Spanien: "Rebellion der Bürgermeister" gegen die Regierung
Dass sie nun sogar ihre Rücklagen der Zentralregierung übergeben sollen, stößt quer durch alle Parteien im Land auf enormen Widerstand
Angesichts der schweren Wirtschaftskrise, die Spanien wie kaum ein anderes europäisches Land trifft, sucht man in der Zentralregierung in Madrid händeringend nach Geld. Da fielen den Sozialdemokraten (PSOE) die Rücklagen und Haushaltsüberschüsse ein, die viele Städte und Gemeinden gebildet haben.
Die sollen sich nach konservativen Schätzungen auf etwa 15 Milliarden Euro belaufen, es könnte aber auch deutlich mehr sein. Dieses Geld soll, so sieht es ein vergangene Woche im Kabinett verabschiedetes Dekret vor, "freiwillig" als "Kredit" an die Zentralregierung fließen, die es den Gemeinden innerhalb von zehn Jahren ab 2022 zurückerstatten will. Mit der Veröffentlichung im Gesetzesblatt wurde die Rückzahlungsfrist sogar weiter auf 15 Jahre gestreckt, was in der breiten Öffentlichkeit noch gar nicht wahrgenommen wurde.
Schon gegen das im Kabinett verabschiedete Dekret formierte sich schnell Widerstand, der sich quer durch alle Parteien zog. Denn auch bei der der Rückzahlung der "Kredite" irgendwann soll das Geld nur zweckgebunden verwendet werden können. Auch darüber erklärt sich der sehr ungewöhnliche Vorgang, dass sich Bürgermeister verschiedenster Parteien gegen das Vorhaben stellen.
Und dass die dreifache Menge an Geld nach Madrid fließen soll, damit dort als Bonbon ein Hilfsfonds im Umfang von fünf Milliarden für darbende Gemeinden aufgelegt wird, erschließt sich eben in allen politischen Lagern den Bürgermeistern nicht.
In einem gemeinsamen Schreiben forderten zunächst elf Bürgermeister von großen Städten aus neun verschiedenen Parteien, dass sie endlich über ihre Gelder frei verfügen und sie für "Projekte einsetzen zu dürfen", die jede einzelne Gemeinde für sinnvoll erachtet. Es seien Ersparnisse der jeweiligen Stadt und Provinz und müssten auch dort ausgegeben werden. Statt Geld in Richtung Madrid abzuziehen, sollte dort stattdessen ein ähnlich großer Fonds zur Unterstützung von Gemeinden aufgelegt werden, wie es ihn für die Autonomen Regionen im Umfang von 16 Milliarden Euro schon gibt.
Unter den Unterzeichnern des Briefs findet sich der Bürgermeister der von der rechten Volkspartei (PP) regierten Hauptstadt Madrid genauso wie der von der Republikanischen Linken Kataloniens (ERC) regierten Lleida, deren Parteien sich sonst spinnefeind sind.
Es findet sich auch der Bürgermeister von Bilbao, dessen Baskisch-Nationalistische Partei (PNV) die Regierung von Pedro Sánchez stützt oder der Bürgermeister von Valencia von der linken Regionalpartei Compromis. In der Ablehnungsfront fehlen Bürgermeister der regierenden Sozialdemokraten (PSOE). Dabei lehnen auch viele von ihnen unter der Hand das Vorhaben ab. Sie machen das aber nicht öffentlich, wie Narciso Romero aus San Sebastián de los Reyes.
Der Widerstand
Auch im Umfeld des PSOE-Koalitionspartners Unidas Podemos (UP) wächst der Widerstand weiter. Mit dem Bürgermeister von Cádiz, dessen Adelante Andaluci sich aber ohnehin von Podemos gelöst hat, lehnt nun auch die Bürgermeisterin Barcelonas Ada Colau das Vorhaben ab. Das geschah allerdings erst nach massiver Kritik in Katalonien. Schließlich haben auch die UP-Minister nicht gegen das Dekret gestimmt und es war UP, die mit einer Enthaltung in der Föderation spanischer Gemeinden und Provinzen (FEMP) erst eine Stimmengleichheit ermöglicht hatte.
So kam dem PSOE-Vorsitzenden und Bürgermeister von Vigo eine zweite Stimme zu. Und Abel Caballero gab schließlich den Ausschlag in der FEMP für das Vorhaben. Denn eine Mehrheit gibt es in der Föderation nicht. Nur PSOE-Vertreter stimmten zu und das zeigte, wie verlassen die Regierungspartei auch in dieser Frage ist. Statt zurückzurudern und den Dialog zu suchen, baute die Regierung Sánchez ihr zweifelhaftes Dekret aber darauf auf.
