Spanien: Aufstands-Paragraf wird reformiert

Plenarsaal, spanisches Parlament. Archivbild (2014, anlässlich des Besuches des mexikanschen Präsidenten): Presidencia de la República Mexicana/CC BY 2.0

Alle Seiten in Spanien werfen sich gegenseitig einen "Staatsstreich" vor, da der Straftatbestand "Aufruhr" offiziell gestrichen werden soll. Auch die längst fällige Justizreform sorgt für Spannungen. Die Rechten fürchten die Reform.

Die spanische Regierung will den Straftatbestand, für den mehrere katalanische Politiker zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt wurden, abschaffen und die Justiz reformieren. Der Tumult im Parlament war ungewöhnlich.

Unwürdiges Schauspiel

"Vor 41 Jahren wollte die Rechte eine Plenarsitzung des Kongresses und auch die Demokratie über die Guardia Civil stoppen", erinnerte der Sprecher der spanischen Sozialdemokraten (PSOE), Felipe Sicilia, am Donnerstag vom Rednerpult im Parlament aus an den Putschversuch 1981.

Damals hatte die Guardia Civil bewaffnet das Parlament gestürmt und in den Straßen im Land fuhren die Panzer auf. "Heute, meine Damen und Herren, wollte sie das erneut versuchen, nun über die (Richter-)Togen", erklärte er mit zitternder Stimme.

Derweil war das Geschrei von den Bänken der Rechtsparteien groß, die immer wieder "Schande, Schande" schrien und nach "Patxi" riefen. Den Parlamentssprecher Patxi López bezeichneten sie lautstark als "Feigling". Sie kritisierten auch scharf, dass Regierungschef Pedro Sánchez nicht einmal anwesend war.

Dass ein Regierungschef bei einem wichtigen Vorhaben seiner Regierung nicht im Parlament ist, ist genauso unwürdig wie die Tatsache, dass nicht einmal der Parlamentssprecher das Gesetzesvorhaben verteidigt hat.

Versuche, die Abstimmung zu verhindern

So boten schon die Sozialdemokraten ein unwürdiges Schauspiel, das von rechten bis ultrarechten Parteien noch übertroffen wurde. Die postfaschistische Volkspartei (PP), die von Franco-Ministern gegründet wurde und die sich vom Putsch gegen die Republik 1936 und den Jahrzehnten der Franco-Diktatur nie distanziert hat, hatte versucht, über die Justiz eine für den frühen Abend geplante Abstimmung im Kongress zu verhindern.

Das schlug zwar fehl, obwohl sich das von PP-Anhängern dominierte Verfassungsgericht eilig auf Antrag der Partei zusammengesetzt hatte, aber die Angelegenheit bleibt politisch sehr brisant. Die Kuh ist noch nicht vom Eis.

Die institutionelle Krise im Land spitzt sich sogar weiter zu, denn eine definitive Entscheidung darüber, ob unter anderem über die Reform des Aufruhr-Paragrafen und über die Neubestimmung des Verfahrens zur Auswahl von Richtern debattiert und abgestimmt werden darf, ist noch nicht gefallen.

Mehrheiten

Das Verfassungsgericht hat die Entscheidung auf den Montag vertagt. Zwischenzeitlich erhielt das Gesetz aber eine deutliche Mehrheit mit 184 Stimmen, da sogar Parteien wie die baskische Linkskoalition EH Bildu angesichts der Blockadeversuche für das Gesetz stimmte, obwohl sie eine Enthaltung angekündigt hatten.

Da die absolute Mehrheit bei 176 Stimmen liegt, hatten die Rechten keine Chance, auf demokratischem Weg das Gesetz zu blockieren. Die ultrarechte Vox verließ sogar den Saal vor der Abstimmung. Die PP (Schwesterpartei der CDU) und die ultranationalistische Ciudadanos-Partei (Schwesterpartei der FPD) verweigerten sich der Abstimmung, so gab es nur 64 Gegenstimmen und eine Enthaltung.

Die Ultras versuchen aber weiter, das Vorhaben der Regierung aus Sozialdemokraten (PSOE) und Linkskoalition Unidas Podemos über die stark politisierte Justiz zu verhindern.

Das Verfassungsgericht könnte der Mehrheit im Land noch in die Parade fahren, bevor das Gesetz definitiv am kommenden Donnerstag im Senat beschlossen wird.

Vormachtstellung der Rechten in der Justiz

Auch wenn sich die Rechten an der Frage hochziehen, dass der "Aufruhr"-Paragraf, den es in der Mehrzahl der EU-Länder nicht gibt, reformiert wird: Ihnen ist vor allem Dorn im Auge, dass die Vormachtstellung der PP in der Justiz aufgebrochen werden soll.

Sowohl im Verfassungsgericht, im Obersten Gerichtshof und im Kontrollrat für Justizgewalt, der seit vier Jahren obsolet ist, haben sich PP-Anhänger eingegraben. Sie verhindern seit vier Jahren die Erneuerung, weil sie dann die Kontrolle verlieren würden und wichtige Vorhaben der Regierung nicht weiter über die Justiz kippen könnten.

Spanische Rechtsstaatlichkeit im Zweifel

Der Vorgang ist so weit verkrustet, dass sogar die EU-Kommission in Brüssel besorgt ist und mit Sanktionen droht, weil nun auch in Brüssel die spanische Rechtsstaatlichkeit angezweifelt wird.

Der Besuch des EU-Justizkommissars Didier Reynders brachte kürzlich keinen Durchbruch. Weiter versuchen die Rechten die von ihr kontrollierte Justiz dazu zu benutzen, um zu verhindern, dass die Blockade aufgebrochen werden kann.

Der Vorgang ist komplex. Geändert werden soll die Ernennung der Verfassungsrichter, die Neubestimmung etlicher Richter steht seit langem aus. Dafür ist bisher eine Drei-Fünftel-Mehrheit nötig. Über die rechte Mehrheit im Wahlgremium konnte deshalb die Wahl progressiverer Richter erfolgreich verhindert werden.

Da das Verfassungsgericht aber auch wieder zentral an der Besetzung der Richter im Kontrollrat (CGPJ) mitwirkt, ist dessen Erneuerung schon seit vier Jahren blockiert. Das Verfassungsgericht agiert hier gegen die Verfassung, denn dort ist ein geschäftsführender CGPJ nicht vorgesehen.

Der macht unter rechter Führung aber einfach weiter wie gehabt, ernennt immer neue Richter und zementiert so die rechte Vormachtstellung in der Justiz auf lange Zeit. Die kann der Regierung immer wieder bei wichtigen Vorhaben in die Parade fahren.

Allerdings haben sich die Sozialdemokraten selbst ins Knie geschossen, da sie es in Katalonien mitgetragen haben, dass genau dieses politisierte Verfassungsgericht dem katalanischen Parlament untersagt hat, über Vorhaben zu debattieren und abzustimmen. Das war die Steilvorlage. Der Bumerang eines undemokratischen Vorgehens kommt nun zurück und könnte sie empfindlich treffen.

Da sich die Katalanen darüber hinweggesetzt haben, wurde unter anderen auch die ehemalige Parlamentspräsidentin Carme Forcadell, wegen angeblichem Aufruhr und Veruntreuung zu einer langen Haftstrafe verurteilt.