Spanische Migrationspolitik: "Deckungsgleich mit der des rechtsradikalen Salvini!"
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Über die Toten an den Grenzzäunen zwischen Marokko und der spanischen Exklave Melilla, Kriegsdenken und die "Normalisierung des Todes". Interview mit Helena Maleno.
Helena Maleno ist eine vielfach preisgekrönte Journalistin und Menschenrechtsaktivistin. Sie ist Gründerin der Nichtregierungsorganisation Caminando Fronteras/Walking Borders, eine Art Notrufzentrale für Menschen in Seenot.
Wie an dieser Stelle im Frühjahr 2021 berichtet, wurde Maleno gewaltsam aus Marokko nach Spanien deportiert. Zuvor hatte sie zwanzig Jahre in dem nordafrikanischen Land gelebt. Der Vorgang geht, und das ist besonders aussagekräftig, auf Initiativen aus Spanien zurück, wo sich die Regierung als demokratisch und fortschrittlich lobt.
Auch gegen die Menschenrechtlerin hatten die spanischen "Kloaken" in Polizei, Justiz und Medien eine Schmutzkampagne mit Falschbehauptungen in die Welt gesetzt. Auch sie wurde intensiv ausgespäht.
In Spanien muss Maleno weiter um ihre körperliche Integrität und um ihr Leben fürchten, sie lebt an einem unbekannten Ort und erhält Morddrohungen. Die Arbeit an den "tödlichen Grenzen" haben jedoch weder sie noch ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Marokko eingestellt. Caminando Fronteras hat nun einen Bericht vorgelegt, der sich wie jedes Jahr mit den Entwicklungen an den spanischen Außengrenzen beschäftigt.
Seit 2015 wird ein jährliches Monitoring durchgeführt. Der aktuelle Bericht trägt den Titel: "Recht auf Leben" und ist angesichts der Zuspitzung nur dem ersten Halbjahr 2022 gewidmet.
Analysiert werden die tödlichen Vorgänge auf den Routen über das westliche Mittelmeer und den Atlantik auf die Kanarischen Inseln. Dokumentiert wird darin auch ausführlich, was sich an den Grenzzäunen der Exklaven Ceuta und Melilla am 24. Juni ereignet hat.
Kritisiert wird eine sich stetig verschärfenden "Militarisierung der Migrationskontrolle". Dabei würden "systematisch die Menschenrechte von Migranten verletzt".
Auf dem neuen Höhepunkt der Abschottung wurde in Melilla nun nachweislich auch mit scharfer Munition auf Kriegsflüchtlinge geschossen, die versucht haben, die neuen Mauern in Richtung Europa zu erreichen. Telepolis sprach mit der Menschenrechtsaktivistin über den Bericht und die sich zuspitzenden Vorgänge und über strukturellen Rassismus bis tief hinein in die Linke.
Das Massaker von Melilla
Leben Sie wieder in Marokko?
Helena Maleno: Nein, ich konnte noch nicht zurückkehren. Wir haben einen Einspruch gegen die Deportation vor Gericht eingelegt, aber es wurde noch nichts entschieden. Aber wir haben ein gutes Team vor Ort, das weiter eine gute Arbeit macht.
Caminando Fronteras sammelt im neuen Monitoring auch viele Stimmen der überlebenden Migranten des so genannten Massakers von Melilla. Was berichten die Opfer über die Ereignisse am 24. Juni?
Helena Maleno: Der Bericht ist in drei Teile aufgegliedert. Im ersten Teil wurde vor allem die Zeit vor dem Massaker beschrieben. Nach einem Abkommen zwischen Marokko und Spanien im März gab es sehr harte militärische Aktionen gegen die Flüchtlinge, bei denen sie auch aus Hubschraubern mit Tränengas beschossen wurde. Es gibt eine militärische Aufrüstung gegen die Menschen. Für die war das in den Wäldern an der Grenze zu Melilla eine unhaltbare Situation, die sie praktisch verzweifelt zur Mauer getrieben hat.
Es war auffällig auf den Bildern, dass sie keine Leitern wie sonst üblich dabeihatten. Die fertigen sie sich normalerweise an. Das zeigt, dass das nicht vorbereitet war. Sie wurden mit Militäraktionen, mit Festnahmen und Prügel zu der Aktion gedrängt, bei denen sogar der Wald angezündet wurde, in dem sie sich aufgehalten haben. Es muss hier auch gesagt werden, dass bei den Razzien, die von der EU finanziert werden, die Frauen zur Strafe vergewaltigt werden.
Sie wurden also zu der Aktion regelrecht geprügelt?
Helena Maleno: Ja, deshalb gingen sie unvorbereitet an die Mauer, wollten dort eine Tür aufbrechen, um nach Melilla zu gelangen. Dabei wurden sie dann wie in einer Mausefalle von beiden Seiten umzingelt. Marokkanische Sicherheitskräfte waren sogar auf spanischem Gebiet und gingen Seite an Seite mit der Guardia Civil brutal gegen die Menschen vor.
Marokko spricht bisher von 23 Toten, eine andere Zahl lautet 37 und manche sprechen von mehr als 70. Haben Sie eine konkretere Angaben?
