Soziales Design im Überschallmodus
Die Ausstellung "Airworld" schaut auf die goldene Ära der Luftfahrt zurück und bietet nicht zuletzt Einblicke auf den Quellcode sozialer Diskursivität im Überschallmodus
Linien, vierzehnfarbig, gezogen zwischen den urbanen Knotenpunkten auf einer Weltkarte. Überscheidungen kreieren neue Farben, so dicht sind sie an manchen Stellen, dass einige Gebiete dadurch verdeckt werden. Wohlgemerkt handelt es sich bei den globalen Transaktionen, deren Prozess hier offenkundig dargestellt wird, nicht um den virtuellen Verkehr von kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Daten. Nein, es handelt sich um Fluglinien. Genauer gesagt, um die Verbindungen jener 14 Fluggesellschaften, die sich 1997 zu der so genannten Star Alliance zusammengeschlossen haben.
Ins Leben gerufen, um den mit tiefgreifenden Krisen verbundenen Strukturwandel innerhalb der Branche zu überstehen, weist das engmaschige Alliance-Verkehrsnetz zwar Strukturanalogien zum virtuellen Datenverkehr auf und ist nebenbei auch ein weiteres Symptom des im Schrumpfungsprozess begriffenen Planeten, dessen Raum im Zuge der Globalisierung immer dichter zusammenwächst, vor allem manifestiert sich hier jedoch, was in den Sternbildern am Himmel angelegt ist: Ein den Erdball überformendes Netzwerk, das einen eigenen Raum definiert.
Im Vergleich zum virtuellen Datenverkehr, wirkt dieser Raum wie ein Fangnetz, das im Zuge einer Gravitationsinversion auf den Kopf gestellt wurde: Oben das Sicherheitspolster, unten der riskante Drahtseilakt. Über den Wolken die kuschelige Koje, auf der Erdoberfläche der Dschungel der Konkurrenzgesellschaft. Als wäre der eigene Raum, den die Fluggesellschaften schaffen, ein Kontinent, den es zu besiedeln gilt, nimmt hier die Utopie einer Zivilisation über den Wolken, einer hemisphärischen Bevölkerung, ja, einer Immigration Celeste Gestalt an. Eine Utopie, die gegenwärtig durch drei Begleitumstände konditioniert wird.
High Society
Zunächst zeichnet sich seit einiger Zeit ein Revival der goldenen 1960er Jahre ab, einer Zeit, in der das Fliegen ein gesellschaftliches Ereignis war und Bilder davon verbreitet wurden, die exklusiven Cluberlebnissen zum Verwechseln ähnlich sahen. Pan Am etwa, lockte seine betuchte Kundschaft in den 1930er Jahren mit Innenräumen, die an das Hotel Waldorf erinnerten: Es gab eine Bar, ein Esszimmer und eine private de Luxe Kabine, die so genannte Honeymoon Suite. Während Interior-Designer unter Hochdruck neue Kommunikationsräume für die damals noch kleinen Passagiermaschinen entwarfen, machte die Luftfahrt-Industrie technologische Fortschritte. 1969 brachte Boeing den 500 Personen fassenden Jumbo Jet auf den Markt und ließ dafür die Tiger Lounge entwickeln. Sie war für das fensterlose Untergeschoss vorgesehen und – ganz den 1970er Jahre Stil atmend – wie die Lobby eines Raumschiff-Hotels gestaltet. Heute wird an diese Zeit mit Filmen wie "Catch Me if You Can", "Jet Lag" und "Flight Girls" erinnert, jedoch auch mit utopischen Bauvorhaben, etwa dem Plan zweier israelischer Geschäftsmänner, eine Boeing 747 von Air Atlanta mit Roulette-Tischen und Spielautomaten ausstatten zu lassen.
Das Flying Boat als Hochsicherheitstrakt
Diese Renaissance nimmt in Zeiten einer von den am 11.09.2001 auf die USA verübten Terrorattacken ihren Lauf - und damit nicht zuletzt in Zeiten eines beispiellosen Wirtschaftstiefs innerhalb der Airline Branche. Krisenmanager haben unter anderem längst mit der Eliminierung der ersten Klasse auf Flügen aus den USA nach Hawaii und europäischen Städten wie Rom, Madrid und Zürich geantwortet. Für flachere Hierarchien an Bord sorgt auch der Rückzug von Airline-Anzeigen aus Wirtschaftsmagazinen, Zielgruppe von neu entwickelten Marketing-Kampagnen sind nicht mehr nur Manager, die in Zeiten des New Economy-Booms für Fluglinien immerhin den Grossteil aller Einnahmen ausgemacht haben, sondern auch die anderen Berufs- und Altersgruppen. Ein Zusammengehörigkeitsgefühl kommt durch diese Strategien auf, das nur durch die omni-präsente Angst vor einem terroristischen Anschlag gesteigert wird.
Keine Frage, Fliegen lässt sich derzeit nicht trennen von Bildern eines katastrophalen Notfalls, der mit Romanen wie "Glamorama" oder Filmen wie "Final Destination" im kollektiven Bewusstsein verankert worden und unter den Bedingungen des Krieges gegen den Terror zum antizipierten Normalfall geworden ist: Bereits am Check-In Counter wird man Teil einer Schicksalsgemeinschaft. Ein Bild vom Fliegen, dass untrennbar verbunden ist mit gesellschaftlichen Ausschlussmechanismen und der Vorstellung von einer idealen Gesellschaft on Board.
