"Tore geöffnet": Schickt die Türkei Migranten an die Grenzen der EU?
Abgelenkt von der Coronavirus-Epidemie könnte sich das Flüchtlingsdrama von 2015 wiederholen und die EU weiter spalten
Europa ist weiterhin noch ge- oder befangen von der Coronavirus-Epidemie. Aber aus dem Konflikt zwischen Ankara und Damaskus/Moskau droht der Europäischen Union nun eine Zerreißprobe, da eine europäische Migrationspolitik nicht gefunden, sondern nur verdrängt wurde. Nach der "Flüchtlingskrise" 2015 hat die EU unter Federführung von Bundeskanzlerin Angela Merkel schnell mit dem türkischen Präsidenten Erdogan einen Flüchtlingsdeal ausgehandelt, der vermeiden sollte, dass es erneut zu einer Massenmigration über die Türkei in die EU kommt. Zudem wurden die Landgrenzen mit der Türkei auf der Seite von Bulgarien und Griechenland mit Zäunen und Mauern gesichert. Die Ausweichroute von der türkischen Küste zu den griechischen Inseln war zwar porös und die Situation der Flüchtlinge im vom Rest der EU weitgehend alleingelassenen Griechenland desaströs, aber die EU-Staaten konnten sich mit ihrer Bevölkerung, in der der Anteil der Grenzsicherer und Rechtsnationalisten anstieg, in dem prekären Zustand einrichten.
Seitdem die Türkei sich nicht mehr an das Abkommen mit der EU gebunden sieht, die Grenzpolizei abgezogen hat und Flüchtlinge/Migranten in der Türkei auffordert, nun den Gang in die EU zu versuchen, stehen nun schon Tausende von Migranten vor allem an der griechischen Landgrenze bei Evros. Zunächst hatte nur ein anonymer Regierungsvertreter angekündigt, dass die Grenzen nach Europa geöffnet worden seien, am Samstag machte dies der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan dann offiziell. Damit soll die EU - und auch die Nato - unter Druck gesetzt werden, eine Lösung des Idlib-Konflikts im türkischen Sinne zu unterstützen.
"Wir haben die Türen geöffnet"
Ankara will in dem weitgehend von HTS-Dschihadisten kontrollierten Gebiet eine Schutzzone unter eigener Kontrolle einrichten, um so zu verhindern, dass womöglich Millionen Menschen die Flucht vor der syrisch-russischen Offensive ergreifen. Jetzt schon sollen sich nach Angaben der türkischen Regierung 1,5 Millionen Flüchtlinge an der Grenze zur Türkei aufhalten, man müsse bei einer weitergehenden Offensive mit 4 weiteren Millionen rechnen. Das dürfte übertrieben sein, aber der Druck ist für die türkische Regierung neben geopolitischen Interessen hoch, dass zu den Millionen, die sich bereits in der Türkei befinden, weitere Millionen kommen.
"Wir können mit keinem weiteren Flüchtlingsstrom zurrechtkommen, aber wir können diese Menschen auch nicht der Gnade des Assad-Regimes überlassen. Was machten wir gestern (am Freitag)? Wir haben die Türe geöffnet." Gemeint sind freilich nicht die Türen in die Türkei, sondern nach Europa. Erdogan sagte, er habe Merkel 100 Millionen Euro angeboten, wenn Europa Flüchtlinge einlässt, während er monierte, die EU habe nicht die zugesagten 25 Millionen an die Türkei für die Flüchtlingshilfe gezahlt. 18.000 seien schon an die Grenze gekommen, er kündigte an, dass es bis Samstagabend 30.000 würden.
Um dem Westen entgegenzukommen, versucht Erdogan zudem, mit Angriffen auf angebliche Einrichtungen des syrischen Chemiewaffenprogramms die militärische Aktion in Syrien zu rechtfertigen, nachdem Russland im Sicherheitsrat einen Waffenstillstand abgelehnt hatte. Angeblich seien über 2000 syrische Soldaten getötet und zahlreiche Fahrzeuge und Panzer zerstört worden. Damaskus wirft Erdogan Lügen vor, es gebe kein syrisches Chemiewaffenprogramm mehr. Überdies würde er die syrischen Verluste übertreiben. Es gebe schwere Kämpfe bei Saraqeb in Idlib, wo die türkischen Soldaten die "Terroristengruppen" der HTS unterstützen würden. Die syrischen Truppen würden trotz der türkischen Drohnenangriffe und des Artilleriebeschusses in Idlib weiter die HTS-Kämpfer zurückdrängen.
