Spanien: Großer Aufschrei zur Verteidigung des öffentlichen Gesundheitswesens

Seite 2: Die Gegenwehr zur Demontage

Die Demos, an der sich immer mehr Menschen beteiligen, beschränken sich inhaltlich längst nicht mehr allein auf das Gesundheitswesen.

Das war noch im vergangenen November der Fall, obwohl die Veranstalter überrascht wurden, wie viele Menschen sich an dem Sternmarsch beteiligt hatten.

In vier Marschsäulen waren Hunderttausende Menschen aus den Stadtteilen ins Zentrum geströmt, um gegen den "Vernichtungsplan" der Ayuso-Regierung zu protestieren.

Die Ärztin Mónica García, zeigt sich begeistert von den "massiven, fordernden und freudigen" Demonstrationen. Schon im November erklärte die Oppositionsführerin und Kandidatin für Más Madrid:

"Es war mit Sicherheit die größte Demonstration gegen eine Entscheidung über die regionale Politik hier in Madrid."

Nach der noch größeren Demonstration kürzlich ätzte sie sarkastisch über Twitter: "Was für Ayuso '50 Boykotteure' sind, sind für den Rest der Welt Hunderttausende von Madrileños und Madrileñas, die ihre Gesundheitsversorgung verteidigen."

Die Ayuso-Regierung hatte, obwohl sie sogar bis zu 250.000 Beteiligte zugegeben hat, stets vom "Scheitern" der Mobilisierungen gesprochen. Alle Parteien links der PP sprachen längst von einem "Misstrauensvotum" der Straße gegen die Regionalregierung. Die beliebte García, deren Partei zuletzt 17 Prozent erhielt, führt die Proteste mit an.

Die Ärztin ist auch deshalb so beliebt, weil sie auch in der Covid-Pandemie nie ihren Posten als Ärztin in der Hauptstadtregion trotz der Tätigkeit im Parlament aufgegeben hatte. García hatte Más Madrid zur zweitstärksten Kraft in der Region gemacht.

Sie will jetzt mit ihren Kollegen und dem Personal im Gesundheitswesen alles dafür tun, um die weitere Demontage des Gesundheitssystems zu stoppen. Wie fatal die Lage zum Teil ist, zeigte sich unter anderem daran, dass Ärzte zum Teil blockweise wegen der Ayuso-Pläne gekündigt haben.

So trat sogar die gesamte Leitung für die Gesundheitsstationen im Südosten der Hauptstadt angesichts des Chaos bei der Wiedereröffnung von Notaufnahmen nach dem Ende der Covid-Pandemie zurück.

Der Umgang mit den Notfallambulanzen, medizinische Versorgung per Videokonferenz

Der berühmte Tropfen, der das Fass in Madrid zum Überlaufen gebracht hatte, war der Umgang mit den Notfallambulanzen. Die sollten nach der Pandemie wiedereröffnet werden. Denn zuvor war das Personal abgezogen und an anderen Stellen im Rahmen der Covid‑Notlage eingesetzt worden. Das Problem war nur, dass kein zusätzliches Personal für die Ambulanzen eingestellt wurde.

Es wurde wieder aus anderen Bereichen abgezogen und real stand nur noch etwa die Hälfte des Personals zur Verfügung, das vor der Pandemie in den Notfallambulanzen tätig war. Ayuso hatte dann die glorreiche Idee, die medizinische Versorgung per Videokonferenz zu leisten.

Wie viele Ärzte gehen auch die Gewerkschaften davon aus, dass hinter dem Vorgehen nicht nur der Ayuso-Regierung der Plan steht, die Bevölkerung durch eine gezielte Unterversorgung im öffentlichen Gesundheitssystems in die Arme von privaten Firmen zu treiben. Von der Hand zu weisen ist das besonders in Madrid nicht.

Denn die Hauptstadtregion verzeichnet das höchste Pro-Kopf-Einkommen im spanischen Staat. Es ist aber die Region, die pro Kopf am wenigsten für die medizinische Grundversorgung ausgibt. Davon wandere zudem die Hälfte des Geldes noch in den privaten Sektor, wird kritisiert.

Politischer Hintergrund

Dass es sich bei den Protesten um ein Ablenkungsmanöver der PSOE handelt, ist falsch, da es die Mobilisierungen auch in Regionen gibt, in denen die Sozialdemokraten regieren oder mitregieren. Hier steht das Baskenland als Beispiel. Auch hier ist die Lage inzwischen so fatal, dass nun auch die spanischen Gewerkschaften gegen die Regionalregierung demonstrieren.

Hier regiert die christdemokratische PNV mit der PSOE. Den Sozialdemokraten stehen die Arbeiterkommissionen (CCOO) sehr nahe, die Arbeiterunion (UGT) ist praktisch ein gewerkschaftlicher Ableger der PSOE.

