Spanische Wahlkommission führt "juristischen Krieg" gegen Katalanen
Obwohl es kein rechtskräftiges Urteil gibt, will ein administratives Organ den katalanischen Regierungschef absägen und sich sogar über das Europaparlament hinwegsetzen
Kurz bevor Spaniens geschäftsführender Regierungschef Pedro Sánchez am Samstag im Parlament seine Rede hielt, um sich erneut als Regierungschef zu bewerben, hat der Nationale Wahlrat (JEC) einen Torpedo auf seine Bemühungen abgeschossen.
Denn wie erwartet hatte zuvor die Republikanische Linke Kataloniens (ERC) entschieden, sich im zweiten Wahlgang am Dienstag zu enthalten. Damit könnte Sánchez im zweiten Wahlgang gewählt werden, wenn die Partei bei dieser Entscheidung bleibt. Darauf hatten sich Sánchez Sozialdemokraten (PSOE) und die ERC verständigt.
Die ERC steht nun aber massiv unter Druck der eigenen Basis und zudem unter dem der gesamten katalanischen Unabhängigkeitsbewegung. Denn der Nationale Wahlrat (JEC) hat sich angemaßt, nicht nur den amtierenden katalanischen Regierungschef Quim Torra des Amts zu entheben, zudem erklärte der Wahlrat auch, dass der inhaftierte ERC-Chef Oriol Junqueras sein Mandat als Europaparlamentarier nicht aufnehmen dürfe.
Damit setzt sich der JEC, der ein rein administratives spanisches Organ ist, über höchste spanische und internationale Gerichte hinweg. Nicht zuletzt hatte kürzlich der Europäische Gerichtshof in Luxemburg (EuGH) entschieden, dass Spanien den ERC-Chef illegal durch die Inhaftierung daran hindert, sein Mandat in Straßburg auszuüben.
Die Causa Torra
Im Fall von Torra ist die Lage ebenfalls sehr klar. Nach den Parlamentsstatuten kann allein das Parlament einen Präsidenten absetzen, weshalb Torra auch die Absetzung durch den JEC nicht anerkennt und einer Parlamentssitzung vorstehen will. Die hat Parlamentspräsident Roger Torrent auch sogleich angesetzt, um über die Auswirkungen der Entscheidungen zu debattieren.
Bei der Einschätzung können sich Torra und der trotz EuGH-Urteil weiter inhaftierte Junqueras auch auf herausragende spanische Juristen stützen. Der emeritierte Richter am Obersten Gerichtshof, Martín Pallín, hatte ohnehin stets erklärt, dass Torra nie hätte verurteilt werden dürfen.
Da dieses Urteil wegen angeblicher Ungehorsamkeit gegen Torra nicht einmal rechtskräftig ist, setzt sich der JEC sogar über den Obersten Gerichtshof hinweg, der über Torras Berufung entscheiden muss. Das haben auch fünf Mitglieder des Wahlrats kritisiert, die zunächst das Urteil über den Widerspruch von Torra abwarten wollten und den JEC-Beschluss nicht mittragen.
Da Torra nie hätte verurteilt werden dürfen, dürfe der Wahlrat Torra auch die Anerkennung als Parlamentarier nicht aberkennen, erklärt Pallín. "Das ist ein Beschluss der außerhalb der Legalität steht", so der Richter, der damit klar macht, wer massiv gegen die spanische Rechtsordnung verstößt. "Es wurde ein Artikel angewandt, wonach eine Person Ungehorsamkeit gegen juristische Entscheidungen oder Anordnungen eines höherstehenden Organs ausüben muss."
Doch, wie er stets erklärt, ist der JEC weder ein Justizorgan, noch kann er richterliche Beschlüsse fällen oder steht in der Hierarchie über einem Präsidenten einer Autonomen Gemeinschaft. "Diese Entscheidung verblüfft mich wirklich", fügt er im Interview hinzu.
Die Causa Junqueras
Der renommierte Verfassungsrechtler Javier Pérez Royo hatte längst das Vorgehen des JEC als "Unsinn" bezeichnet. Auch der andalusische Professor weist darauf hin, dass der Wahlrat kein juristisches Organ ist und deshalb keine Kompetenzen über gewählte Vertreter haben kann.
Im Fall Junqueras sei der "Unsinn sogar noch größer". Da sein Status als Europaabgeordneter seit dem 13. Juni anerkannt ist, kann er folglich strafrechtlich so lange nicht verfolgt werden, bis ein Antrag an das Europäische Parlament gerichtet wird und dieses darüber entscheidet.
Er hat längst auch deutlich gemacht, dass Junqueras deshalb auch nie hätte verurteilt werden dürfen. Für ihn ist das Urteil gegen die katalanische Politiker wegen eines angeblichen Aufruhrs "nichtig". So wie in Europa Junqueras die Immunität zugesprochen wurde, werde in Europa auch dieses Urteil gekippt, ist er überzeugt. Es werde nur verzögert, aber nicht verhindert, dass "das Urteil vom 14. Oktober für nichtig erklärt wird", schreibt Pérez Royo.
