Spaniens Rechtsstaatlichkeit: Jetzt zeigt auch Brüssel Zweifel
EU-Justizkommissar Reynders fordert von Madrid nicht nur Aufklärung über die Ausspähung von Politikern, sondern besonders die Erneuerung des wichtigen Justiz-Kontrollrats.
Seit vier Jahren blockiert die rechte Volkspartei (PP) in Spanien schon die Erneuerung des für das Justizwesen im Land besonders wichtigen Justiz-Kontrollrats CGPJ (Consejo General del Poder Judicial, Generalrat der rechtsprechenden Gewalt). Inzwischen ist man auch in der EU-Kommission in Brüssel über die außergewöhnliche Lage besorgt.
Die Ernennung von hochrangigen Richtern
Nachdem die EU-Kommission lange schweigend dem undemokratischen spanischen Treiben zugeschaut hat, ist EU-Justizkommissar Didier Reynders vergangene Woche nach Madrid gereist. Er hatte dort bis zum Wochenende Druck auf eine Erneuerung des CGPJ gemacht. Er hat zudem eine Reform des Gesetzes gefordert, über das die Ernennung von hochrangigen Richtern geregelt wird.
Er hatte zuletzt auch, "so schnell wie möglich", von der sozialdemokratischen Regierung schriftlich Aufklärung über die sehr umfangreiche Spionage mittels der Pegasus-Spyware gefordert. Damit wurden vor allem katalanische Politiker und Aktivisten ausgespäht, wie auch deren Anwälte und Sympathisanten. Wie Telepolis berichtet hat, ist bisher nur die Spitze des Eisbergs bekannt.
Für mehr Aufklärung will nun auch die für die Pegasus-Spionage zuständige Kommission im Europaparlament (Pega) schaffen. In einem Brief hat sie von der Europol-Direktorin Catherine de Bolle gefordert, die Vorgänge eben nicht nur in Ungarn, Polen und Griechenland, sondern auch in Spanien aufzuklären.
Pega stellt heraus, dass der unerhörte Einsatz Spy-Software "Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und den Respekt vor Grundrechten" bedrohe wie auch die Cybersicherheit der Europäischen Union. Erinnert wird auch daran, dass die Europäische Polizeibehörde die Befugnis habe, Ermittlungen zu kriminellen Handlungen in einzelnen Staaten einzuleiten, die die gesamte Europäische Union betreffen können.
Vor seinem Besuch in Spanien warnte EU-Justizkommissar Reynders:
"Wir werden alle Instrumente gegen Spanien einsetzen, wenn es keine Erneuerung des CGPJ und einer Reform gibt."
Angekündigt hatte der Justizkommissar dies bereits im Sommer. Er schloss damit auch ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Spanien nicht aus, wie es wegen der Justizreform gegen Polen angestrengt wurde. Es müsse endlich Fortschritte geben, hatte der als liberal geltende Reynders gefordert.
Erfolgsaussichten
Kurz vor seiner Abreise am Wochenende hat der Belgier die Erwartungen aber tiefer gehängt. Er wolle nur "den Dialog zwischen den verschiedenen Verantwortlichen fördern". Das hat damit zu tun, dass seine Erfolgsaussichten geringer geworden sind.
Denn Reynders hatte sich vor zwei Wochen mit dem führenden PP-Politiker Esteban González Pons beraten. Das Treffen mit dem Europaparlamentarier und Vize-Präsident der Fraktion der Europäischen Volksparteien (EVP) fand geheim statt. Das nährte Zweifel an der Art der Reform, die er vorantreiben will. González Pons genießt zudem maximales Vertrauen des neuen PP-Chefs Alberto Núñez Feijóo.
Währende Reynders das Treffen im Rahmen der üblichen Kontakte zur Behandlung von Gesetzgebungsfragen einordnete, hinterlässt der Vorgang einen schalen Beigeschmack in der sozialdemokratischen Regierung. Sie fürchtet, Reynders werde nun Druck machen, um das PP-Modell durchzudrücken. Gehofft hatten die Regierung eigentlich, dass er die PP für die Blockadehaltung seit vier Jahren verantwortlich macht.
Niemand solle sich täuschen lassen, erklärte deshalb der Minister für das Präsidentenamt, Félix Bolaños:
"Die Erneuerung des Rates hängt nicht vom Besuch des Kommissars ab, sondern davon, dass die PP vier schändliche Jahre hinter sich lässt, in denen sie Spanien über seine Grenzen hinaus in Misskredit gebracht hat."
Macht und demokratische Legitimität
Dass Reynders nach der Ankunft inhaltlich dann tatsächlich für das PP-Modell geworben hat, hat die Zweifel an seiner Mission verstärkt. "Idealerweise sollte die Neubesetzung des Rats von der Mehrheit der Richter beschlossen werden, wie es die europäischen Standards vorschreiben", hat der Justizkommissar erklärt.
Das klingt auf den ersten Blick nicht schlecht, lässt aber außer Acht, dass der von den konservativen Richtern dominierte CGPJ immer neue Richter ernannt hat, obwohl er nur geschäftsführend im Amt ist. Das ist nach Ansicht von Verfassungsrechtlern wie Javier Pérez Royo "offenkundig verfassungswidrig".
Ein geschäftsführender Kontrollrat sei nicht vorgesehen. Mit dem Auslaufen des Mandats vor vier Jahren habe der CGPJ seine demokratische Legitimität verloren. Durch die Ernennung immer neuer, vor allem konservativer Richter, hat sich die PP in höchsten Gerichten die Möglichkeit erhalten, der Regierung immer wieder in die Parade zu fahren. Bestimmt nun diese Richtermehrheit einen neuen Kontrollrat, dehnen die Konservativen ihre Vormachtstellung in der Justiz über eine lange Zeit aus.
Deshalb beharrt die Regierung vor einer Reform darauf, das bisherige Verfahren anzuwenden, dass 20 Mitglieder des 21‑köpfigen Kontrollrats von den beiden Parlamentskammern bestimmt werden, die dann mit einer Mehrheit von drei Fünfteln den Präsidenten wählen.
Hochrangige Juristen wie Royo fordern seit langem vom CGJP-Präsidenten Carlos Lesmes zum Rücktritt auf, um eine Erneuerung zu erzwingen. Der von der PP ernannte Lesmes droht zwar immer wieder damit, tut es dann aber nie.
Seit etlichen Jahren mahnt die Group of States against Corruption (GRECO) des Europarates Reformen in der spanischen Justiz an, auch um die politische Einflussnahme auf den Justizrat zu beseitigen.
Immer wieder hat GRECO in seinen Berichten die "fehlende Reglementierung objektiver Kriterien und Bedingungen zur Evaluierung für die Ernennung von Kandidaten für Spitzenpositionen in der Justiz" kritisiert. Richter und Staatsanwälte würden gemäß "politischer Verbindungen" und nicht nach "juristischen Verdiensten und Qualifikationen" ernannt.