Spanien: Vorwurf des "Justizputsches"
- Spanien: Vorwurf des "Justizputsches"
- EU-Kommission und die Rechtsstaatlichkeit in Spanien
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Thema für die EU-Kommission? Knappe Mehrheit im höchsten Gericht – mit Verfassungsrichtern ohne Mandat – hat erstmals ein Gesetzesvorhaben verboten und sichert damit eine politische Vorherrschaft über die Justiz ab.
Es hat sich abgezeichnet, dass die Volkspartei PP, die aus engen Verbindungen zum Franquismus entstand, alles tun würde, um ihre Vorherrschaft in der spanischen Justiz zu halten. Telepolis hatte schon über den sich abzeichnenden "golpe", der in Spanien für Putsch oder Staatsstreich steht, berichtet.
Nun hat das Verfassungsgericht in der Sache mit dem Hashtag #GolpeDeEstadoJudicial (Juristischer Staatsstreich) erstmals in ein Gesetzgebungsverfahren im spanischen Parlament eingegriffen, um eine Gesetzesreform zu verbieten.
Auch der Professor für Verfassungsrecht an der Universität von Sevilla, Joaquín Urias, der schon seit elf Jahren das "Abdriften des Verfassungsgericht" kritisiert, twittert: "Wir wissen seit letzter Nacht, dass wir ein Organ haben, dass sich Verfassungsgericht nennt, aber wir wissen nicht, ob wir noch eine Verfassung haben."
Er erklärt, dass die hauchdünne Mehrheit von sechs gegen fünf Richter im höchsten Gericht mit diesem Schritt einen "Angriff" auf die Verfassung ausgeführt haben. Allein steht er damit nicht.
Der ebenfalls für seine Kritik an der spanischen Justiz bekannte Javier Pérez Royo, der ihr sogar schon einen "juristischen Krieg" gegen Katalonien vorgeworfen hatte, ist entsetzt über die Vorgänge.
Der andalusische Verfassungsrechtsprofessor wirft vor allem dem Verfassungsgerichtspräsidenten ein "Delikt" vor. Royo ist sich wiederum einig mit dem ehemaligen Richter am Obersten Gerichtshof, José Antonio Martín Pallín, der der Mehrheit der Verfassungsrichter einen kriminellen "Amtsmissbrauch" vorwirft.
Blockade der Erneuerung der Justiz
Der Kongress hatte am vergangenen Freitag, wie von Telepolis berichtet, mit großer Mehrheit verschiedene Reformen mit klarer Mehrheit angenommen. Darunter war auch die offizielle Streichung des absurden Aufstands-Paragraphen, den es praktisch sonst nirgends in Europa gibt.
Es sollte aber auch die Neubesetzung der Richter im Verfassungsgericht neu geregelt werden. Denn die Volkspartei (PP) blockiert die Erneuerung seit Jahren, um ihre Vormachtstellung in der Justiz zu erhalten.
Um die Blockade aufzulösen, sah die Reform vor, die Richter fortan nicht mehr mit einer Drei-Fünftel-Mehrheit zu bestimmen, sondern künftig mit einfacher Mehrheit, um einer Partei wie der PP die Blockademöglichkeit zu nehmen.
Wie das politisierte Verfahren zur Ernennung der Richter in Spanien abläuft, in dem die beiden großen Parteien eigentlich stets die Verfassungsrichter ausdealen, hat Axel Schönberger hier für deutsche Leser aufgedröselt.
Zwei der Verfassungsrichter ohne Mandat
Schon seit einem halben Jahr haben zwei der Verfassungsrichter nach mehr als neun Jahren im Amt kein Mandat mehr, was verfassungswidrig ist. Darunter befindet sich eben auch der Gerichtspräsident Pedro González-Trevijano. Er und ein ebenfalls von der PP ernannter Kollege haben mit ihren Stimmen dafür gesorgt, dass Befangenheitsanträge gegen sie mit 6 zu 5 Stimmen abgelehnt wurden.
Die Anträge hatten Podemos und die regierenden Sozialdemokraten (PSOE) gestellt. Aber nicht nur in diesem Fall haben die eindeutig befangenen Richter über sich selbst entschieden.
Sie haben dann auch mit der knappsten Mehrheit dafür gesorgt, dass dem spanischen Parlament erstmals untersagt wird, ein Gesetz zu debattieren und es in der zweiten Lesung am Donnerstag im Senat zu beschließen.
Das ist ein ungeheuerlicher Vorgang, denn auch damit haben sie über sich selbst und zu ihren Gunsten entschieden, um ein Gesetzesvorhaben zu verhindern, das dafür sorgen sollte, die verfassungsmäßige Ordnung wiederherzustellen und für eine Erneuerung der Richter und damit für ihre Ablösung zu sorgen.
Es kommt aber noch besser. Es war genau der Gerichtspräsident ohne Mandat, der auf Eilantrag der rechten Ultras schon am Montag eiligst ein Treffen des Verfassungsgerichts einberufen hatte.
Das Gericht steht stets Gewehr bei Fuß und entscheidet schnell, wenn es um Vorhaben geht, die den spanischen Nationalisten unter den Nägeln brennen.
So wollten sie schon am Freitag die Abstimmung im Kongress verhindern, um die Gewaltenteilung und die Souveränität des Parlaments auszuhebeln.
Mit der Entscheidung des Verfassungsgerichts wurden zwei zentrale Pfeiler einer Demokratie vor der endgültigen Entscheidung morgen im Senat umgestürzt. Sollte ein beschlossenes Gesetz verfassungswidrig sein, kann das Gericht auf Basis einer Klage das im Nachhinein feststellen. Doch es wurde nun erneut präventiv tätig, weil sonst die PP die Kontrolle über das höchste Gericht verloren hätte.
Die Vorgänge in der spanischen Justiz sind seit langem hanebüchen Seit fast fünf Jahre blockiert die PP auch den Kontrollrat für Justizgewalt (CGPJ). Der ist seither nur noch geschäftsführend im Amt, was in der Verfassung ebenfalls nicht vorgesehen ist.
Der ebenfalls von rechten Richtern dominierte Rat ernennt seither immer wieder höchste Richter, um die rechte Vormachtstellung in der Justiz für viele Jahre zu zementieren.