Schießen Nato-Soldaten demnächst auf Flüchtlinge?
- Schießen Nato-Soldaten demnächst auf Flüchtlinge?
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Strategie-Konzept der Nato: "Migration" wird als "hybride Bedrohung" genannt. Dafür kommt viel Unterstützung aus Spanien.
Die tödlichen Ereignisse in der spanischen Exklave Melilla, kurz vor dem Nato-Gipfel in der spanischen Hauptstadt Madrid können als Blaupause für noch deutlich blutigere Vorgänge gewertet werden, die in der Zukunft drohen.
Wie Telepolis berichtet hatte, starben mindestens 37 Migranten vor gut einer Woche beim Versuch, aus Afrika die "Mauer" nach Melilla zu überwinden ("Massaker von Melilla": Viele Tote an spanischer EU-Außengrenze).
Noch überließen die spanischen Sicherheitskräfte die schmutzigen Aktivitäten vor allem Marokko, wenngleich es auch etliche Zeugenaussagen und Bildmaterial gibt, das zeigt, wie die Guardia Civil mit Gummigeschossen und Gasgranaten auf Menschen schießt, die sich auf den sechs Meter hohen Zäunen bewegen. Neu ist die tödliche spanische Politik nicht, wie 15 Tote am Strand von Tarajal in der Exklave Ceuta bereits dokumentiert haben. Da wurde von der Guardia Civil auf schwimmende Menschen geschossen.
Anstatt das blutige Vorgehen der spanischen und marokkanischen Sicherheitskräfte zu verurteilen, hatte der sozialdemokratische Regierungschef nur Lob für die Truppen übrig. Das kam natürlich vor dem Nato-Gipfel nicht von ungefähr: Pedro Sánchez wollte sich dort profilieren.
Das hatte schon der Versuch gezeigt, deutsche Leopard-Panzer an die Ukraine zu liefern. So sprach der Sozialdemokrat (PSOE) von einem "gewalttätigen Ansturm" auf die "territoriale Integrität" Spanien, vor dem man sich habe schützen müssen und der Begriff findet sich nun auch im Nato-Strategiepapier.
"Auftragskiller aus Marokko"
"Wir haben Auftragskiller aus Marokko angeheuert, die auf unserem Boden agieren", hatte sich der bekannte spanische TV-Journalist Quique Peinado auf Twitter angesichts der Tatsache empört, dass die marokkanische Gendarmerie sogar auf spanischem Territorium Jagd auf Flüchtlinge machte.
Offensichtlich soll es nun nicht mehr vorkommen, auswärtige Kräfte zum Schutz der eigenen Grenze einzusetzen. Allerdings forderte Sánchez auf seinem seit Monaten andauernden Schmusekurs mit Marokko, eine "Anerkennung für die Anstrengung", dass Marokko "die Grenzen von Spanien verteidigt".
Sánchez macht Druck
Um das nicht nötig zu haben, zumal er damit dem unsicheren Partner Marokko erneut Erpressungsmittel in die Hand gibt, hat Sánchez, der gerne links blinkt, um dann rechts zu überholen, beim Nato-Gipfel viel Druck gemacht. Er setzte durch, dass nun auch die "Einwanderung" als "Bedrohung" eingestuft wird. "Die Nato bekennt sich zur 'territorialen Integrität' aller Verbündeten und spricht von der 'Instrumentalisierung der Migration'", titelt zum Beispiel die Online-Zeitung eldiario.es nach Beendigung des Gipfels.
Dafür habe sich die Sánchez-Regierung eingesetzt. Es sei für Spanien sehr wichtig gewesen, dass die Sahelzone und die Südflanke weiter thematisiert wird und die "Einwanderung oder die Energiekrise", mit denen Nato-Länder destabilisiert werden sollen, aufgenommen worden sei schreibt die große Tageszeitung El País stolz, die den Sozialdemokraten sehr nahesteht.
Die Zeitung verweist auf das verabschiedete strategische Konzept. Das "Mission Statement" soll als Leitfaden für die "Verteidigungshaltung" und die "militärische Ausrichtung" sowie die Ausgaben des Bündnisses dienen. Russland wird darin wieder als Bedrohung Nummer eins für die Nato genannt.
Darüber wurde in Deutschland genauso breit berichtet wie über die Tatsache, dass auch China verstärkt ins Visier des Militärbündnisses gerät und als "strategische Herausforderung" benannt wird.