Wegen der "Rebellion der Bürgermeister" dürfte - zu der Ansicht kommt auch die PSOE-nahe Zeitung El País - das Dekret zum Rohrkrepierer und zur Niederlage der Regierung werden, wenn es nach der Sommerpause im Parlament bestätigt werden muss. Denn nun hat auch Colau angekündigt, die Überschüsse nicht an die Zentralregierung abzugeben.
Sie argumentiert nun sogar ganz ähnlich wie der katalanische Präsident Quim Torra und die Vereinigung katalanischer Gemeinden (AMI). Torra kündigte zudem alle notwendigen juristischen Schritte gegen die "einseitige Aneignung" lokaler Ressourcen an.
"Das Unverständnis eines zentralistischen Staates"
Colau deren Formation En Comu sogar einen Ministerposten stellt, droht nun offen ihrer eigenen Regierung mit einer Niederlage. Sie kündigte an, dass auch ihre sieben Abgeordneten gegen dieses Dekret stimmen werden. "Wir brauchen Finanzierung, doch wir stehen dem Unverständnis eines zentralistischen Staates gegenüber", erklärte Colau. Man brauche die Rücklagen, die sie zwischen 165 und 230 Millionen Euro beziffert. Sie kündigte sogar an, dass man gegen die bisherigen Bestimmungen "ein Defizit" ausweisen, also Schulden aufnehmen werde. Sie geht von Mindereinnahmen angesichts des eingebrochenen Tourismus im Umfang von 300 Millionen aus.
Die rechte PP versucht derweil, sich an die Spitze des Unmuts zu setzen, der aber vor allem aus dem linken Lager kommt. Das ist verständlich, schließlich basiert der gesamte Vorgang auf dem Gesetz zur Haushaltsstabilität, dass die PP 2012 an der Regierung verabschiedet hatte. Es zwingt auch unter der sogenannten Linksregierung die Gemeinden nun weiter eine Ausgabedisziplin auf.
Es erlaubt ihnen nicht, Schulden zu machen und nicht einmal die eigenen Rücklagen und Haushaltsüberschüsse dürfen sie in der massiven Krise jetzt einsetzen. Deshalb ist es nur verständlich, dass zum Beispiel der linksgrüne Bürgermeister der kleinen Gemeinde Deià auf Mallorca von "Erpressung" aus Madrid spricht und aus der FEMP ausgetreten ist.
Lluis Apesteguia wirft der Vereinigung vor, im Dienst einer Partei zu stehen. Wie seine Regionalpartei PI fordert mit MES auch eine zweite Regionalpartei die von ihr geführten Gemeinden auf, aus der FEMP auszutreten.
Die Sozialdemokraten in Madrid hatten erneut die Chance, jetzt zu zeigen, was progressive Politik sein kann. Es war der Zeitpunkt gekommen, ein absurdes Austeritäts-Gesetz der rechten Vorgänger mit einem breiten Konsens zu schleifen. Stattdessen versuchen sie im Alleingang, ohne Unterstützer, es per Dekret nur halbherzig zu reformieren und Podemos versucht, auch in dieser Frage einen zweifelhaften Mittelweg zu gehen.
Man kennt das schon von der Arbeitsmarktreform oder dem Maulkorbgesetz. Versprochen wurde von der "Linksregierung", beide PP-Gesetze zu streichen. Doch bisher wurden die nicht einmal reformiert, stattdessen kommen sie in der Coronakrise massiv zum Einsatz, um zu kündigen und Geldstrafen zu verhängen.
Statt darbenden Gemeinden jetzt endlich die Verfügungsgewalt über ihre lokalen Ersparnisse zu geben, damit die nah an den Bedürfnissen der Bevölkerung Gelder eingesetzt werden können, will man das Geld der Gemeinden in Madrid zentralisieren und bestenfalls ein Drittel jetzt zurückfließen lassen.
Zudem will man den Städten bei der Rückzahlung in den nächsten 15 Jahren auch noch vorschreiben, wie sie die Gelder auszugeben haben. Geschaffen werden soll - wie an anderen Stellen -, nur ein weiteres bürokratisches Monster, statt real denen unter die Arme zu greifen, die jetzt Hilfe benötigen.