Spanien und Katalonien steht ein heißer Herbst bevor

Seite 2: "Sánchez spielt nicht zum ersten Mal Roulette im Casino"

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In welchem Szenario befinden wir uns vor den Wahlen am 10. November? Die Linke splittert sich weiter auf, der ehemalige Podemos-Mitbegründer Errejon wird mit "Mas País" eine Kandidatur gegen Podemos anführen, womit schon wegen des Wahlgesetzes die Chancen auf eine Linksregierung schwinden.

Joan Tardà: Pedro Sánchez spielt nicht zum ersten Mal Roulette im Casino. Alles oder Nichts! Er scheint sogar Russisches Roulette spielen zu wollen. Das hatte er ja schon im Frühjahr gemacht, als er die Wahlen angesetzt hat. Ich habe ihm damals im Parlament gesagt, dass er mit den Kräfteverhältnissen spielt. Es gab damals eine Mehrheit gegen die Rechte und es gab sie auch nach den Wahlen weiter, die Sánchez gewonnen hat. Ich habe ihm vorhergesagt, dass wir nach den Wahlen am gleichen Punkt stehen würden, wie vor den Wahlen. So kam es.

Die PSOE müsste akzeptieren, dass es einen Republikanismus, beziehungsweise eine Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien, gibt, die auf knapp 50% der Stimmen kommt. Dazu fordern etwa 80% der Bevölkerung ein abgestimmtes Referendum mit dem Staat. Und das wird so bleiben. Genauso muss die Unabhängigkeitsbewegung akzeptieren, dass sie noch keine klare Mehrheit der Wähler hinter sich bringt.

Beide Seiten müssen die Realität akzeptieren. Unter Demokraten muss eine demokratische Lösung zur Konfliktlösung gefunden werden. Das ist ein Referendum. Und dieses Referendum ist unvermeidbar. Wenn es diese Lösung nicht gibt, ist klar, dass die spanische Demokratie weiter Schaden nimmt. Die Realität muss akzeptiert und Verhandlungen über eine demokratische Lösung auf den Weg gebracht werden.

Das ist unser Ziel. Dafür braucht es einen Dialog ohne Vorbedingungen. Sánchez bietet nun bestenfalls ein besseres Autonomiestatut an. Damit negiert er aber, dass 50% der Katalanen klar die Unabhängigkeit wollen.

"Es wird zu einer geeinten massiven, friedlichen und dauerhaften Reaktion kommen"

Wenn Sie Recht behalten und Sánchez auf ein Bündnis mit den rechten Ciudadanos aus war und es weiter ist, sinken dann nicht die ohnehin sehr geringen Chancen auf eine solche Konfliktlösung noch deutlich weiter?

Joan Tardà: Es ist offensichtlich, dass sich der Konflikt damit verschärfen wird. Der emotionale Bruch, der längst zwischen Katalonien und Spanien besteht, wird damit nur noch größer werden. Glaubt wirklich in Madrid jemand, man könnte dieses Problem über Repression lösen? Das ist eine unglaubliche Torheit.

Stehen wir mit dem Urteil, auch gegen Ihren Parteichef, nicht genau vor dem Szenario? Was wird die Reaktion in der katalanischen Bevölkerung angesichts von absehbaren harten oder sehr harten Strafen sein?

Joan Tardà: Das Urteil wird eine kulturelle und politische Bewegung für eine Amnestie schaffen. Ich bin davon überzeugt, dass es zu einer geeinten massiven, friedlichen und dauerhaften Reaktion kommen wird. Der spanische Staat ist daran interessiert, das haben sie immer wieder in Madrid versucht, aus der friedlichen und demokratischen Bewegung ein Problem der öffentlichen Ordnung zu machen.

Das geschieht nun auch mit den Festnahmen von sieben Mitgliedern der Komitees zur Verteidigung der Republik (CDR), denen Terrorismus vorgeworfen wird. Wir müssen aufpassen, in keine der Fallen zu treten, die uns aufgestellt werden.

Welche Rolle wird nach den Urteilen der zivile Ungehorsam spielen, der nun immer massiver propagiert wird und wie steht die ERC dazu?

Joan Tardà: Zunächst möchte ich vorausschicken, dass man den zivilen nicht mit dem institutionellen Ungehorsam vermischen sollte. Der zivile Ungehorsam ist jedenfalls ein sehr nützliches Mittel, der sich in Katalonien und an anderen Orten immer an der Friedfertigkeit orientiert. Es handelt sich um ein sehr nützliches Werkzeug, denn der zivile Ungehorsam stärkt die Menschen, die für ihre Belange eintreten. Wird der dahinterstehende Wille von vielen anderen geteilt, entsteht daraus eine Haltung einer großen Masse.