Spanien: Applaus in Verbesserungen im Gesundheitswesen verwandeln
Bedienstete im Gesundheitswesen protestieren in Spanien und formieren sich zu einer Bewegung gegen Privatisierungen und prekäre Arbeitsbedingungen
Erneut sind am Montag in spanischen Städten Beschäftigte des Gesundheitswesens gegen ihre Arbeitsbedingungen, miserable Löhne und Privatisierungen auf die Straße gegangen. Nach einem improvisierten Aufruf der "Notwendigen Gesundheitsarbeiter" (sanitarios necesarios) am Montag zuvor, strukturiert sich der Protest nun zusehends. Es wird nicht mehr um 20 Uhr vor den Krankenhäusern und Gesundheitszentren protestiert, sondern um 20 Uhr 30. Man setzt sich vom Applaus ab, den es weiter an vielen Orten für den "heroischen Einsatz" der Krankenpfleger und Ärzte im Kampf gegen das Coronavirus gibt, und fordert die Bevölkerung zur Beteiligung an den Protesten auf.
Besonders stark ist die Bewegung in der Hauptstadtregion Madrid. Bewaffnet mit Schutzmasken und meist mit weißen Kitteln bekleidet versammelte man sich, um "prekäre Arbeitsbedingungen" aufzuzeigen, erklärte Silvia García, Krankenschwester im Madrider Krankenhaus Gregorio Marañón. Das Coronavirus habe die prekäre Lage noch deutlicher gemacht, "die wir seit langem erleiden", fügt sie an und nimmt am zweiminütigen Schweigeprotest teil, bei dem der Sicherheitsabstand von zwei Metern penibel eingehalten wurde.
"Wir sind weder Helden noch Kamikaze und benötigen reale Schutzausrüstung", war auf Spruchtafeln zu lesen. Das ist eine zentrale Forderung. Denn daran fehlt es zum Teil noch immer. "In primärmedizinischen Versorgungsstationen fehlt die notwendige Verstärkung und auch das Material für die Lockerung der Maßnahmen. Sie haben nichts, keine Kittel und keine Masken", sagt Ana Nogales, die Sprecherin der Initiativen im Madrider Krankenaus Severo Ochoa.
"Wir kämpfen ohne Waffen", wird deshalb geklagt, oft schutzlos einer tödlichen Gefahr ausgesetzt zu sein. Die Folgen sind deutlich: Fast 52.000 Beschäftigte im Gesundheitswesen haben sich infiziert, mehr als 21% aller festgestellten Infektionen. Fast 80 Krankenpfleger und Ärzte haben ihren Einsatz mit dem Leben bezahlt. Noch immer liegen mehr als 4500 in Krankenhäusern, mehr als 600 kämpfen auf Intensivstationen um ihr Leben. Nicht wenige Beschäftigte sind aber auch massiv enttäuscht darüber, dass die sozialdemokratische Regierung gerade angekündigt hat, die Löhne der paramilitärischen Guardia Civil und Nationalpolizei zu erhöhen, während von einer vernünftigen Bezahlung im Gesundheitswesen weiter keine Rede ist. "Es ist eine Dummheit, nicht mit ihnen begonnen oder wenigstens das Gesundheitspersonal in die Maßnahme einbezogen zu haben", schreibt das Medizinische Blatt.
Der Applaus müsse sich nun in konkrete Maßnahmen verwandeln. Denn der Bevölkerung sei in der Krise die zentrale Bedeutung eines öffentlichen Gesundheitswesens schmerzlich vor Augen geführt worden. "Wir wollen ein Gesetz, das das öffentliche Gesundheitswesen absichert", erklärt Laura Castillo, eine der Sprecherinnen der Bewegung der Gesundheitsarbeiter. Die Krankenschwester der Intensivstation des Krankenhauses 12. Oktober in Madrid fügt an: "Es darf weder Privatisierungen noch Mittelkürzungen geben, ausgelagerte Leistungen müssen in die öffentliche Hand zurückgeführt und die Arbeitsbedingungen verbessert werden." Sie verweist sie auf eine Petition, die schon von fast 180.000 Menschen unterzeichnet wurde und ein "100% öffentliches Gesundheitswesen" fordert.
