Space, place, cyberspace

Seite 4: Verlust der Urbanität?

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Anders ist es mit den Zuständigkeiten der Architektur im sozialen Bereich. Im Zusammenhang mit der Telepolis spricht man heute über den Verlust der Urbanität. Paradoxerweise war mit beinahe dem gleichen Titel ein Aufsatz überschrieben, den Heide Berndt im September 1967, also lange Zeit vor der Verallgemeinerung der elektronischen Revolution, veröffentlichte (Der Verlust der Urbanität im Städtebau. In: Das Argument, 44, 9.Jhg., H. 4, September 1967, S. 263ff.). Sie bezog sich dabei auf die frühen sechziger Jahre, vor allem auf die Kritik von Jane Jacobs an der amerikanischen Stadt in ihrem berühmten Buch "Tod und Leben großer amerikanischer Städte".

"Urbanität" - so stellte Heide Berndt fest - sei nun ein populäres Wort geworden, obwohl es in der Städtebaudiskussion bis 1960 eher gemieden wurde. Die antiurbanen Neigungen, die bis zu jener Zeit das Definitionsmonopol des Stadtdiskurses besaßen, führte Heide Berndt auf das Unbehagen gegenüber der kapitalistischen Verstädterung zurück, die sich von der ersten industriellen Revolution bis an die Schwelle des 20. Jahrhunderts in Europa ereignete. Sie seien sowohl Bestandteil der antikapitalistischen Kritik seit dem utopischen Sozialismus, als auch bezeichnend für bürgerlich-konservative Lebenshaltungen, wie diese beispielsweise im Werk eines Ferdinand Tönnies (Gesellschaft und Gemeinschaft - Abhandlung des Communismus und des Socialismus als empirischer Culturformen. Leipzig 1887) zur Sprache kamen.

Die Auflehnung gegen die moderne Stadt, beschränkte sich selbstverständlich nicht auf die Fälle, die Heide Berndt auflistet, sondern bildete gleichsam den Kern von zahlreichen Architekturprogrammen und zukünftigen Stadtmodellen, zum Teil Stadtutopien, die im Kontext der modernen Architekturbewegungen der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts formuliert wurden. So übten beispielsweise die die Gartenstadt propagierenden sozialreformerischen Ideen von Ebenezer Howard (Tomorrow: A Peaceful Path to Social Reform. 1898) und die - im Sinne ihrer flächendeckenden Absicht - viel umfassenderen von Sir Patrick Geddes einen bemerkenswerten Einfluß in Amerika und Europa aus. In Amerika bildeten sie in den Zwanziger Jahren den Ausgangspunkt der seitens der Vorreiter der Dezentralisierung vertretenen Auffassungen. Ihr bedeutendster Vertreter war Lewis Mumford.

Noch viel früher wurde in Europa, zumal in Deutschland, der Gartenstadtgedanke aufgenommen und weitergeführt. Er begegnet uns noch unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg in den Architekturvisionen der Expressionisten. Die Auflösung der Städte - die Erde eine gute Wohnung, so war bezeichnenderweise Bruno Tauts Architekturprojekt von 1920 überschrieben, das eine Siedlungsform in kleinen, dezentralen, weitgehend selbstversorgenden, dorfartigen Einheiten vorsah. Ein wichtiges Merkmal von Tauts utopischem Projekt war das außergewöhnlich hohe Niveau der technischen Ausstattung dieser Einheiten, das über die vorhandenen Möglichkeiten der Zeit weit hinausging.

Ähnlich verhielt es sich mit den Entwürfen, die Kasimir Malewitsch kurz nach der russischen Revolution im Kreis der Verfechter der neuen Kunst (UNOWIS) der Freien Staatlichen Kunstwerkstätten in Witebsk präsentierte. Seine Planiten waren hochtechnisierte fliegende Häuser, die sich im ortlosen Raum bewegten und uneingeschränkte Mobilität gewährleisteten.

Kurze Zeit später stellte Okchitowitsch sein Programm des De-Urbanismus auf, das die Forderung von Friedrich Engels nach Aufhebung des Gegensatzes zwischen Stadt und Land im Sinne der Errichtung von Zehn-, vielleicht Hunderttausenden von kleinen Siedlungen interpretierte, die aus in Leichtbauweise hergestellten Privathäusern bestehen würden. Diese Siedlungen würde man in die weite unbefleckte russische Landschaft hineinwerfen. Die besten Köpfe der russischen Architektur pflichteten dieser Idee bei, so Ginzburg, die Brüder Wesnin, Wegmann und Pasternak.

Im Westen war die Lage nicht viel anders. Die funktionelle Stadt der Internationalen Kongresse für Neues Bauen, der CIAM (IV. Kongreß 1933), würde nichts anderes als die Auflösung der traditionellen europäischen Stadt zur Konsequenz haben. Die Lebensabläufe im urbanen Organismus sollten nämlich nicht mehr zentral organisiert und im Sinne von identifizierbaren, aus Plätzen, Straßen und Blocks bestehenden Stadträumen in konkrete Form gebracht werden, sondern, nach Funktionen getrennt - Arbeiten, Wohnen, Sich-Erholen -, an einem einheitlichen Verkehrsnetz angebunden und von ihm untereinander verbunden werden. Dieses Stadtmodell konnte im Prinzip universal angewendet werden, ohne besondere Rücksichten auf lokale natürliche, soziale oder kulturelle Gegebenheiten.

Ein weiterer Schritt zur Globalisierung wurde im V. Kongreß in Paris (1935) unternommen, als ähnliche Grundsätze selbst auf die Regional- und Landesplanung übertragen wurden.