Helena Maleno: Direkt vor Ort konnten wir 37 Tote dokumentieren. Bestätigt haben wir weitere drei Tote, die in Hospitälern an den schweren Verletzungen gestorben sind. Einige Schwerverletzte wurden auch in Bussen deportiert und es ist unklar, was mit ihnen passiert ist. Was uns, neben den vielen Toten, auch aufgefallen ist, war die große Zahl der Verletzten. Es waren mehr als 800.
Die Leute fielen, wegen dem Einsatz von Tränengas übereinander, sie sahen nichts mehr und das hat wohl zur Tragödie beigetragen. Sie wurden aber auch mit Elektroschockern traktiert. Es wurde sogar mit scharfer Munition auf die Menschen geschossen. Aber es sterben nun auch Frauen an Aids, da sie bei Vergewaltigungen angesteckt wurden und weil sie nun zerstreut sind, ihre Medizin nicht mehr bekommen. Das Vorgehen ist also sogar mittelfristig weiter tödlich.
Videos von Sicherheitskräften aufgenommen
Auch Parlamentarier aus dem spanischen Staat haben viel "Aufstandsbekämpfungsmaterial" auf der spanischen Seite der Grenze gefunden. Gibt es Nachweise für den Einsatz von Schusswaffen wie zum Beispiel Schussverletzungen?
Helena Maleno: Wir haben selbst einen jungen Mann versorgt, dem eine Kugel herausoperiert werden musste, aber viele Toten wurden ohne Untersuchung schnell verscharrt. Mehr als 12 Stunden wurden Verletzte nicht behandelt, was letztlich zu der großen Todeszahl geführt hat. Die Verantwortung dafür liegt klar bei Spanien und Marokko.
Was mich aber besonders überrascht, ist, warum man uns das Massaker gezeigt hat. Die Videos wurden von Sicherheitskräften aufgenommen. Dort zwischen den drei Zäunen konnten Hilfsorganisationen keine Aufnahmen machen und die Migranten lagen verletzt am Boden. Es war das Ziel, dass das gezeigt wird. Wir verstehen nur nicht warum. Vielleicht ist es ein Signal an Europa, um zu zeigen, was man tun will.
"Alle rechtfertigen den Krieg"
Könnte das nicht auch als Abschreckung an die Flüchtlinge adressiert sein? Und wenn wir den Kontext sehen, dass kurz danach in Madrid der Nato-Gipfel stattfand, bei dem ausgerechnet Spanien durchgesetzt hat, dass Migration als Bedrohung eingestuft und in einem Atemzug mit Terrorismus genannt wird. Dann macht das doch Sinn, diesen Ansturm zu provozieren und eine Bedrohung zu schaffen und die dann auch vorzuführen.
Helena Maleno: Exakt. Neu ist das tatsächlich auch nicht, denn es war der sozialistische Außenminister der sich für die Aufnahme der Migration als Bedrohung eingesetzt hat. Dann hat man die Bilder und spricht auf dem Gipfel darüber. Zudem befinden wir uns in einem insgesamt kriegerischen Klima. Niemand spricht auch im Fall Ukraine von Frieden.
Alle rechtfertigen den Krieg und das ist der Augenblick, um auch die Grenzen weiter zu militarisieren. In dem Massaker, wo sogar Schusswaffen eingesetzt wurden, sehen wir den bisherigen Höhepunkt. Dazu agiert auch noch marokkanisches Militär auf spanischem Boden um Schulter an Schulter mit der Guardia Civil Menschen umzubringen, kaputt zu schlagen… Das ist der Horror. Die Schrauben werden von Europa weiter angezogen.
"Rassismus pur"
Wie bewerten Sie, dass man an der Grenze zu den spanischen Exklaven nun schon auf Menschen schießt, aber die Flüchtlinge aus der Ukraine mit offenen Armen empfängt?
Helena Maleno: Das ist der Rassismus. Wir haben immer gesagt, dass Spanien ein sehr rassistisches Land ist. Das gilt auch für Europa, wo man das etwas stärker beschönigt. Denn aus der Ukraine kommen blonde Menschen mit blauen Augen. Dabei sind auch wir in Spanien nicht so.
Stellen Sie sich vor. Mich hat eine deutsche Journalistin auf Mallorca interviewt, wo mir die Ehrendoktorwürde verliehen wurde. Sie sprach von einer Lawine, die auf die Balearen zukomme. Sie zeigte sich sehr besorgt, da derzeit einige Boote mit Flüchtlingen aus Algerien ankommen. Das sagt eine deutsche Journalistin auf den Balearen, wo so viele Deutsche leben, dass es sogar eine eigene deutschsprachige Zeitung gibt.
Ich dachte nur, Deutsche haben die ganze Insel hier eingenommen und sie hat Angst vor ein paar Menschen, für die angeblich kein Platz sei, die in Booten ankommen. Ich fragte sie nur, von welcher Lawine sie spreche, bat um Angaben, wie viele Leute real in Booten ankommen, dass die Deutschen sich um ihre Sommerferien sorgen.
Das ist Rassismus pur. Dabei ist völlig klar, wer Angst haben muss, wer beim Versuch ertrinken kann oder an der Grenze umgebracht werden kann. In den von Marokko besetzten Gebieten der Westsahara, in El Aaiún oder Ad-Dakhla werden die Einwanderrinnen sogar nackt ausgezogen und vom Militär aus Verachtung durch die Straßen getrieben. Wir Europäer sind für all das verantwortlich.