Und da der Andalusier in all den Jahren mit seinen Einschätzungen Recht behalten hat, darf hier seine Einschätzung über die Entscheidung des Wahlrats nicht fehlen, die er klar als "juristischen Krieg der übelsten Art" bezeichnet. Wenn die Glaubwürdigkeit des Wahlrats in Zweifel gerät, "dann wird die Glaubwürdigkeit in das demokratische System in Zweifel gezogen", schreibt er nun in einem Beitrag am Samstag.
Fakt ist, dass der Wahlrat längst schwer angezweifelt wird, weil auch er wie die Justiz stark politisiert ist und längst wie ein Zensurrat auftritt. Man beachte, dass Torra aus dem Amt gejagt werden soll, weil er ein Transparent zur Meinungsfreiheit und gelbe Schleifen zur Frage der inhaftierten Katalanen in einem Wahlkampf nicht sofort abhängen ließ. Das sind aber Symbole, die keiner Partei zugeschrieben werden können. Das Ganze spielte sich zudem noch vor dem offiziellen Wahlkampf ab. Damit will man Torra des Amtes entheben, noch dazu ohne rechtskräftiges Urteil.
Und dieser Wahlrat wollte auch illegal verhindern, wie sogar spanische Gerichte geurteilt haben, dass der ehemalige katalanische Präsident Carles Puigdemont Kandidat für die Europaparlamentswahlen sein kann, worauf der Verfassungsexperte auch in seinem Beitrag hinweist.
Es ist bekannt, dass auch daraus ein Rohrkrepierer wurde. Puigdemont durfte kandieren und nach dem Beschluss des EuGH zum ERC-Chef Junqueras sitzt er inzwischen auch als Abgeordneter im EU-Parlament, was Spanien im Fall von Junqueras weiter verhindert.
Unverhältnismäßiges Agieren
Royo führt in seinem Beitrag zudem aus, dass der Nationale Wahlrat für sein Vorgehen gegen Junqueras und Torra sogar einen Beschluss der katalanischen Wahlbehörde kippt. Die hatte sich nämlich, in Anwendung auf die aktuelle Rechtslage, darauf bezogen, dass ein Präsident nur des Amtes enthoben werden kann, der nach Artikel 6.2 b, des LOREG wegen "Rebellion" oder "Terrorismus" verurteilt wurde.
In diesem Fällen benötige es nach einer Reform kein rechtskräftiges Urteil mehr, mit der baskische Politiker illegal ausgeschlossen wurden. Urteile des Europäischen Menschenrechtsgerichtshof zeigen zudem längst, dass auch das ein höchst fragwürdiges Vorgehen ist, das mit unfairen Verfahren ermöglicht wurde.
Der Verfassungsrechtler führt aus, dass es sich dabei klar um "Ausnahmen" handelt. Die darauf anzuwenden, dass gelbe Schleifen an einem Balkon nicht abgenommen wurden, sei unverständlich. "Die Abwesenheit von Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit sticht ins Auge", erklärt der Professor und weist darauf hin, dass gegen den JEC-Beschluss Widerspruch eingelegt werden kann.
"Es ist ein besorgniserregendes Zeichen, dass der JEC fähig war, diese Entscheidung zu treffen. Wenn der Nationale Wahlrat beschließt, sich vollständig und ohne Einschränkungen in einen 'juristischen Krieg' zu begeben, ist die Glaubwürdigkeit des Garantieinstruments unseres Wahlsystems auf eine nicht leicht zu reparierende Weise gebrochen."
ERC hält an Sánchez fest
Gegen das völlig undemokratische und ungesetzliche Vorgehen spanischer Behörden haben schon am späten Freitag Tausende Menschen in Katalonien demonstriert. Der Platz vor dem Regierungssitz in Barcelona war dicht mit Menschen besetzt. Von der ERC wurde verlangt, Sánchez nicht durch Enthaltung am Dienstag zum Regierungschef zu machen.
Es könne unmöglich angehen, dass er gegen den Beschluss des EuGH den ERC-Chef weiter in Haft hält und dessen Immunität aushebelt. Die große zivilgesellschaftliche Organisation Katalanischer Nationalkongress (ANC) ruft zu weiteren Protesten auf, um endlich die Unabhängigkeit von Spanien durchzusetzen. Die ANC-Präsidentin Elisenda Paluzie lehnt das Abkommen ab, dass ERC und PSOE zur Regierungsbildung geschlossen haben, da es ein Risiko für den Unabhängigkeitsprozess darstelle.
Nach einer Sitzung der Parteiführung am Samstag hält die ERC allerdings bisher weiter daran fest, Sánchez zum Regierungschef zu machen. Sie begründet das auch damit, die Schläge der "Kloaken des Staates" abzuwehren.
Sie hält sich dafür am Versprechen von Sánchez fest, einen Dialog zu führen. "Wenn sie geglaubt haben, dass die ERC wegen dieser Operation eine Möglichkeit vorbeiziehen lassen würde, den Staat zu Verhandlungen zu bringen", dann hätten sie sich getäuscht. Der ERC-Vizepräsident Pere Aragonès will am Einsatz für eine politische Lösung festhalten und sich nicht zum verlängerten Arm eines Plans machen, den die spanische Rechte und Ultrarechte ausgearbeitet hat, um den Dialog in Katalonien zu torpedieren.