Messlatte für Superlative
Diese Umstände werden durch eine Konstante ergänzt, ja: gewissermaßen zusammengehalten. Gemeint ist die Idee vom Flugzeug als zentrales technisches Phänomen im 20. Jahrhundert. Schließlich hat in den vergangenen hundert Jahren kein anderes Verkehrsmittel eine dem Flugzeug vergleichbare Entwicklung vollzogen. Innerhalb von nur acht Jahrzehnten – seit den ersten regelmäßigen Linienflügen im Jahr 1919 – wandelte sich das Fliegen vom abenteuerlichen, exklusiven Vergnügen einiger Weniger, zum beinahe alltäglichen, massenhaften Phänomen der Fortbewegung. In dieser Zeit hat die zivile Luftfahrt nicht nur ihre eigene Ästhetik hervorgebracht (mit Flugzeuginterieurs, Flughafenarchitektur, dem Corporate Design der Airlines, den Uniformen der Flugbegleiterinnen bis hin zum Bordgeschirr), sondern auch ihre eigenen Standards geschaffen.
Welche Anziehungskraft es dadurch auszuüben begonnen hat, das hat Andy Warhol einmal auf den Punkt gebracht:
Airplanes and Airports have my favourite kind of food service, my favourite kinds of entertainment, my favourite graphics and colors, the best security checks, the best views, the best employees and the best optimism.
The Philosophy of Andy Warhol, 1977
Damit hat Warhol nicht nur die Faszination, sondern auch die Funktion des Flugzeugs für die Gesellschaft zusammengefasst: Als Symbol des Fortschritts, war es auch immer schon ein industrielles Erzeugnis, das der Gesellschaft als Spiegel diente. Was alle denkbaren Superlative vereinte, avancierte zum Maßstab für soziale Werte.
Rekonstruktion der Airworld
Wie die Luftfahrt zum Leitbild für Architektur, Design, Kunst und der Gesellschaft im Allgemeinen werden konnte, das lässt sich am Beispiel von Airworld (15. Mai 2004 - 9. Januar 2005) bestens nachvollziehen. Mit mehr als einem Dutzend Modellen der wichtigsten Verkehrsmaschinen, hunderten von Archivfotos und historischem Filmmaterial dokumentiert die Ausstellung in den Räumen des Vitra Museums in Weil die Evolution der Airline Culture. Originalflugzeugsitze aus der Sammlung des Vitra Design Museums zeigen beispielsweise, wie sich in der Geschichte der Luftfahrt auch der Komfort für die Passagiere gewandelt hat: von den Korbstühlen in der Ford Tri-Motor, über Sitze aus Aluminium- und Magnesiumrohr, erste mit Schaumstoff gepolsterte und kunststoffverschalte Sitze bis zu den heutigen High-Tech-Sitzen für die Passagiere der ersten Klasse.
Ähnelten die Interieurs der Passagiermaschinen in der Pionierzeit der Luftfahrt häufig noch denen anderer Verkehrsmittel wie Schiff und Bahn, bildeten infolge des technischen Fortschritts, zunehmender Professionalisierung und des raschen Wachstums des internationalen Luftverkehrs die Flugzeuge als ein Experimentier- und Testfeld der Avantgarde (als das die Passagierkabinen von Modeschöpfern, Architekten, Ingenieuren, Unternehmern und Designern begriffen wurden) zunehmend ihre eigenen Ausstattungsmerkmale heraus: von Norman Bel Geddes' visionärem Airliner N° 4 (1929) – einem riesigen Flugboot mit eigenem Konzertsaal, Tennisplätzen und Solarium – über die Junkers Ju-52, die Douglas DC-3, die Boeing B-377 Stratocruiser, den Jumbo und die Concorde bis zur aktuellen Studie eines so genannten Blended Wing Body (2003), in dessen Rumpf und Flügeln fast 1000 Passagiere Platz finden sollen.
Nomadismus vs. Sesshaftigkeit
Was der Airline Culture über all die Jahre des rasanten Wandels erhalten geblieben ist, das ist ein Paradoxon aus ihrer Frühphase: Während sich das Flugboot Dornier Do X damals um heimelige Wohnzimmeratmosphäre im Fahrzeug bemühte, wirbt heute die Hongkong’er Fluggesellschaft Cathay Pacific mit dem Slogan "Be as comfortable on the ground as you are in the air" und der europäische Boeing-Erzrivale Airbus mit Slogans wie "It doesnŽt just take you to your hotel, it is your hotel" für sein neues Großraumflugzeug. Letzteres stellt irdischen Luxus in Aussicht, der massenkompatibel sein soll: Einrichtungen wie Frisiersalon, Bar, Fitnessstudio und Geschäfte werden allen Klassen zugänglich gemacht.
Dass man sich in einem öffentlichen Vehikel zu Hause fühlen kann, wollen auch andere Luftfahrtunternehmen glauben machen. "Choose all the comforts of home." lautet zum Beispiel der Slogan von Saudi Arabian Airlines. Auf dem Kampagnenmotiv ist ein Fluggast beim Abendessen abgebildet, mit einem Privat-Fernseher vor sich, einer externalisierten Fernbedienung zur Linken und einer klassischen Stehlampe hinter sich. Das Versprechen vom Flug "im siebten Himmel" und ein einladend leeres Doppelbett ist wiederum der motivische Mittelpunkt einer Anzeige von Iberia-Airlines. Bestätigt wird damit nicht nur die kulturwissenschaftliche Einsicht, dass dem "Nomadismus schon immer der Zeichensatz des Sesshaften eingeschrieben war" (Ladewig/Mellinger), sondern auch das gesellschaftliche Diskurse wie Öffentlichkeit und Privatsphäre dieser Tage vor allem im Überschall-Modus ausgehandelt werden.