotzdem dürfen wir uns nichts vormachen, die Prozesse sind global betrachtet natürlich äußerst komplex. Wichtig ist deshalb, dass die Europäer mit einer Stimme sprechen: Dann werden wir beispielsweise durchsetzungsfähiger und gleichzeitig ist der Prozess, durch die Einbindung der Parlamente in der EU, auch transparenter.

Ist nicht auch die Undurchschaubarkeit der personellen Besetzung von Gremien und Behörden eines der grundlegenden Probleme internationaler Regelsetzung- und kontrolle? Noch am 11. Oktober meinte der IWF-Chefökonom Olivier Blanchard im Corriere della Sera, das Risiko einer neuen Weltwirtschaftskrise sei "praktisch gleich null". Wie kommt so jemand zu seinem Posten?

Manfred Weber: Im Nachhinein ist es immer leicht, Sachverhalte zu beurteilen. Es geht nicht um einzelnen Personen und Funktionen. Entscheidend ist, dass wir zu globalen Spielregeln kommen und dass diese Spielregeln demokratisch legitimiert werden. Wenn der EU-Außenhandelskommissar verhandelt, dann muss er etwa die Ergebnisse im Europäischen Rat und Europäischen Parlament verantworten.

Ist es für eine Reparatur des Weltfinanzsystems nicht als allererstes notwendig, die Lecks zu stopfen. Oder, anders formuliert, haben solche Regeln ohne eine gemeinsame und konsequente Blockade aller Tax Havens und Geldwäscheinseln überhaupt einen Sinn?

Manfred Weber: Wettbewerb unter Standorten ist richtig. Wir wollen aber keinen Dumping-Wettbewerb. Gerade deshalb müssen wir Mindeststandards zwingend vereinbaren.

Die Ausrichtung auf den "shareholder value" brachte es mit sich, dass große Unternehmen nicht nur auf lange Sicht problematisches Verhalten sondern auch Regelverstöße in Kauf nehmen, wenn es den Kurs des Unternehmens erhöht. Könnten Unternehmensstrafen, die auch für Aktionäre spürbar sind, über den Börsenkurs nicht einen marktwirtschaftlichen Anreiz schaffen, dass eine Firma nicht allzu gemeinschädlich agiert?

Manfred Weber: Es ist doch nicht so, dass die Aktionäre die Finanzkrise nicht spüren würden. An den Aktienmärkten wurden in den letzten Wochen Milliarden Euro an Werten vernichtet. Das betrifft die großen Fonds und damit auch viele kleine Sparer. Wir brauchen neben festen Regeln vor allem eine veränderte Einstellung. Wir müssen weg vom kurzfristigen Gewinnstreben, hin zu mittelfristigem Denken und Handeln. Politik ist aber nicht allmächtig und sollte auch nicht den Eindruck erwecken, sie wäre es.

Personen, die für Unternehmen gemeinschädlich handeln, sind im Gewirr der Entscheidungsprozesse selten ausfindig zu machen und werden deshalb meist nicht zur Rechenschaft gezogen. In den USA gab es bereits Mitte des 19. Jahrhunderts eine große Debatte darüber. Ein damals beliebter Aphorismus brachte die Problematik auf den Punkt: "Corporations have neither bodies to be kicked, nor souls to be damned". Was hindert die Gesetzgeber daran, wesentlich stärker zwischen natürlichen und juristischen Personen zu differenzieren, um diesen Effekt abzumildern?

Manfred Weber: Schon heute können verantwortliche Personen in Unternehmen zur Verantwortung gezogen werde. Es liegt aber meist in der Hand des Eigentümers, ob er mit seinem Unternehmen die Strafen trägt oder ob er seine Geschäftsführer oder Mitarbeiter in Regress nimmt. Mehr Eigenverantwortung täte allen gut.

Wenn die Schulden der Spekulierbanken verstaatlicht werden, dann schafft das weitere Anreize für Banker, sich zu hohe Prämien auszuzahlen und verantwortungslos zu spekulieren - wie man gerade in Frankreich sieht. Müsste im Interesse des langfristigen Funktionierens nicht ein kurzfristiger Zusammenbruch in Kauf genommen werden - bei gleichzeitigem Angebot eines Kleinanlegerrefugiums aus spekulationsfreien Geldinstituten mit Gewährträgerhaftung?

Manfred Weber: Es ist nicht auszudenken, in welche Situation unser europäisches Finanzsystem und auch unsere Wirtschaft gekommen wären, hätte die Politik nicht gehandelt. Tatsache ist, dass man sich Zusammenbrüche mehrerer Großbanken nicht erlauben kann. Das würden vor allem die kleinen Leute bezahlen. Das derzeitige rasche Vorgehen ist daher richtig und alternativlos. Allerdings kann es nicht sein, dass die Steuerzahler die Lasten für das Versagen der Bankmanager übernehmen, und sich diese gleichzeitig Prämien in Milliardenhöhe auszahlen.