Bewusst knüpft man an die "Weiße Flut" an, also an die Bewegung, die im Rahmen der Finanzkrise ab 2008 gegen massive Einschnitte auf die Straße ging. Seitdem wurden fast 29 Milliarden Euro im spanischen Gesundheitswesen eingespart, etwa 30.000 Stellen wurden gestrichen und Löhne gesenkt. In Madrid wurden allein etwa 3000 Stellen und 2000 Krankenhausbetten geopfert, die nun in der Pandemie gefehlt haben. In Spanien war das der zentrale Infektionsherd.
Fast 17.000 Tote hatte allein die Hauptstadtregion, zeigt eine Studie der Vereinigung der Bestattungsunternehmen auf. Sie geht insgesamt von fast 44.000 Toten in Spanien aus. Diese Zahl wird sogar noch vom Statistikamt überschritten, das im Vergleich zum Durchschnitt aus den vier vorhergehenden Jahren von 48.000 Toten spricht. Offiziell gibt Spanien dagegen nur gut 27.000 Tote an.
Privatisierungen des Gesundheitswesens haben die Katastrophe in der Hauptstadtregion mit verursacht
In der Hauptstadtregion war die Lage auch deshalb besonders dramatisch, weil die rechte Volkspartei (PP) dort seit 25 Jahren regiert und ihre neoliberale Politik besonders weit vorangetrieben hat. Das hat massiv dazu beigetragen, dass es zu der "Katastrophe" in Madrid kam, die im Telepolis-Interview Eduardo Fernández kritisiert hatte (Das ist keine Krise, sondern eine Katastrophe). Der Krankenpfleger auf einer Madrider Intensivstation kreidete zum Beispiel auch an, dass ganze Teile privatisierter Krankenhäuser leer standen, während das öffentliche Gesundheitssystem kollabierte und Menschen zum Teil in Gängen auf dem Boden liegen mussten. Statt auf private Ressourcen zuzugreifen, was mit dem von der Zentralregierung dekretierten Alarmzustand möglich war, wurde im Messezentrum Ifema ein teures Nothospital für viel Geld errichtet, statt es ins Gesundheitswesen zu investieren.
Mónica García, Ärztin und Abgeordnete der linken Bürgerbewegung "Más Madrid", zeigte im Regionalparlament auf, was das "Ifema-Wunder" für den Steuerzahler bedeutet. Die Dienste für die "Wäscherei kosteten pro Bett und Tag 45, statt 3,3 Euro in einem normalen Krankenhaus". Wunder gab es nach García für die Freunde der Privatwirtschaft, die auch Millionengeschenke für Versorgung, Reinigung und Instandhaltung eingeheimst haben. Más Madrid hatte schon vor der Krise vorgerechnet, dass Privatisierungen das Madrider Gesundheitswesen über aufgeblähte Kosten um bis zu 3,4 Milliarden Euro verteuert haben und hat Klage beim Rechnungshof eingereicht.
Die PP, die nun im Bündnis mit den rechts-neoliberalen Ciudadanos regiert, das sich zudem von der ultrarechten VOX-Partei dulden lässt, hält aber weiter an dieser Politik fest. Die rechte Präsidentin Isabel Díaz Ayuso ließ auch die befristeten Verträge für die Gesundheitsarbeiter auslaufen, die zur Verstärkung aus dem ganzen Land nach Madrid gekommen waren. Zwischenzeitlich hatte sie zwar nach massivem Druck versprochen, sie bis Dezember zu verlängern, doch die Gewerkschaften und die Beschäftigten erklären, dass dies real nicht passiert. Angeboten würden ohne nur die schlimmsten "Müll-Verträge", die man im ganzen Lande finden könne.
Auch die Privatisierungsbestrebungen der Rechtsregierung gehen weiter. Deshalb fand eine der größten Versammlungen mit etwa 700 Teilnehmern vor dem Krankenhaus Niño Jesús statt. Unterstützt von vielen Anwohnern wurde gegen eine "verdeckte Privatisierung" protestiert. Denn letzte Woche wurde eine Erweiterung beschlossen, die mit privatem Geld durchgeführt werden soll. Das müsse sofort gestoppt werden. Auch deshalb kündigte die Bewegung an: "Am Montag kommen wir wieder."
Gefordert wird auch der Rücktritt der Regierungschefin wegen der Zustände in den Alten- und Pflegeheimen. Dort spielten sich danteske Szenen ab, alte Menschen wurden einfach zurückgelassen. Auf Hilferufe habe die Regionalregierung nicht reagiert, weshalb verschiedene Vereinigungen Ayuso unter anderem wegen fahrlässiger Tötung angezeigt haben.
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