Space, place, cyberspace
Seite 2: Leben in Telepolis
Verlockend ist das Leben in unserer Telepolis offenbar nicht. Dezentralisierung, Desozialisierung, Denaturalisierung sind auch tatsächlich die Vorwürfe, denen sie sich zunehmend ausgesetzt sieht.
- Was das räumliche Gefäß sozialen Lebens schlechthin angeht, also die Stadt, äußern sich diese Tendenzen in der Emigration öffentlichkeitsbezogener städtischer Funktionen ins multimediale weltweite Netz bei gleichzeitiger Zersplitterung des urbanen Gefüges und Kolonialisierung des Stadtraumes von gesellschaftlichen Randgruppen und Subkulturen.
- Was das materielle Gefäß des Lebens angeht, also den Körper, bedeutet die Existenz im Cyberspace den Verzicht auf Unmittelbarkeit zugunsten der Immaterialität, das Absterben der Sinne, das Erlöschen der Empfindungen.
- Was den Ort zwischen Stadt und Körper angeht, also die Architektur, bedeutet das Schrumpfen der räumlichen Entfernung und der zeitlichen Distanz im virtuellen Raum den Verlust ihres wichtigsten symbolischen Bezugssystems, damit einerseits ihres Gedächtnisses, andererseits ihres Realitätssinns.
Das sind einige Topoi gegenwärtiger Kritik, in deren Kern die Anprangerung der Elektronisierung unserer Lebenswelt, ihrer digitalen Hybridisierung liegt.
Ich fürchte, daß diese Kritik, trotz manchmal scharfer Wahrnehmung der Symptomatik, an der Feststellung des Befunds scheitert und sehr oft Ursache und Wirkung verwechselt.
Die allgemeinen Symptome weisen auf einen Verlust des Ortes hin. Verloren ist die Siedlung als Ort in der Natur, verloren sind die städtischen Zentren als Orte des Gemeinschaftslebens, verloren ist das Bauwerk als sinnvoller Unter-Ort, wo der Mensch zugleich Individualität und Zugehörigkeit erfahren konnte.
Christian Norberg-Schulz
So schrieb Christian Norberg-Schulz 1976 und erklärte die stabilitas loci als eines der menschlichen Grundbedürfnisse.
Norberg-Schulz aber war nicht der erste, der auf einen Verlust des Ortes aufmerksam machte. Giedion warnte bereits im Jahr 1955, daß die modernen Architekten auf die jeweiligen bodengegebenen Lebensbedingungen ihres Arbeitsfeldes, also auf die Gegebenheiten des konkreten Ortes, eingehen sollten und stellte die Forderung nach einem Neuen Regionalismus in der Architektur.
Wiederholt, so z.B. auf dem Architektenkongreß in Otterlo 1959, schlug der holländische Architekt Aldo van Eyck vor, die Wörter Raum und Zeit aus dem architektonischen Vokabular restlos zu steichen und sie durch die Vokabeln Ort und Ereignis zu ersetzen. Van Eycks radikaler Vorstoß war offenkundig nicht etwa von der Empörung gegenüber dem ortlosen Raum des Cyberspace motiviert, sondern gegen eines der Kernkonzepte der Moderne der ersten Jahrhunderthälfte gerichtet, den Raum, "das wahrscheinlich tyrannischte Element unserer heutigen Architektur", wie auch Robert Venturi in "Learning von Las Vegas" (1978) formulierte.
Die Suche nach der Wiedergewinnung des Ortes hatte mehrere architektonische Ansätze zur Folge gehabt, vom "neo-vernacular" der 60er Jahre bis zu den verschiedensten Varianten des kontextuellen Bauens.