Spanische Justiz stürzt erneut katalanische Regierung
Der Oberste Gerichtshof bestätigt das Amtsverbot für Präsident Quim Torra und erzwingt damit wieder Neuwahlen
Die Spatzen haben es am frühen Montag von den Dächern Madrids gepfiffen, dass der Oberste Gerichtshof Spaniens das 18-monatige Amtsverbot für den katalanischen Regierungschef Quim Torra wegen "Ungehorsams" im Revisionsprozess bestätigen würde. Auch die Geldstrafe von 30.000 Euro wurde bestätigt. Das Amtsverbot wird Katalonien, gut zwei Jahre nach den letzten Wahlen, Ende Januar oder Anfang Februar 2021 vorgezogene Neuwahlen bescheren.
Wie in solchen Fällen nicht unüblich, wurde das Urteil an die Presse durchgestochen. Medien berichteten schon über das Urteil, bevor es Torra oder seiner Verteidigung offiziell zugestellt worden war.
Der ehemalige baskische Justizminister Joseba Azkarraga twitterte, dass das Urteil ohnehin längst festgestanden habe: "Es ist eine Schande für die spanische Justiz, dass wir alle wussten, dass Präsident Torra dafür verurteilt werden würde, dass er vor seinem Recht auf Meinungsfreiheit Gebrauch gemacht hat." Er bezichtigt die Richter des "Amtsmissbrauchs".
Tatsächlich war das Urteil nicht schwer vorherzusagen, wie auch an dieser Stelle bereits geschehen, schaut man sich die Urteile des politisierten Gerichtshofs gegen Katalanen an, die sogar für die friedliche Durchführung eines Referendums zu Haftstrafen von bis zu 13 Jahren verurteilt wurden, weil die spanische Justiz einen gewalttätigen "Aufruhr" erfunden hat. Den kann allerdings in Europa kein Gericht bestätigen, weshalb sich die Justiz in allen europäischen Ländern weigert, die spanischen Auslieferungsanträge umzusetzen.
Als die verschiedensten Medien heute ab 13 Uhr das ausgedruckte Urteil zur Torras Amtsenthebung in die Kameras hielten, teilte dessen Rechtsanwalt Gonzalo Boye per Twitter mit, dass man selbst noch kein Urteil zugestellt bekommen habe. "Wir äußern uns dazu, wenn es uns zugestellt wurde und wir es gelesen haben", erklärte er. Daran hat sich bisher, bis der Text an die Telepolis-Redaktion geschickt wurde, auch nichts geändert und das weist auf gravierende Anomalien hin.
Der Gerichtshof begründet sein Urteil mit dem "sturen und wiederholt ungehorsamen" Verhalten von Torra. Der habe im Wahlprozess zu den spanischen Parlamentswahlen im April 2019 gegen die Anordnungen der Wahlkommission" (JEC) verstoßen, da er ein Transparent nicht sofort vom Regierungssitz abhängen ließ. Auf dem Transparent wurde die "Freiheit für die politischen Gefangenen" gefordert.
Einen Tag nach Ablauf des JEC-Ultimatums wurde es durch ein weiteres Transparent ersetzt, auf dem "Meinungsfreiheit" zu lesen war und auf "Paragraph 19 der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte" verwiesen wurde. Deshalb habe Quim Torra gegen die "geforderte Neutralität der Institutionen" in Wahlprozessen verstoßen. Genau das fordert aber auch die UN-Arbeitsgruppe für willkürliche Inhaftierungen und hat Spanien gerade dafür gerügt, dass ihrer Forderung nach Freilassung inhaftierter katalanischer Politiker und Aktivisten seit 1,5 Jahren nicht nachgekommen wurde.
Torras Anwalt hatte im Prozess argumentiert, dass die Wahlkommission "JEC keine kompetente Autorität" sei, die dem Präsidenten "übergeordnet ist". Er stützte sich dabei zum Beispiel auch auf den renommierten Verfassungsrechtler Javier Pérez Royo. Der andalusische Professor hat stets erklärt, dass die JEC kein juristisches Organ ist und deshalb keine Kompetenzen über gewählte Vertreter habe. Royo ging sogar soweit, von einem "juristischen Krieg" zu sprechen, den der JEC gegen Katalanen führt.
Boye hatte im Verfahren auch angemerkt, das mit Andrés Betancor ein JEC-Mitglied "am Morgen für den JEC arbeitet und am Nachmittag für eine der klagenden Parteien". Dass die Wahlkampagne zudem erst eine Woche nach den Vorgängen begann, hat den Gerichtshof nicht von seinem Urteil abgebracht.
Reaktionen der katalanischen Unabhängigkeitsparteien
Auch die zerstrittenen katalanischen Unabhängigkeitsparteien hatten das Urteil erwartet, das auch beim katalanischen Ableger der Linkskoalition Unidas Podemos als "überzogen" eingestuft wird, wie die Fraktionschefin im katalanischen Parlament, Jéssica Albiach, und die Bürgermeisterin von Barcelona, Ada Colau, erklärten. Die Sprecherin der Republikanischen Linken (ERC) nannte Spanien eine "Demokratie low cost", in der ein Regierungschef wegen eines Transparents aus dem Amt gekippt werde. Marta Vilalta sprach von einem "Angriff auf die Demokratie".
Der Exilpräsident Carles Puigdemont, der sich im belgischen Exil befindet und dessen Amtseinführung die spanische Justiz verhindert hatte, erklärte, erneut habe ein "von der Justiz bis zur Krone korrupter Staat" "in unsere demokratischen Institutionen" eingegriffen. Mit der Äußerung "von Amtsenthebung zu Amtsenthebung bis zur Republik", stellte er sich an die Seite Torras. Der ist nun noch Präsident, bis seine Amtsenthebung im Gesetzesblatt veröffentlicht ist. Puigdemont hat seine Liste Gemeinsam für Katalonien (JxCat) derweil in eine Partei für anstehende Neuwahlen umgewandelt.
ERC und JxCat haben sich vor dem Amtsverbot auf ein gemeinsames Vorgehen geeinigt, die letzten Kleinigkeiten werden noch beraten, bevor das Abkommen veröffentlicht wird. Das sieht vor, dass aus beiden Parteien kein Kandidat für eine Amtseinführung vorgeschlagen wird. Somit findet Parlamentspräsident Roger Torrent keinen Kandidaten, der Aussicht auf eine Amtseinführung hat.
Es beginnen diverse Fristen zu laufen, die unausweichlich zu Neuwahlen Ende Januar oder Anfang Februar führen. Derweil stehen Katalonien wieder bewegte Zeiten bevor, denn die zivilgesellschaftlichen Organisationen und die Komitees zur Verteidigung der Republik (CDR) haben schon für den Nachmittag zu Demonstrationen im ganzen Land aufgerufen.
Dass es zu so riesigen Demonstrationen, Generalstreik und Märschen auf Barcelona und auch zu Ausschreitungen kommt wie im vergangenen Jahr nach der Verurteilung der katalanischen Politiker und Aktivisten zu langen Haftstrafen, ist schon wegen der Coronavirus-Pandemie nicht zu erwarten.
Das Urteil gegen Torra kommt allerdings für die Politiker in Madrid zu einer guten Stunde, da sie für ihre Unfähigkeit, die Lage im Hotspot Madrid unter Kontrolle zu bringen, derzeit auch international massiv in der Kritik stehen. Statt eines klaren Vorgehens angesichts eines "ernsthaften Gesundheitsnotstands" streitet man sich, während die Zahlen der Ansteckungen und die Todeszahlen in die Höhe gehen und die Intensivstationen schon wieder überlastet sind.