"Grenzsicherung, irregulärer Migration und Terrorismus"
Die Tatsache aber, dass nun aber auch die Einwanderung ein Feld sein soll, auf dem die Nato agieren will, fiel hier allerdings praktisch unter den Tisch. Dabei wurde schon in der Abschlusspressekonferenz darauf abgestellt. Da wurde zum Beispiel von "Grenzsicherung, irregulärer Migration und Terrorismus" in einem Atemzug gesprochen.
Grenzsicherung und die Abwehr illegaler Einwanderung werden im militärischen Tunnelblick als Bedrohung wie Terrorismus wahrgenommen - das ist eine Gleichsetzung mit blutigen Konsequenzen. So sind offenbar nun Flüchtlinge beim Grenzübertritt zum Abschuss freigegeben.
Im Strategiepapier heißt es dann: "Autoritäre Akteure stellen unsere Interessen, Werte und demokratische Lebensweise in Frage." Sie investierten intransparent nicht nur in hochentwickelte konventionelle, nukleare und Raketenfähigkeiten, hielten sich kaum an internationale Normen und Verpflichtungen. Sie versuchten "unsere Widerstandsfähigkeit auf die Probe zu stellen, die Offenheit, Vernetzung und die Digitalisierung unserer Nationen auszunutzen".
Mit autoritären Akteuren wird freilich nicht das türkische Erdogan-Regime oder das autokratische Königreich Marokko angesprochen. Beide tauchen stets auch in Folterberichten von Menschenrechtsorganisationen auf, treten und in Kurdistan oder der Westsahara völkerrechtswidrig als Besatzungsmacht auf und agieren dort kriegerisch.
Den autoritären Akteuren, von denen das Nato-Papier spricht, also auch nicht Saudi-Arabien, das den Jemen mit einem Krieg überzieht, wird vorgeworfen, dass sie sich "in unsere demokratischen Prozesse und Institutionen einmischen". Sie zielten durch "hybride Taktiken" auf die Sicherheit der Bürger. Das geschehe "sowohl direkt als auch über Stellvertreter".
Genannt werden unter anderem "böswillige Aktivitäten im Cyberspace und im Weltraum", es würden "Desinformationskampagnen" gefördert, die "Energieversorgung manipuliert", "wirtschaftlicher Zwang" ausgeübt und die "Migration instrumentalisiert". Diese Akteure stünden auch an "vorderster Front, wenn es darum geht, multilaterale Normen und Institutionen zu untergraben und autoritäre Modelle der Staatsführung zu fördern".
Wie schon gesagt, gemeint sind nicht die "demokratischen Musterstaaten" wie Saudi-Arabien, Türkei oder Marokko. Diese eklatanten Widersprüche in der Wahrnehmung sprechen für sich. Sie sollen hier jetzt nicht weiter verfolgt werden.
Interessant in diesem Zusammenhang ist aber, dass es genau das Erdogan-Regime in der Türkei war oder das Regime unter dem marokkanischen König Mohammed VI, welche die Flüchtlings- und Einwanderungsfrage immer wieder instrumentalisiert und die EU damit erpresst haben.
Die Instrumentalisierung der Flüchtlinge
Haben die Nato und Sánchez schon vergessen, wie Marokko die Grenze vor gut einem Jahr zur Exklave Ceuta aufgemacht und etwa 10.000 Menschen durchgelassen hat, um Druck in der Westsahara-Frage zu machen? Erdogan hatte das auch immer wieder erfolgreich vorgemacht und Mohammed zog nach.
Und wenn man schon von Cyber-Angriffen spricht. Alle in Spanien gehen davon aus, dass es Marokko war, dass den spanischen Regierungschef und einige Minister über die Spionagesoftware Pegasus ausspioniert hat. Auch das blieb ohne jede Konsequenz. Böse Zungen meinen, dass Marokko viel Material von Sánchez Handy gestohlen hat, womit das Land den drastischen Schwenk in der Westsahara-Frage erpresst habe.
Spanien und die Nato wissen nur sehr genau, dass Marokko kein treuer Partner ist. Denn Marokko hat auch territoriale Forderungen an Spanien. Deshalb stellt man in der spanischen Presse zum Nato-Gipfel auch mit Genugtuung wie El País fest, dass Spanien nun zufrieden sei, weil die Nato nun auch die Exklaven Ceuta und Melilla schützen werde.