So war Manel Ferran Mercadé erstaunt, dass alle Gewerkschaften, die üblicherweise untereinander zerstritten sind, zu den Großdemonstrationen am Samstag im Baskenland aufgerufen hatten. Er ist der Sprecher von "SOS Bidasoa" für den Bereich Grundversorgung.

Die Jungen

Seit 35 Jahren arbeitet der Berater der "Spanischen Vereinigung für Familien und Gemeinschaftsmedizin" (semFYC/). "Die Demonstrationen waren ein großer Erfolg", erklärt er gegenüber Telepolis. Ihm gibt aber zu denken, dass sich nicht viele junge Menschen beteiligt haben.

Wohin führt das, wenn junge Menschen nicht so etwas Wichtiges wie das öffentliche Gesundheitswesen verteidigen?

Dass alle Gewerkschaften gemeinsam mit Rentnern, sozialen Organisationen und Patienten gegen die "brutale finanzielle Ausblutung" auf die Straße gehen, die seit einigen Jahren auch im relativ reichen Baskenland zu beobachten ist, sagt für ihn viel über den geballten Unmut aus.

Der autoritäre Stil habe sogar die spanischen Gewerkschaften, die statt auf soziale Konfrontation eher auf Sozialpartnerschaft setzen, ebenfalls dazu veranlasst, die "Verhandlungen" verlassen. Die Vertreter der Regierung würden dort nur Maßnahmen verkünden, es werde nicht diskutiert, die Gewerkschaften sollten die Maßnahmen nur abnicken.

Die Basisversorgung leide besonders unter einer "Zentralisierungsmode". Früher habe sie ein eigenes Budget gehabt. Nun gäbe es für beide Säulen, Krankenhäuser und Gesundheitszentren, nur noch ein Budget. Viel Geld fließe nun in das "Fass ohne Boden" der Hospitäler. Früher habe Spanien mit relativ wenig Geld über eine gute Grundversorgung verfügt.

Doch die werde zusehends geschliffen. Das führe dann dazu, dass teure Krankenhausaufenthalte zunehmen. Da eigentlich einfach zu behandelnde Krankheiten und Verletzungen nicht sofort in der primären Gesundheitsversorgung richtig behandelt würden, verschlimmern sie sich bisweilen und das führe zu steigenden Kosten.

Geld allein sei aber nicht die Lösung, verweist der Arzt, der 35 Jahre in der primären Gesundheitsversorgung tätig war, auf die Unterschiede zwischen dem Baskenland und Katalonien.

In seiner katalanischen Heimat hatte er die Mehrzahl der Jahre gearbeitet, bevor er ins Baskenland gezogen ist. Während das Baskenland überdurchschnittlich viel Geld für das Gesundheitswesen ausgibt, kann das unterfinanzierte Katalonien nur deutlich weniger ausgeben.

"Klar ist, dass in Katalonien viel weniger Geld ausgegeben wird, aber die Resultate sind sicher nicht schlechter", erklärt er.

Es fehlt ihm in seiner neuen baskischen Heimat an der Debatte. Die Beschäftigten im Gesundheitswesen würden im Baskenland von der Politik nicht gehört, während in Katalonien eher auf Augenhöhe debattiert werde. Deshalb würde im Baskenland viel Geld unnütz ausgegeben, auch für Beratung und Consulting.

Es werde auch von irgendwem und irgendwo Material bestellt, dass die "Ärzte in den Schützengräben" nicht angefordert haben. Niemand wisse, für was das gut sein soll. Er zweifelt daran, dass die höheren Ausgaben hier tatsächlich bei den Patienten ankommen.

Der semFYC-Berater macht auch deutlich, dass es faktisch keinen Ärztemangel gibt. Spanien bilde viele Ärzte aus. Doch viele wandern in private Sektoren oder ins Ausland ab, da im öffentlichen Sektor schlechte Arbeitsbedingung, viel Stress und eine schlechte Bezahlung zusammenkommen.

Das wollen sich viele junge Leute nicht antun.

Privatversicherungen boomen inzwischen auch im Baskenland, wo sie bisher vergleichsweise wenig vertreten waren. Die seien noch billig, da die Unternehmen bei Komplikationen oder in teuren Fällen die Patienten dann doch wieder ans öffentliche Gesundheitswesen abgeben.

Die machen nur deshalb trotz niedriger Tarife gute Gewinne, weil das Gesundheitssystem hier noch funktioniert.

Was eine Privatversicherung kosten würde, die zum Beispiele auch Krebsbehandlungen abdeckt, zeige sich in den USA, wo sie monatlich etliche Hundert Euro kosteten.