Erdogan provozierte offen Putin. Er habe dem russischen Präsident bei ihrem Telefongespräch über die Situation in Idlib gesagt, Russland solle sich raushalten: "Ich bat Putin, den türkischen Streitkräfte das Feld überlassen, um gegen das Regime zu kämpfen. Wir können die russischen Absichten hier nicht erkennen", sagte er gestern. Die Türkei suche keine Abenteuer und wolle auch ihr Territorium nicht erweitern, sondern "schütze einfach seine territoriale Integrität vor dem Assad-Regime". Das würde dann doch bedeuten, dass Erdogan nicht nur die Kurden aus ihren Gebieten vertreiben will, sondern auch mit einem besetzten, von Dschihadisten bevölkerten Idlib eine weitere Zone in Syrien beansprucht.
Erpressung mit Migranten
Allerdings versuchen die Türkei und Russland, den Konflikt zu deeskalieren. Russland dringt auf die Einhaltung des Astana-Abkommens, das in Idlib eine Trennung der Terroristen von der Restbevölkerung vorsieht, was die Türkei aber nicht umsetzen konnte oder wollte. Das wird auch in Zukunft nicht geschehen, so dass auch eine Beilegung des aktuellen Konflikts keine dauerhafte Lösung sein wird. Am 5. März wollen sich Erdogan und Putin treffen. Bis dahin wird offen bleiben, wie es weitergehen wird.
Die griechische Regierung hat Polizei und Militär aufgeboten, um Migranten abzuwehren, über die Grenze zu gelangen. Auf türkischer Seite ist die Rede davon, dass schon mehr als 47.000 Flüchtlinge an die griechische Grenze gekommen seien. Wie aktiv die Türkei Migranten in der Türkei auffordert, das Land Richtung Europa zu verlassen, ist nicht klar. Offenbar durften zumindest manche von ihnen kostenlos mit den Bussen in die Provinz Edirne befördert werden. Die griechische Polizei hat bis Samstagmorgen Uhr 66 Migranten festgenommen, die das Land illegal betreten hätten. Ein Schnellgericht verurteilte 17 zur Abschreckung zu 3,5 Jahren Haftstrafe. Bislang wurden nur Schleuser bestraft. Mindestens 70 seien am Samstag festgenommen worden. Auch sie sollen bestraft werden.
Von den 66 bis Samstagmorgen festgenommenen Migranten sei kein einziger aus Idlib oder umgebenden Region gekommen. Vermittelt wird von Regierungssprecher Stelios Petsas, dass am Freitag eine organisierte Masse versucht haben, die griechischen Grenzen zu überwinden. Das sei abgewehrt worden. Die Polizei setzte Tränengas und Pfefferspray ein. Wie viele Flüchtlinge sich bereits vor der türkisch-griechischen Landgrenze versammelt haben, ist nicht klar. Es dürften bereits Tausende sein. Das griechische Außenministerium sagt, es sei der illegale Grenzübertritt von 4000 Migranten abgewehrt worden.
Vanessa Beeley berichtet:
Türkische Medien, auch das Staatliche Fernsehen, senden dauernd aufhetzende Botschaften wie Mullahs in den Moscheen und fordern Migranten auf, sich an die griechische Grenze zu begeben. "Es warten Busse und Taxis auf euch. Geht zur Grenze. Wir haben den Weg für euch geöffnet.
Norbert Röttgen, der den CDU-.Parteivorsitz mit irgendeiner Frau und die Kanzlerkandidatur anstrebt, ruft in Panik zur Solidarität mit der Türkei auf: "Erdogans Drohnung ist eigentlich ein Hilferuf. Er ist mit dem Versuch gescheitert, in #Syrien mit RUS zusammenzuarbeiten. TUR braucht jetzt die EU & den Westen. Wir müssen Geld & Hilfe bereitstellen, um die Flüchtlinge vorübergehend in der #Türkei zu versorgen."
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